Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 1. Januar 2006
Herr Paulsen schreibt einen Brief. Heute: an das Jahr 2005

Na, 2005,

wie geht es Dir so, an Deinem ersten Tag als Rentner? Hast ja gestern noch mal gut aufgedreht, mit lieben, wichtigen Menschen bei feinem Essen. Ein würdiger Abschied, Du warst, für mich, ein gutes Jahr. Ich muss Dir aber noch was gestehen. Ich konnte Dich eigentlich Dein gesamtes Leben lang nicht leiden. Du warst unglaublich anstrengend, selten fühlte ich mich so massiv überfordert wie in Deinen Tagen. Alles zuviel, immer müde. Und dabei dann auch den Überblick verloren und erst spät erkannt, Du warst ein gutes Jahr, ein sehr gutes sogar.

Deine Vorgänger wissen es schon, ich werde immer weich und matschig in der Birne, wenn ihr euch verabschiedet. Ich setzte mich hin und denke am ersten Tag des neuen Jahres über uns nach. Darum mag ich auch Neujahr so gerne. Ein wichtiger Tag. Wahrscheinlich für mich erfunden. Der einzige Tag an dem ich kurz inne halte, Resümee ziehe, nach vorne UND nach hinten schaue. Könnte auch jeder andere Tag sein, Neujahr ist einfach praktisch. Das ist ja sonst nicht so mein Ding, das Hinsetzen, das zur Ruhe kommen. Nee, nee. Rock´n Roll-ADS auf allen Bühnen und am liebsten auf allen Bühnen gleichzeitig. Alles annehmen, alles umsetzten, überall dabei sein, nur nix verpassen. Einer geht noch. Einer geht noch rein.
Und dann am Neujahrstag da sitzen und sagen, was für ein Scheißjahr. So anstrengend. Jammern. Große Deutsche Tugend.

Und dann doch noch ein klitzekleiner Gedanke hinterher. Da kann doch das Jahr nix für, da kannst Du 2005 so überhaupt nix für. Alles hausgemacht. Du kannst nix für den Irak-Krieg, für Dieter Bohlen bist Du nicht verantwortlich und für meine vermeintlichen Überforderungen erst recht nicht. Du bist nur der Kalender, den wir füllen. Mit was, das ist unser Problem. Mein „Problem“ liegt vor mir auf dem Tisch. 365 Seiten fahrig voll gekritzelt mit Schlachtplänen, Verpflichtungen, Herausforderungen und Amüsierterror-Terminen. Alles selbst eingetragen, alles gemacht, alles erlebt, überall gewesen. Mir ist es leider erst beim Zurückblättern aufgefallen, Du warst ein verdammt gutes Jahr. Eines der Besten sogar. Top Ten.

Steht da nämlich auch im Kalender. Muss man nur gründlich lesen. Erfolge, Rekorde und Seitenweise Liebe, Anerkennung, Streicheleinheiten, Glück. Ich sehe das erst heute am Neujahrstag, aber es ist ja nicht zu spät, für dieses Gefühl das aus der Mode gekommen ist: Dankbarkeit.

Du bleibst mir im Gedächtnis 2005. Du hast es gut mit mir gemeint. Fast hätte ich es nicht bemerkt.

Tschuldigung,

Paulsen

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