Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 30. Juli 2006
Albondigas & Königsberger Klopse ( kleines kulinarisches Samstagnachtfieber, Rage Hard-Version)

Castelldefels wurde mir im Vorfeld meines Besuches sehr spannend beschrieben! Neben der Chinesen-Mafia gäbe es dort Unmengen von peruanischen und honduranischen Zuhältern und zusätzlich die Option von grobschlächtigen, besoffenen Briten mal so richtig eins aufs Maul zu bekommen. Klarer Fall, da muss ich hin. Es ist Samstagabend, morgen ist mein freier Tag, der Besuch einer organisierten Amüsiermeile verlockend.
Castelldefels war in den Sechzigern und Siebzigern ein mondäner Badeort, hier urlaubten die europäischen Königshäuser, hier trafen sich die Schönen und Reichen. Umweltprobleme mit ungeklärtem Abwasser, stinkende Abwasserlagunen in Strandnähe und die daraus resultierenden Mückenplagen, sowie der ansteigende Flugverkehr über Castelldefels (sozusagen die Landebahn von Barcelona) beendeten Ende der Achtziger den Edeltourismus. Die einstige Perle der Costa Dorada besteht heute aus einem, viele Kilometer langem, sehr sauberen Strand, gesäumt von heruntergekommenen Bungalow-Komplexen und Appartementhäusern im Stil der Sechziger mit ergrauten Markiesen und verfallenem Mauerwerk. Im Zentrum findet sich der Passeig Maritim, ein endloser Restaurant-Strich. Zuerst fallen mir die unzähligen Sushi-Tempel und Chinarestaurants auf, sämtlich komplett leer, es läuft nicht gut für die Asiaten. Die wenigen, britischen Urlauber sind unter Kontrolle und betrinken sich im Nachbau eines Britischen Pubs mit angeschlossener, offener Pommestheke, zu Fish & Chips. Einzelne Splittergruppen des Vereinigten Königreichs liegen unter den Tischen der zahlreichen, brasilianischen Caipi-Bars und erbrechen leise ins Gebüsch. Tatsächlich sind der größte Teil der Menschen, die hier zwischen neonbeleuchteten Spielhallen und Billig-Pizza-Buden Erholung suchen, Spanier. Catelldefels ist fest in spanischer Hand. Ich langweile mich sehr, Partylaune will sich nicht einstellen und ich beschließe Essen zu gehen. Mal so richtig gut.

Eingehend prüfe ich die zahlreichen Bewerber am Wegesrand, studiere Speisekarten, schiele auf die Teller fremder Menschen, hier und da gelingt ein Blick in offene Küchen. Meine Wahl fällt auf das „Rincón de Lola“, ein Restaurant mit Meerblick (um diese Uhrzeit also schwarze Nacht aus der es rhythmisch rauscht) und einer sehr gut besuchten Terrasse. Spanische Großfamilien mit vielen Kindern, neureiche Yachtenbesitzer und junge Paare, eine gute Mischung von Gästen, ich nehme Platz.

Zur Zeit kursiert in der Blogwelt so ein Fragebogen-Stöckchen, darin geht es um Bloggen und wieso, weshalb, warum. Eine Frage lautet: „Warum lesen deine Leser dein Blog?“ Ich habe keine Ahnung, ich hoffe meine Leserinnen und Leser fühlen sich unterhalten. Darum ist es auch meine Pflicht, Sie an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, dass Sie jetzt aufhören können diesen Beitrag zu lesen. Es folgt eine weitere, langatmige Beschreibung eines wirklich desaströsen Abends in einem Spanischen Restaurant, das müssen Sie sich nicht antun. Gehen Sie raus in die Welt, zeugen Sie Kinder, klicken Sie wild in meiner Blogroll rum, aber tun Sie sich das nicht an. Ich muss das schreiben, ich platze sonst, Sie müssen das nicht lesen, es ist langweilig.

