Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 23. Oktober 2008
Not eines Handlungsreisenden

Vielleicht ist es ja nur eine Fehlstellung der Zähne, des gesamten Kiefers! Nein, es kann nicht sein. Das junge blonde Mädchen sieht angeekelt zu mir herab, „zu viel!“, sagt sie und lässt das Blöckchen sinken.

Ich wiederhole noch einmal meine Bestellung, zuerst die Muscheln in Weißweinsauce, dann die ganze Dorade mit Salat. Zuviel, wiederholt das dünne Mädchen und verschränkt die Arme. Ich kucke verblüfft. Das habe noch nie ein Gast gegessen, erklärt das Mädchen. Dann wird’s Zeit, brause ich schon ein bisschen auf. Doch, nein, leider nix zu machen. Erst die Muscheln und dann schauen wir einmal weiter, befielt das Mädchen und der Ekel um ihren Mund scheint beinahe schon einen Schrei zu bilden. „Es sind doch nur Schalen!“, will ich dem blonden Mädchen noch erläutern, aber es ist schon geflüchtet.

Ich denke dass es gut war, dem dünnen Mädchen nicht zu erzählen, dass das Essen in der Fremde das Wichtigste ist und dass es lang gehen muss, mehrgängig sein muss, weil die Hotelzimmer riechen und hässlich sind und nur bei Dunkelheit, mit geschlossenen Augen überhaupt zu ertragen, darum Wein und Essen, so lange es geht, als Vergnügen, ein Genuss, die Zeit wegessen. Sie ist zu jung, sie hätte es nicht verstanden, ihr Kiefer wäre raus gesprungen vor Schreck.
Ich kann sie von meinem Platz aus sehen, sie redet über mich, rollt die Augen, ihr Chef nickt mitleidig mit zusammengepressten Lippen, sieht mit abschätzigem Blick zu mir herüber.

„Mein Chef sagt auch dass das gar nicht geht Muscheln und Dorade, schafft keiner, hier, das ist nämlich ein Kilo Muscheln, guten Appetit.“ Die Muscheln sind wunderbar, die besten die ich je aß, das Geheimnis, ich kommen lange nicht drauf, ist, neben unfassbar viel Knoblauch und Wein und Gemüse und Butter…Ingwer! Ein Hauch Ingwer, Muscheln ungeahnt gut!

Ich habe Hunger. Um nicht weiter aufzufallen bestelle ich noch ein Glas Weißwein, den anderen diesmal. Das waren ja nur Schalen und Sud. Die Brötchen habe ich kaum angefasst, Brötchen passen nicht zu Muscheln, nix passt zu Muscheln, nur unfassbar viel Knoblauch und Wein und Gemüse und Butter, und neuerdings Ingwer. Wie denn die Muscheln waren, fragt das blonde Mädchen. Ich zeige mich begeistert. „Na Gott sei dank", sagt das Mädchen, "ich dachte schon sie seien sauer auf mich!“

Ich habe wirklich noch Hunger. Käse! Käse ist unverbindlich. Kann man machen. Käse schließt den Magen! Es gibt eingelegten Schafskäse und eingelegten Ziegenkäse. Ich kann mich nicht entscheiden. Es gibt auch eine Käsevariation, die bestelle ich mit fester Stimme. Das Mädchen ekelt sich sehr vor mir.

Das Mädchen ekelt sich so sehr vor mir, dass die junge braunhaarige Bedienung einspringen muss, sie bringt den Käseteller, gemeinsam sacken wir in die Twilightzone: denn jetzt sagt das braunhaarige Mädchen unvermittelt und mit klarer Stimme: „Aber schön aufessen, jetzt! Damit das Morgen auch schönes Wetter wird!“ Ich kann mich gar nicht bewegen nur weiter atmen, sitze da und glotze. „Meine Freundin hat mir erzählt, dass sie eigentlich sogar noch die Dorade essen wollten!“ Kichernd entschwindet das braunhaarige Mädchen.

Ich esse den üppigen Käseteller mit einer Mischung aus Scham und Vergnügen. Die dünnen Mädchen schauen vom Tresen zu mir herüber, lachen und trinken lustige Getränke mit Strohalmen. Ich lasse nur die unerklärliche Nocke Philadelphia-Frischkäse liegen, drei Oliven und einen roten Dipp der riecht und schmeckt wie die Turnhalle einer Knabenbesserungsanstalt. Ich hätte aufessen sollen. Die Blonde naht, Triumph im Schritt. „Na!“. Und dann: „Nicht mehr aufessen? Kann ich abräumen?“ Sie spricht als sei ich ein niedliches Baby. Ich antworte nicht. Sie nimmt die Teller auf. Geht. Dreht sich noch mal um. Bleibt stehen: „Und? Noch die Dorade?“

Später will man mich kaufen. Nein nicht wirklich, wahrscheinlich bekommt jeder hier noch einen Schnaps aufs Haus. Ich bestelle einen Carajillo. Ob ich denn noch einen Brandy aufs Haus haben wolle? Ich mache darauf aufmerksam, dass der Brandy bereits im Carajillo ist. Hat sie nicht gewusst, ich fühle mich sofort: altväterlicher Kluscheisser. Trotzdem noch einen Brandy? Zwei wären tatsächlich zuviel, erkläre ich. Noch einen Espresso? Ich erkläre, dass auch der sich bereits im Carajillo befindet und schlage vor, sie könne mir doch einfach den Carajillo ausgeben. Das ginge nicht, denn: „den hab ich schon gebongt.“
Dann nix? Dann nix!

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www.don-carlos-bremen.de