Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 23. Juni 2007
Begegnung mit einem König

Er sitze gerne vor Kunstmuseen, sagt er, die Menschen seien zivilisierter dort und gäben reichlich für sein Volk. Er beugt sich ein bisschen nach vorn und flüstert: „Die Menschen glauben ich sei selbst ein Künstler.“ Ein dröhnendes Lachen aus dem dichten Bart ohne Mund: „Dabei bin ich doch König!“

„Für mein Volk“ steht auf dem Pappkarton zu seinen Füssen, daneben eine Dose aus Weißblech in der Euro-Stücke liegen, Einer, Zweier, 50 Cent-Münzen, kaum kleineres Geld, ein 5-Euro-Schein. Der König näht gerade mit einem dünnen, blauen Faden eine Postbotin an den linken Arm seines grobmaschigen blauen Pullovers. Mit geröteter Hand führt er die dünne Nadel mit dem Garn immer wieder um die Hüfte der Postbotin. Gleich neben der Postbotin sind drei Müllmänner, eine Badenixe und ein Schrankenwärter fest genäht. Winzige Miniaturfiguren überall auf dem Pullover, Polizisten, Sanitäter, spielende Kinder, ein Herr mit Anzug und Aktentasche. Auf der rechten Schulter des Königs picknickt eine Familie, schwankend durch die Nähbewegungen. In seinem Bart entdecke ich einen Bergsteiger. Wieder dieses volle Lachen: „Den hab ich da als Blickfang für die Menschen reingehängt, der kommt Abends in die Tasche.“

Das Geschäft läuft gut, gerade vor den Kunstmuseen. Immer am Montag hat der König frei und macht sich auf die Suche nach einem Modellbaugeschäft, für einen Teil des Geldes „befreit“ er dann Figuren aus den Abteilungen für Modelleisenbahnen und führt sie zu seinem Volk. Teuer sei das und auch die Modellbaugeschäfte würden immer weniger. Sie können ja auch im Internet bestellen, sagen die Verkäufer, wenn er sich über die schrumpfende Auswahl beschwert. „Und kaum noch Zivilisten! Alles Soldaten!“. Aus ganz Deutschland kommen seine Figuren, „ich kaufe überall wo ich bin“. Teile seines Volkes stammen außerdem aus Spanien, Italien und Frankreich. Er zeigt stolz auf einen Mann, der ein Baguette unter dem Arm trägt. Die obere Baguettespitze ist abgebrochen, ein Unfall, „im Schlaf“.

Nachts spricht er zu seinem Volk, "gegen die Einsamkeit". Aber nur Nachts, „tagsüber denken die Menschen ja ich hab einen an der Murmel, ich tick nicht ganz richtig, dabei tickt das alles prima bei mir!“ Er lacht laut, wirft die Arme in die Höhe, der Bergsteiger fällt aus dem Bart, „ooooh-hauaha!“.

Wie denn der König den Pullover wäscht, will ich wissen, der König schaut irritiert. „Ich bin doch immer an der frischen Luft, der ist prima gelüftet!“ erklärt der König ein bißchen beleidigt, und dann mit einem vorwurfsvollen Fingerzeig auf meine Zigarette: „Und ich rauche nicht! Wie das stinkt!“
Zärtlich streichelt er den Helm des abgestürzten Bergsteigers, „Helm ist wichtigt!“

Zwei japanische Touristen kommen zögerlich näher: „Foto?“, fragen sie. „Fünf Euro!“, lacht der König und steckt den Bergsteiger zurück in seinen Bart, bevor er seinen Rücken durchdrückt und stolz in die Kamera blickt.