Zwanzig Minuten ignorieren mich die fünf Kellnerinnen und ich bin sofort etwas angespannt. Schließlich erbarmt man sich meiner, „Si?“ Äh, ein Bier und die Karte bitte. Beides pfeffert die junge Servicefachkraft auf den Tisch, das Bier schwappt über und nässt die Papiertischdecke ein. Ich nehme meinen Arm aus der Lache und bitte um einen Aschenbecher. Augen rollend wirft sie mit das Gewünschte hin. Ich habe es aufgegeben, hier in der Gegend irgendetwas Experimentelles zu bestellen, es geht hier nur noch um Schadenseingrenzung und ich bestelle nur noch Dinge, von denen ich glaube, dass man da am wenigsten falsch machen kann. Muscheln. T-Bone-Steak. Wein.

Der Wein ist ein Problem. Nur große Flaschen, keine offenen Weine. Ist mir egal, ich bestelle eine Flasche Rosé, ich ahne, ich werde es brauchen. 11 Euro kostet die Flasche, das sind zwei Gläser Wein in Hamburg, also ab dafür. Den Probeschluck schenkt die junge Frau ins Wasserglas ein. Ist mir egal. Schmeckt ordentlich. Ich fülle selbst um. Muscheln. Mit Sauce, fragt mich die Kellnerin. Ich bin etwas irritiert, natürlich, mit was denn sonst. Tomaten, frage ich, die Kellnerin schüttelt den Kopf und sagt: Sauce. Weißwein, frage ich, die Kellnerin schüttelt den Kopf und sagt: Sauce. Ich gebe auf, ja, Sauce. Hätte ich geschwiegen! Drei Minuten später serviert man mir das ekelhafteste Gericht, das ich je hier aß und ich habe hier schon oft sehr schlecht gegessen. Die Muscheln sind überdeckt mit einem schlammfarbenen Schleim, einer mit Mehl angedickten, graubraunen Rinderbrühe, salzig, fast schon breiig. Das ist so abartig, dass ich beschließe, es muss sich hierbei um eine mir unbekannte, landestypische Zubereitungsart für Muscheln handeln, denn das hier sieht nach Vorsatz aus. Ich versuche mich zu beruhigen und vergleiche meine Situation mit der eines spanischen Gastes, der in Deutschland seine geliebten Albondigas bestellt und mehlschwitzige Königsberger Klopse bekommt.

Das T-Bone Steak heißt T-Bone Steak wegen seines t-förmigen Knochens. Das hier auf meinem Teller ist ein furzeliges Mini-Steak unbekannten Zuschnitts, es ist durchgebraten, zäh, trocken und ungewürzt. Wie alles auf dem Teller. Die Paprikaschoten aus dem Ofen sind nicht gehäutet, ich nehme selbst die Zellophan-Haut ab. Die Pommes sind fett-triefende, leichenblasse Stäbe, innen roh. Ich verlange Salz und Pfeffer. Man wirft mir zwei Plastikflaschen mit Streulöchern zu. Das Salz ist verklebt, da kommt nichts raus. Der Pfeffer ist grauer Staub, da kommt aber glücklicherweise auch nichts raus.

Es ergreift mich ein mächtiger, unheiliger Zorn.

Ich verstehe nicht, wie die Menschen um mich herum diese Scheiße kritiklos in sich hineinfressen können, ich versteh diese ganze katalanische Auffassung von Gastfreundschaft und Kulinarik nicht. Die Kochkunst, die Freude am Essen, am Genuss sind mir heilig, das ist mein Leben, das ist mein Beruf, meine Passion. Hier servieren allerorts unfreundliche, arrogante Hackfressen erbärmliches Essen, ohne Respekt vor dem Produkt, ohne Respekt vor dem Gast. Dieses Land macht aus mir den dauernörgelnden Deutschen, der ich nicht bin, der ich nicht sein will, denn ich bin von Grund auf begeisterungsfähig, ich liebe Superlative und empfehle lieber als zu verreißen. Terminado, fragt die Kellnerin, die Rechnung über 40 Euro hat sie schon in der Hand. Ja. Fertig.

Es ist eine dünne Linie zwischen Stolz und Arroganz. Ich bin der festen Überzeugung, dass es, über alle Sprachbarrieren hinweg, möglich ist, seine Identität zu wahren, Traditionen zu pflegen und trotzdem weltoffen und gastfreundlich zu sein. Es sei denn, man hat Minderwertigkeitskomplexe.

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