Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 10. Januar 2008
Trash TV. Mein langer Weg zurück zu ARTE.


Foto:Eris23

Lassen Sie sich nicht täuschen. Auch wenn es zunächst so aussieht, als sei ich ein halbwegs gebildeter Mensch mit abgeschlossener Sozialisation, solidem Denkvermögen, Kritikfähigkeit sowie der Literatur, Kunst und schönen Musik zugeneigt, dann muss ich Sie enttäuschen. Die Dinge liegen anders.

Ich sehe mir im Fernsehen zwanghaft diese serienhafte Langzeitproduktionen der Privatsender an: „Deutschland sucht den Superstar“, „Germany´s Next Topmodel“, „Let´s Dance“, „Bauer sucht Frau“…

Anfangs gab ich noch der Liebsten die Schuld, setzte mich mit gespielt gequältem Augenaufschlag „dazu“ (Co-Abhängigkeit). Heute flackert Panik auf wenn die Liebste in den Werbepausen kurz durchschaltet: „Um Gottes Willen, lass das! Gleich geht "Raus aus den Schulden" weiter!“

Natürlich kämpfe ich dagegen an, es ist schwer, irgendwas läuft ja immer, aber ich kämpfe! Suchtersatzstoffe wie DVDs und Kinobesuche schlagen gut an! Mein größter Erfolg bislang: von „Stars auf Eis“ sah ich nur die letzten drei Folgen! Ein herber Rückschlag war allerdings die letzte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“. Nur mal kurz reinschalten in die Auftakt-Sendung wollte ich damals. Dann kam Dieter Bohlen und die Frau die die Haare schön hatte.

Es folgten ungezählte Fernsehabende voller Vorwürfe und Selbstzweifel. So schlecht ging es mir bei der letzten Staffel von DSDS, dass ich, wenn ich gezwungen war Samstags auszugehen und mich mit Menschen zu treffen, mir anschließend Sonntags den Wecker stellte um die Wiederholung nicht zu verpassen! Auch habe ich in dieser Zeit vielen Menschen, zum Teil lieben Freunden, etwas vorgegaukelt: nicht selten moderierte ich Sonntags (äußerlich gefasst) eine Literaturveranstaltung, tat so als sei alles ganz normal, dabei hatte ich zuvor DSDS gesehen!

Ich vereinsame zunehmend. In meinen Kreisen spricht man nicht über SOWAS, obwohl ich den Verdacht habe dass sich auch und gerade unter meinen Freunde und Bekannten viele Süchtige befinden. Darum habe ich mich entschieden, meine Situation hier öffentlich zu machen, als Teil meines Kampfes gegen die Sucht, als Schritt zurück ins Leben (alles auf ARTE, Tatort und Tagesschau) und um anderen Mut zu machen!

Es gibt aber auch Grenzen. „Big Brother“ zum Beispiel, habe ich nie angefasst! Echt jetzt. Das ist einfach zu krass das Zeug! Und morgen startet wieder das Dschungelkamp („Ich bin ein Star, holt mich hier raus“). Da habe ich damals vor vier Jahren die ersten beiden Staffeln gesehen, ich war jung und konnte die Gefahr noch nicht einschätzen. Heute weiß ich: so tief will ich nicht mehr sinken, dann doch lieber eine Doppelfolge „Frauentausch“.

In zwei Wochen allerdings, startet die fünfte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“. Neben Dieter Bohlen sitzt dann auch der „Die Fantastischen Vier“-Manager und „Four Musik“ (Freundeskreis, Joy Denalane, Max Herre, Gentleman)-Label-Gründer Bär Läsker in der Jury.

Oh Gott, drücken Sie mir die Daumen.

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Link zum Thema:

FAZ.NET:
Zwischen Trash und Trübsinn

3sat:
Trash TV als positive Gehirnwäsche