Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 7. Januar 2006
Zwei kurze Geschichten vom Fliegen

1.
Die ersten Tage im neuen Jahr verbrachte ich arbeitender Weise im Bayerischen. Da die Zeit für den Auftrag knapp bemessen war und niemand am Neujahrstag arbeiten wollte, spendierte der Kunde mir einen Flug. Ich überlebte und landete nach einer Stunde in Nürnberg. Dort sollte ich abgeholt werden, 45 Minuten Fahrt zur Agentur, einen ganzen Arbeitstag gewonnen. Leider schickte die Agentur eine blutjunge Praktikantin, die auf einem Einödhof aufgewachsen war.

9:30 Uhr. Landung. Niemand da. 10:00 Uhr. Ich rufe in der Agentur an. Ja, man habe eine Praktikantin geschickt, nee, die müsse eigentlich längst da sein. Man gibt mir die Handynummer der Praktikantin. Nicht erreichbar. 10:30. Nicht erreichbar. Ich rufe die Agentur an. Doch, die Praktikantin sei seit zwanzig Minuten auf dem Flughafen. Ich rufe die Praktikantin an. Erreichbar! Ja, sie sei jetzt am Lufthansa-Schalter. Was sie dort täte, wusste sie auch nicht so genau, ich erklärte das Prinzip eines Flughafens und erzählte von der praktischen Einrichtung einer Ankunftshalle. Bin gleich da, verspricht die Praktikantin. 10:50. Ich werde über Lautsprecher ausgerufen. „Herr Paulsen, Herr Paulsen, bitte kommen Sie an den Informationsschalter.“.

Ich rufe die Praktikantin an und buchstabiere das Wort Ankunftshalle. 11:05. Ich stehe jetzt schon 30 Minuten länger in der Ankunftshalle als der Flug dauerte. Ich sehe mich um. Vielleicht weiß die Praktikantin nicht wie ich aussehe. Ich weiß aber wie die Praktikantin aussieht. Die Agentur-Empfangsdame hatte mir das genau erklärt. Sehr groß, hoch gewachsen, trägt eine Brille. Das Mädchen das mir um 11:15 auf die Schulter tippt und fragt ob ich Herr Paulsen sei, ist von zwergenhafter Statur und trägt keine Brille. Halt, doch! Im Auto setzt die Praktikantin eine Brille auf und fragt mich, wie wir denn jetzt zur Agentur kämen. Ich erkläre, dass ich das auch nicht wisse so als Hamburger und sie vielleicht so fahren sollte, wie sie hergekommen ist. Altväterliches Machogehabe bemächtigt sich meines ansonsten freundlichen Wesens.

Die Praktikantin fährt los, verpasst die Autobahnauffahrt und wir schleichen auf kurviger Landstrasse 1 1/2 Stunden durch die Fränkische Schweiz, die Praktikantin starrt angestrengt nach vorn gebeugt durch die Windschutzscheibe. Wenn sie nicht telefoniert („ja aber kann ich nicht in Kleckersdorf wieder auf die Autobahn?“). Mir wird schlagartig klar, dass nicht der Flug der gefährlichste Teil meiner Reise war. Gegen 13:00 Uhr erreichen wir die Agentur. Mit dem Zug wäre ich um 13:56 angekommen.

2.
Abends dann im Hotel, öffne ich das Fenster und lasse frische Luft herein. Sehr freue ich mich über obrigen Werbeflyer, den ich auf dem Schreibtisch finde. Ich denke kurz über die Anschaffung einer Lederhose nach, denn mal ehrlich, wollen wir nicht alle beachtet und beneidet werden? Ich verwerfe vernünftigerweise den irritierenden Gedanken, öffne mein Laptop um noch ein paar Rezepte zu schreiben, da saust durchs geöffnete Fenster ein schwarzer Schatten ins Zimmer, zwischen meinen Beinen durch, zieht lautlos am Laptop-Bildschirm vorbei und verschwindet in den Falten der Gardinen. Die Gardinen vibrieren. Ich auch. Wellenförmige Ganzkörpergänsehaut. Ich werfe mich memmenhaft zu Boden und beobachte von dort die Gardinen.

Da hängt ein kleines, schwarzes Säckchen. Es bewegt sich. Ich greife zum Telefon. „Fledermaus? Um diese Zeit? Das ist ungewöhnlich!“, erklärt die Rezeptionistin und ich solle doch bitte jetzt das Zimmer „ganz schnell verlassen.“. Ein psychologisch schlecht gesetzter Satz. Da ich über Fledemäuse nichts weiß, wähne ich mich jetzt in Todesgefahr, reiße den Laptop aus der Steckdose, rein in den Koffer, Rückzug, die Augen immer zur Gardine gerichtet.
Am nächsten Tag erfahre ich von der Einheimischen Bevölkerung das Fledemäuse: „nix duan, di ham mehrr Angscht vor dir wiea du vor dene.“ Und ich solle nächstes Mal: „des Dier am Nagge pagge und naus schmeise.“. Also die Einheimischen meinten diese Tier hier:

Laß ich doch lieber das Fenster zu nächstes Mal.

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