Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Mittwoch, 15. August 2007
Der König der Weltmeere geht aus. Und sehr spät schwimmen. (Markatú Batucada, Concert a la platja)
herr paulsen
14:44h
Wieder einmal sitze ich in der kleinen Gastarbeiter-Casita an der katalanischen Küste, der Nachtwind weht durch die geöffnete Terrassentür und ich tue, was ich hier immer tue, ich denke über mein Leben nach. Die Einsamkeit der Abende hier führt immer direkt zu Selbstzweifeln, Melancholie und Gedankensalat, hier hält mein Leben an, lässt sich betrachten, drängt sich auf, ungefragt. Der Wein verdunstet nebenbei, im Fernseher schneit es. Ich beschließe, mich aus meiner hausgemachten Mentalsklaverei zu befreien und mache mich auf den Weg zum Meer. Die geweißelten Fischerhütten die den Strand säumen sind hell erleuchtet, Fackeln brennen im Sand, das ganze Dorf ist versammelt. Es gibt perlenden Cava aus Plastikbechern und Sodbrennen aus eisbeschlagenen Bierdosen. Junge Paare knutschen hinter gestrandeten Tretbooten, Kinderhorden jagen kreischend andere Kinderhorden durch die Nacht, tiefer gelegt lagern Senioren auf winzigen Klappstühlen und beobachten gestrandete Tretboote. Stark umlagert: ein langer Tisch mit Bergen von Hefekuchen, belegt mit kandierten Früchten und gerösteten Pinienkernen, saftig süß und für alle umsonst. Aus großen Kannen schenken die Dorffrauen dazu einen noch süßeren Honigwein aus, der die Konsistenz von Hustensaft hat und sich erst sanft im Mund und später heimtückisch im Kopf ausbreitet. Und dann: Batucada Time!
Auf der Bühne vor dem Meer stehen 30 junge Menschen, in roten T-Shirts und schwarzen Hosen, mit unterschiedlichstem Schlagwerk in den Händen. Markatú heißt das Orchester aus dem benachbarten Sitges. Der Kapellmeister, den Rücken zum Publikum gewand, reißt seine Trommelstöcke ruckartig in die Höhe, die Donnerschläge der dicken Bass-Trommeln bitten nachdrücklich lautstark um Aufmerksamkeit. Schleppend erst, die Einschläge kommen näher, werden lauter, schneller, es rascheln darunter metallene Schellen, kleinere, hochtönende Trommeln setzen ein, tastet sich nach vorn, nehmen Geschwindigkeit auf bis alles explodiert. Ein rasender Rhythmus, präzise, treibend, von hypnotisierender Gleichförmigkeit. Der Strand tanzt, alles ist in Bewegung. Mit minimalistischen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen ändert der Vortrommler den Kurs, komplimentiert die Bässe hinaus, stoppt die Snare-Drums, weicher, leiser wird der Orkan, die Schellen verklingen, die Rasseln schweigen, es ist nur noch ein einziges Holz zu hören, ein einsames Metronom, tok, tok, tok. Tok. Stille. Nach einem winzigen Fingerzeig des Kapellmeisters kehrt das Inferno zurück, gleichzeitig, absolut synchron, eine Wall of Sound, meterhoch, die Luft vibriert.
Das ist harte Arbeit. Die Männer schwitzen männlich, die Frauen sehr elegant, alle lachen, tanzen, bewegen sich geschmeidig und rhythmussicher. Ich hab da so meine Probleme. Tanzen unbedingt, Stillstand unmöglich! Nur welcher Trommel folgen? Der hektischen Snaredrum oder lieber doch auf den weichen Basswellen reiten? (Eine Problematik die übrigens schon Ende der Neunziger dafür sorgte das der vielschichtige „Drum&Bass“-Sound nur kurzfristig in den Clubs überlebte und letztendlich der klebrig-gleichförmigen Housemusic die Tanzfläche überlassen musste). Ich entscheide mich (glaube ich jedenfalls) für die Snare und hibbel in Badelatschen durch den Sand. Insgesamt ein unwürdiger Auftritt, aber ich muss, die Trommeln zwingen mich dazu. Nach über einer Stunde ist Schluss, das Hemd klebt, die Lunge rasselt. „A la platja!“ ruft eine junge Trommlerin ihren Kolleginnen zu, die Frauen rennen zum Meer, ziehen sich eilig aus, sind vorbereitet, sonnengebräunte Haut und schwarze Bikinis, rein ins schwarze Wasser. Ich bin beeindruckt. Und ich erinnere mich. Ich bin der König der Weltmeere. Ich war es, der die gefährlichste Brandung an diesem Strand meinem Willen unterwarf. Ich war es der an diesem Strand das Kaltschwimmen einführte und die kiffende Jugend dafür begeisterte! Ich muss da rein. Kinder machen jeden Tag irgendetwas das erste Mal. Für in die Jahre gekommene Weltmeereskönige ist es schon schwieriger, etwas das erste Mal zu tun. Hier ist meine Chance. Nachtschwimmen. Ich schlackere mir die Flip Flops von den Füßen, ziehe mein Hemd aus und dann die Hose und ich danke dem Herrn für die Wahl meiner Unterhose, nachts um halb Eins im Dunklen durchaus strandtauglich, fast eine Badehose. Zur Sicherheit nehme ich aber dennoch ausreichend Abstand zu den badenden Batucada-Girls. Zögernd bewege ich mich auf das Meer zu, der schwarze Himmel geht fliesend ins Wasser über, der Himmel ist bedeckt, kein Mond, das Wasser glitzert nicht, keine Wellen die sich erkennbar brechen, nur die Füße spüren tastend das Wasser. Ich gehe ins Nichts. Ich tauche ein ins Nichts, schwimme erste Züge durch die Nacht da kommt aus der Dunkelheit etwas auf mich zu, taucht unvermittelt vor mir auf, erstreckt sich über die gesamte Länge meines Blickfeldes, ein geisterhaft leuchtender rauchgrauer Schatten durchschneidet sanft die Nacht, kommt sehr schnell näher, erreicht mich, trennt sich, Wasser klatscht mir ins Gesicht, dann ist es wieder weg. Wellen! Kleine, ungebrochene, weiche Wellen bei Nacht. Wunderschön: diese fahle Leuchten, das lautlos schwebend sich bewegt. Ich beschließe noch etwas weiter hinaus zu schwimmen, nach drei Zügen verweigert aber der Kopf die Reise, raus auf die schwarzer See. Ich drehe mich um, sehe die Lichter der Hütten und Fackeln und ich kehre gerne zurück an den Strand, verlasse das Meer, in dem ich nach Einbruch der Dunkelheit wahrscheinlich einfach nichts mehr verloren habe. Es bleiben die rauchgrauen Wellen, die Entdeckung des Batucada und eine nasse Unterhose in salzschweren Jeans. ------------------------------------------------------ Links zum Thema: Markatú Batucada: Olodum: http://olodum.uol.com.br/ Batucada bei lastfm entdecken: http://www.lastfm.de/listen/globaltags/batucada
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