Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Sonntag, 11. Dezember 2005
Die ewigen Kinder. Eine Weihnachts-Chronik.
herr paulsen
09:09h
Ende November werden die ewigen Kinder langsam nervös, telefonieren mehr als sonst und planen genau. 23.12. 24.12, 9:00-16:00 Papa ist schon früh wach, er macht viel Krach im Keller, da wo seine alten Bergsteigersachen lagern. Ich stehe dann auch mal auf. Es ist Neun, ich habe einen Kater, Mutter steht schon im Mantel in der Küche. „Junge, sag mal, was habt ihr gestern viel getrunken, also ich könnte das nicht, wie du aussiehst, nimm mal eine Vitamintablette, wir wollen doch heute Abend schön feiern, ich muss jetzt noch einkaufen, so viele Menschen im Haus, da reicht das Essen ja nie, hilf mal Papa mit dem Baum.“ Früher hat Papa den Baum geschmückt, seit ein paar Jahren machen die ewigen Kinder das. Die Eltern legen sich hin, „wird ja lang heute Abend“ und wir schmücken den Baum. Peter und ich geben dann jedes Jahr traditionell ein in die Jahre gekommenes schwules Designer-Paar aus Frankfurt, bewerfen uns mit Lametta und sagen Sachen wie: „Jean-Piäääär, ein drääääumsche, die Fischde!“ oder, „Poolseen, an mai Dänsche muss Lamedda und Ledda!“ Julia ist schon nach kurzer Zeit schwer genervt, wir winken Ihr zum Abschied mit Geschenkpapierbögen: „isch glaab se is veschdoggt!“ 24.12-25.12 Noch eine Stunde bis zur Kirche. Seit zwei Jahren gehen wir ohne Diskussionen mit. Weil wir alt geworden sind. Und müde. War nicht immer so. Früher war ab 15:00 Uhr Kaffee, Kuchen, Glaubenskrieg. Über gemischtes Gebäck gebeugt, eröffnete Mutter klassisch: Mutter: „Ich hab dieses Jahr gar nicht selbst gebacken, die Patienten bringen ja immer soviel mit.“ Einmal, während meiner Buddhistischen Phase, habe ich den Text verändert und gesagt: „Vorschlag! Wir machen alle eine von mir geführte Karmapa-Meditation, gleich hier auf dem Teppich, das geht elf Minuten, dann gibt es Lachs und dann Geschenke.“ Gegen Mitternacht haben wir damals angefangen auszupacken. In der Kirche haben die ewigen Kinder immer viel Spaß. Julia singt super, sie kann während des Singens die Tonhöhe verändern, Peter und ich versuchen das auch. Zuhause gibt es dann Räucherlachs und Sekt. Wir trinken immer unanständig viel an Weihnachten. Alle. Julia schmeißt sich dann ans Klavier, den Eltern wird ganz feierlich, aber nur kurz, meine Bruder und ich haben herausgefunden, das Weihnachtslieder viel besser klingen wenn man sie als Duett singt, Johnny Cash und Bob Dylan. Und Julia legt auch gerne mal einen Zahn zu, beim spielen, a Technoversion of „es ist ein Ros entsprungen“, feat. Johnny Cash und Bob Dylan. Gegen elf gehe ich dann endlich eine rauchen, ich darf das jetzt, auf dem Balkon, ich habe meinen eigenen Aschenbecher, den Mutter schon am 23sten seufzend in den Schnee drückt. Früher war ich immer alleine da draußen, seit 1998 leistet mir meine Schwester dort Gesellschaft, damit ich nicht so einsam bin. 2000 stieß mein Bruder zu uns. 2005 erzählen Ihnen meine Eltern auf Anfrage gerne, wie glücklich sie sind, das nur der Älteste süchtig geworden ist. Spätestens um Zwei bringen wir die Eltern ins Bett, die ewigen Kinder sind da sehr fürsorglich, wir wissen, ab Acht steht Mutter in der Küche, wegen der Gans, die muss doch um Fünf fertig sein. Papa räumt ab 6:30 Uhr das Weihnachtszimmer auf und tauscht die Kerzen am Baum aus. Für die festliche Stimmung, wenn die Gans gegessen wird. Und die Kinder fahren ja auch immer schon so schnell wieder. Wenn die Gans Geschichte ist, und der Wein getrunken, wird es leiser. Das ist der Moment vor dem sich die ewigen Kinder fürchten, sie fangen an, Koffer zu packen, erst in Gedanken und am nächsten Morgen packen sie wirklich. Sie tun das aus Erfahrung. Und weil sie nächstes Jahr wiederkommen wollen und feiern, gemeinsam und mit ihren, ja schreib ich es halt, geliebten Eltern, deren Liebe grenzenlos, aber nur begrenzt zu ertragen ist. ... Link |
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