Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 3. August 2006
Paulsen, tollkühner Wellen-Bezwinger und wiedergeborener König aller Weltmeere, geht baden.


Wellenwand. Na gut, nicht ganz so groß. Aber fast!

Wiedergeburt, das ist ja so ein Thema für Leute die Schiss vor der eigenen Endlichkeit haben und derartig selbstverliebt sind, dass sie sich nicht vorstellen können, dass sich die Erde auch mal ohne sie dreht. Oder natürlich für kluge Buddhisten mit Durchblick. Ich gehöre momentan keiner dieser beiden Gruppen an, denke aber viel nach in den letzten Tagen. Irgendwas stimmt nicht mit mir. Ich verändere mich.

Wir mussten die Arbeitszeiten ändern in unserem Fotokloster, es ist einfach zu heiß. Seitdem stehe ich jeden Morgen um fünf Uhr auf. Macht aber nichts, denn dafür stehe ich jeden Nachmittag, spätestens um fünf Uhr am Meer. Und da passiert es, ich werde ein Anderer. Ich tauche ein, ich schwimme los, mit kräftigen Zügen. Mein Körper, den ich zuhause immer ein bisschen ungelenk, verspannt und dicklich finde, bewegt sich geschmeidig. Meine dünnen Arme schaufeln kraftvoll, elegant durch die Wellen, ich schwimme weit hinaus, ich werde nicht müde und es ist, als hätte ich nie etwas anderes getan. Es ist nicht so, dass ich sonst ein großer Schwimmer wäre. Ich habe seit zwanzig Jahren kein Hallenbad mehr betreten und der Besuch eines Freibades erscheint mir selbst bei größeren Hitzewellen völlig absurd. Muffelig riechende Baggerseen mit Algenbefall animieren mich höchstens zum Grillen am Uferrand. Nein, für mich muss es schon Meer sein.

Jeden Tag schwimme ich eine Stunde und erst am Strand bemerke ich, dass ich nichts gedacht habe, in der letzten Stunde, nur bemerkt. Die mir eigene Gedankenrastlosigkeit ertrinkt, während ich weiter schwimme. Die Geräusche des Wassers hören, das weiche Wippen spüren, das Perlen des Wassers durch meine Hände. Unter Wasser ein Geräusch. Das feine Klirren der Ankerketten im entfernten Fischerhafen, wie dünne Glasstäbe die aneinander schlagen. Und wie das Meer riecht, wie das Meer schmeckt! Kein Koch würzt so verschwenderisch wie das Meer und doch so elegant. Tauchen auch, tief eintauchen in die steigende Kühle, dem verschwommenen Grund entgegen. Ich huste viel zuhause, ich rauche ja auch viel. Im Meer habe ich Luft.

Heute brandete das Meer den ganzen Tag schon in hellschaumiger Aufregung. Vom Küchenfenster aus konnte ich sehen, wie sich die Wellen bereits auf dem offenen Meer brachen, eine große Freude erfasste mich. Ja, heute war ein roter Tag!
Ich bin sofort nach der Arbeit, ich sag mal, sehr schnell zum Strand gelaufen und meine Enttäuschung war grenzenlos. Gelb. Die Flaggen am Strand waren gelb. Gelb ist Kinderkacke, das haben wir hier jeden zweiten Tag, Gelb, das macht MC Winkel in seiner Jacuzzi zuhause per Knopfdruck, Gelb ist nichts für Meeresbezwinger wie mich. Trotzdem warf ich mich sehr männlich in die rauschende Flut und bemerkte schnell, holla, das ist aber sehr gelb heute.

Um mich herum nur Wellenberge, kein Horizont mehr zu sehen, überall Wellen, sehr große Wellen und heute mal nicht nur von vorn, nein auch von links und rechts, dazwischen fließende, saugende Wellentäler mit perlend schäumenden Augen. Na, das ist doch voll mein Ding hier, denke ich noch, überprüfe kurz, ob wenigstens der Strand noch da ist und wende mich beruhigt wieder dem Meer zu. Ich habe Sie nicht kommen sehen. Die Mutterwelle.

Es kommen ja immer so vier-fünf Babywellen, dann zwei-drei Halbstarke und dann folgt immer die eine, die Mutterwelle. Diese hier, vor mir, ist so groß wie eine Gartenlaube und so breit wie acht Getränkeautomaten nebeneinander. Eine Wand aus graugrünem Wasser, die Luft ist flüssiges Salz. Ich habe Sie nicht kommen sehen, es ist zu spät. Ich könnte tauchen. Tauchen bei Wellengang ist was für Grün-Schwimmer, ich tue das einzig richtige. Ich stelle mich der Gefahr. Ich springe seitlich auf die Gartenlaubenwand. Eine gute Entscheidung, sofort werde ich aufs Hausdach gezogen, für einen Moment gibt es wieder einen Horizont, sogar mein Po ist jetzt aus dem Wasser! Tolle Sicht. Nur Kurz, plötzlich bin ich im Inneren der Gartenlaube, Hausbesichtigung, ungefähr zwanzig Sekunden, dann spuckt mich die Gischt am Strand aus.

Ich gehe ein bisschen unsicher. Ja, gut, ich wanke. Ich ziehe mir die Badehose wieder hoch und kucke mit brennenden Augen den Strand entlang. Ganz verschwommen sehe ich in der Ferne den Bademeister. Er winkt mir. Meint er mich? Neben dem Bademeister ist frisch beflaggt. Rot. Der kann mich mal, denke ich und kehre selbstverständlich sofort zurück ins Meer. Und es erfasst mich ein Gefühl der Freude, ein tiefer Stolz, als ich erkenne, ich bin nicht allein. Alle anderen Kinder bleiben auch noch im Wasser.