Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Sonntag, 13. August 2006
Das Küchenwunder von Sitges, plötzlicher Wintereinbruch & warum wir Montag tanzen gehen.
herr paulsen
12:58h
Es regnet. Ein glitzernder Teppich aus Wasser fließt gurgelnd die abschüssigen Strassen hinunter, zurück ins Meer. Hinter den großen Fenstern sitzen wir, warm und weich auf rotem Leder, unter einem Kronleuchter aus Glühlampen an metallenen Duschschläuchen. Die Stimme von Horace Andy wispert durch die Blätter der Speisekarte, die feinen Loops von Massive Attack wehen durch leere Weingläser, das passt, wir sitzen im „Mezzanine“. Unser Kellner sieht aus wie ein in Würde gealterter Tim Curry, Frank-N-Furter trägt das ergraute Haar kurz geschnitten, einladend zeigt er ins Restaurant, natürlich hat er noch einen Tisch für Brad und Janet, nicht reserviert, kein Problem, er lächelt: „jetzt noch nicht.“ Es ist 21 Uhr, außer unserem ist nur ein großer Tisch belegt, mehrere attraktive Frauen mit vielen, gut gelaunten Kindern und am Kopf der Tafel ein König der das Leben liebt. Tim Curry bringt den Wein, sein Kollege nimmt die Menü-Wünsche entgegen. Die Karte ist viersprachig, ich bestelle auf Catalan, weil es so schön klingt. Auch auf Französisch klänge es sehr verheißungsvoll, nur auf Englisch klingen alle Speisen, als bestelle man in einer Pommesbude. Arme Engländer. Es tauchen Fragen auf, bezüglich der Bestellung und schon ist Schluss mit Sprachwunder Paulsen, „do you speak english?“, fragt der Kellner und ich nicke dankbar. Die Blutwurst-Tarte mit karamellisierten Äpfeln und einem Mille-Feuille von hauchdünnen, rohen Birnenscheiben mit Gänseleber beendet auf spektakuläre Art die wochenlange, kulinarische Finsternis. Ob es geschmeckt habe, fragt Tim Curry siegessicher lächelnd, er weiß, dass hier ein Küchenwunder passiert. Der Rindertatar ist fein gewürzt, die Pommes Frites dünn und kross. Die Scheiben von der Lammkeule schmelzen in einer kräftigen Rosmarin-Jus, begleitet von einem tadelosen, cremigen Kartoffelgratin der alten Schule. Es wird viel geküsst im Mezzanine, euphorisch begrüßt Tim Curry seine Gäste. Das Restaurant füllt sich mit Gruppen und Paaren, allesamt gut gekleidete, äußerst gepflegten Männer mit muskulösen Körpern, die kaum reinpassen in die feinen Stoffe, die mehr zeigen als verhüllen. Irgendwann ist auch die Empore gefüllt, ich zähle nach, 48 Sitzplätze und zwei Kellner. Leicht, fast tänzelnde fließt der Service, keine Hektik, freundlich, zügig und entspannt umsorgen die beiden Ihre Gäste. Es ist immer schön, Menschen zuzusehen, die Spaß bei der Arbeit haben. Am Nebentisch wird ein kleiner Kuchen mit Geburtstagskerze aufgetragen, der König und sein Hofstaat singen einem sichtlich verzweifelten Teenager ein Geburtstagsständchen. Das Mädchen möchte am Liebsten verschwinden unter dem Tisch, so läuft das aber nicht, nicht im Mezzanine. Kaum ist die letzte Strophe gesungen, brandet im ganzen Lokal, zeitgleich und unabgesprochen, tosender Applaus auf. Gänsehaut und was für eine schöne Geschichte hat das Mädchen später mal zu erzählen, von ihrem vierzehnten Geburtstag, den sie in Sitges erlebte, klatschend gefeiert von nahezu vierzig begeisterten Schwulen außer Rand und Band. Das Dessert ist göttlich, der luftige Schneeball aus Frischkäsemousse auf Erdbeerpürree, ebenso die gut gekühlte, zartbittere, zart-schmelzenden Schokoladen-Terrine auf Vanillecreme. „Schreib das auf, das bist du deinen Lesern schuldig“, sagt die Liebste, anspielende auf die zahllosen kulinarischen Klageschriften mit denen ich meinen Blog in den letzten Wochen bewölkte. Außerdem muss ich der Liebsten jetzt jedes Mal einen Euro zahlen, wenn ich über die kulinarische Ödnis Kataloniens wehklage. Heute macht sie keinen Pfennig! Tim Curry vertröstet zwei glatzköpfige Briten mit Wodka-Lemon und der Aussicht auf einen baldigst freien Tisch, da helfen wir doch gerne. Kaffee noch und einen Digestif, ob denn „Apple“ gut wäre? Ja, ein Apfelbrand, das wäre was, denke ich und nicke kräftig. Es kommt dann etwas Klares, was schmeckt wie „Berentzen-knackiger Spaß im Glas“, oder zumindest stelle ich mir das so vor. Macht ja nix, rein damit und auf Wiedersehen. Ganz sicher. Die Briten halten vorfreudig Händchen und Tim Curry winkt uns freundlich nach. Im Taxi durch die regengraue Nacht, helter-skelter auf der Küstenstrasse, da leuchtet es schon von Weitem, ganz fremd und viel heller also sonst, mein kleines Dörfchen. Fiesta Major, das große Dorffest beginnt heute. Vor Tagen schon konnte man eine Eintrittskarte für das große Essen auf dem Bahnhofsvorplatz bestellen, ich verzichtete, die Zweisamkeit mit der Liebsten im Sinn und siehe da, es war keine schlechte Entscheidung. Unter grellem Flutlicht sitzen die Dorfbewohner an langen, feuchten Holztischen, von regenschweren Party-Girlanden tropft es in gemischte Salate die in Aluschalen schwimmen. Stimmung? Super! Ein Meer von Coca Cola Plastikbechern wird beständig gefüllt mit Wein, Bier, Cava und leichtem Sprühregen, ein wunderbarer Fatalismus und viel Alkohol hat die Gutwetter-verwöhnten Dorfbewohner ausharren lassen, denn gleich kommt die Band! Erstmal aber gibt es eine Tomboal auf der großen Bühne. Per Flüstertüte werden die glücklichen Gewinner ausgerufen, emsig beklatscht von der weinseligen Dorfjugend, nehmen sie noch mehr Wein als Gewinn entgegen. Den Hauptpreis, ein luftgetrocknetes Bein vom Schwein hat der Ortsvorsteher gewonnen, wieder wird geklatscht, man muss auch gönnen können. Dann baut endlich die Band auf. Stundenlang, wie uns scheint, Nässe und Kälte kriecht uns durch die luftige Sommerkleidung, es ist Winter geworden und wir frieren bei 20 Grad im feinen Sprühregen. Wir geben auf, das letzte Bier nehme ich als Wegzehrung mit hinauf in unsere Casita. Und dort hatten wir dann doch noch was von der Band. Die fangen nämlich hier spät an, hören dafür aber nicht mehr auf. Bis um 6 Uhr in der Früh waberten die Bässe den Berg hinauf, krochen durch den Spalt der leicht geöffneten Verandatür, schlüpften unters feine Laken und kitzelten uns in den Ohren. ... Link |
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