Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Donnerstag, 17. Mai 2007
Herr Paulsen geht aus: „Was gibt´s denn da zu klatschen?“-Ska Mutiny Tour 2007, Tower Club, Bremen
herr paulsen
20:53h
Haben Sie schon mal in einer größeren Menschenmenge als einziger euphorisch geklatscht? Ich durfte das damit verbundene Gefühl ganz überraschend ausprobieren. Beim wohl eindrucksvollsten Ska-Konzert der vergangenen Jahre, das am vergangenen Dienstag überraschenderweise in Bremen stattfand. Ahnt ja keiner, dass sich einige der legendärste Weißbrot-Skaster aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Kanada und den USA ausgerechnet an einem Dienstagabend in Bremen zu einer Session treffen würden. Als ich den Tower Club betrete muss ich feststellen dass man in Bremen pünktlich beginnt. Eine kurze Publikumsumfrage ergibt: ich habe King Django verpasst, die amerikanische Ostküsten-Ska-Legende, den Mann mit den geschmeidigsten Riddims, ein unaufgeregter Old-School-Rocker, der New Yorker ist schon eine halbe Ewigkeit im Namen des Roots-Reggae-Ska unterwegs. Menno. Schnell ein Trostbier. Haake Beck schmeckt wie mehliger Pilzbefall. Riecht auch so. Und auf der Bühne steht einsam ein Mann, der ein bisschen aussieht wie The Edge von U2 und eine Wandergitarre in der Hand hält und ankündigt, er spiele jetzt Ska. Ja genau, denke ich noch und drehe mich wieder zur Bar. Liedermacher-Ska, ich mein gehts noch! Rrrrt, rrrt, rrrt, rrrrocksteady! Eine Stimme, sanft und glasklar, schwebt über der Klampfe und forderte zum Tanz. Es ist als habe Smartass Jack Johnson endlich den Rocksteady entdeckt. Wunderschön! Ich habe den Mann mittlerweile gegoogelt, Chris Murray kommt aus Kanada, hat schon mit Laurel Aitken, Prince Buster und den Specials gespielt und er und seine Gitarre sind locker abendfüllend, lo-fi madness! Mit jedem Lied aber krabbeln neue Musiker auf die Bühne, am Ende des Sets stehen zwölf Musiker auf der Bühne, die druckvolle Bläsersektion allein ist fünfköpfig, eine pluckernde Wahwah-Orgel umhüllt sparsam-geradlinige Gitarrenriffs, minimalistisches Schlagzeug dazu, herzlich willkommen, die brillante Begleitband des Abends: Regatta 69. Internationale Besetzung, 1500 Konzerte in den letzten Jahren, diese Männer kennen ihre Instrumente. Am besten gefällt mir Brian. Brian heißt nur Brian, ist aus England, sieht aus wie ein schicksalsgebeutelter Komparse aus einem dieser deprimierenden Mike Leigh- „Arbeiterklassenelend-mit Pianountermalung“-Filmen und spielt Trompete wie Gott. Die Töne werden zu flüssiger Schokolade. Überhaupt dieser Sound! Das hier ist old-school Ska, Rocksteady, schleppende 2-Tone Erinnerungen, rub-a-dub-style. Der warme Sound von Studio One-Orginalaufnahmen, ohne die knisternden Kratzer auf der Schallplatte, blasen durch den Tower-Club, ein düsteres Wohnzimmer von geschätzten 70 Quadratmetern, gepflastert mit Konzertplakaten die die Welt vergessen hat. Familiär ist das, pro Gast ein Quadratmeter, Bremer Studenten versuchen sich im Skanking-Wiegeschritt und egal wo man steht, man steht immer vor der Bühne. Plötzlich riecht es streng lieblich hinter mir, der Duft von tausend Rosen aus Zuckerwatte überfällt mich schlagartig, ich drehe mich um, da steht er! Mein alter Freund Dr. Ringding, die deutsche Ska-Legende aus Münster/Westfalen, der Mann der alles kann, Ska, Reggae, Dancehall sowieso, aber auch Calypso, Jazz, Blues, Country und Swing. Der Mann der dem ganz breiten Publikum leider nur durch seine einmalige Zusammenarbeit mit der deutschen Crossover Band H-Blockx („Ring of fire“) bekannt wurde. Seit 1987 steht der begnadete (und dieser abgelutschte Begriff sei hier einmal rechtmäßig verwendet) Musiker und Sänger auf der Bühne, spielt/e bei den legendären „El Bosso & die Ping Pongs“ um anschließend zehn Jahre lang mit seiner Band „ Dr. Ringding & the Senior Allstars“, musikalisch grenzenlosen und oft sehr jazzigen Ska zu spielen. Oberliga. Als sich „Dr. Ringding & the Senior Allstars“ 2002 trennten, habe ich auf der Abschiedstournee vor der Bühne erfolglos einige Tränen verdrückt. Und da steht er, hinter mir, und sein Parfum hat kriegsentscheidendes Potential. Er stürmt auf die Bühne: „Moinsen, Jungen und Mädchen, oldschool und newschool heute Abend, Ok?“ Die Bläser setzen ein, „all the women nowadays want a big man!“, dazu setzen sich die kräftigen Pfunde des Dr. Ringding geschmeidig in Bewegung, die Dancehall ist geöffnet, er schnappt sich zwischen zwei Strophen die Posaune und spielt sich mit weit ausgefahrenem Bügel direkt in den Schritt von Motha Nature die vor der Bühne tanzt. Die amerikanische Sängerin singt ihm daraufhin auf der Bühne mit schneidender Stimme den Marsch, bombaclaat! Regatta 69 und Dr. Ringding spielen sich durch seine musikalische Geschichte, auch durch die Geschichte des Reggae, denn er ist ein grandioser Imitator, ein Abend mit Dr. Ringding ersetzt mindestens fünf Reggae-Acts. Höhepunkt ist eine absolut authentische Persiflage von Gregory Issacs „Night Nurse“, es wehklagt schöner als das Original und obwohl der Reggae im Allgemeinen das Zitat der Persiflage vorzieht, ist es doch ein großer Spaß. Und dann: mein Einsatz! Dr. Ringding kündigt ein Stück an, das: „aus der Zeit mit den Senior Allstars stammt.“ Ich klatsche wie verrückt. Es ist dieses Klatschen mit dem große Helden geehrt werden, alle stehen auf und jemand sagt mit belegter Stimme: „ der Preis für das Lebenswerk geht in diesem Jahr an…“ Es ist ein Klatschen des Respekts, der Dankbarkeit. Ich klatsche allein. Das fällt mir aber erst auf, als es immer stiller wird, als Dr. Ringding sich zu mir runterbeugt und fragt: „Was gibt’s denn da zu klatschen?“ Alle Konzertbesucher kucken mich an. Und Dr. Ringding. Ich lasse die Arme langsam sinken. Lord have mercy! Ich sehe zu Boden, richte mich ruckartig auf und sage laut und bestimmt: „Ja, weißt Du eigentlich das…? Das war so geil damals!“ Als Dr. Ringding und Regatta 69 sich nach einer sehr knappen Stunde verabschieden („weil ja hier gleich noch Disko ist“), geht Dr. Ringding von der Bühne, bleibt neben mir stehen, sieht mich an, gibt mir die Hand, deutet mit dem Kopf ein zustimmendes Nicken an und entschwindet. Nur um danach noch mal für vier Zugaben auf der Bühne zu erscheinen. Mit King Django, mit Chris Murray, mit Motha Nature. Regatta 69 heben ab. Scheiß auf Disko. Gekostet hat der Spaß übrigens 12 Euro an der Abendkasse. Es gibt einen Gott und er hört Reggae. Und darum geht die Tour auch weiter: 18.05.07 - Saarbrücken (D) – Roxy Links: Dr. Ringding: http://www.ringding.de/ Chris Murray: http://www.chrismurray.net/ Regatta 69: http://www.regatta69.com/R69Homepage.htm King Django: http://www.kingdjango.com/ Motha Nature: http://www.myspace.com/mothanaturesmyspace
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