Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 27. April 2007
"Ozapft is!" im Schanzenviertel

Da sitzen sie an Biertischen, dicht an dicht, es müssen Hunderte sein. Junge Frauen mit bierdeckelgroßen Augenverglasungen in denen sich ihre männlichen Begleiter spiegeln und im Minutentakt den Stand ihrer Beckham-Frisuren überprüfen. Popkultur geprägte Individualisten und Mitteilungsbedürftige mit Slogan-T-Shirts („There is no theory of evolution. Just a list of animals Chuck Norris allows to live“) beäugen respektvoll den in die Jahre gekommenen Sänger einer Hamburger-Schule Band, der an einem Biermixgetränk nuckelt. Hohlwangige Werber diskutieren „Germanys next Topmodel“, eine befreite Mutter mit Dreadlocks entblößt die Brust und nährt ihr Kind im Gewühl. Die Sonne sinkt zu schnell, die Rote Flora wirft lange Schatten auf den überfüllten Platz, bemalte Bettlaken künden vom G8-Gipfel und der Notwendigkeit die Reichen zu essen. Das hier ist ein Biergarten. Ein Biergarten für Menschen die nie einen Biergarten betreten würden. Es gibt keine Maßkrüge und keine Schweinshaxen und keine Bratwürste. Es gibt gemischte Fischplatte vom Portugiesen und Currytafeln aus Balutschistan und Sushi und Sashimi. Aber den lauen Abend, den gibt es auch hier und eine Blaskapelle sogar. Die kommt aus Bulgarien und trötet fliegende Zigeunermusik. Die Sehnsucht nach Biergarten erfüllt sich, wenngleich auch die Anwesenden das schärfstens abstreiten würden. Schön ist das und allzu menschlich. Unser Weg führt in eine ruhigere Strasse, da gibt es einen wirklich guten Italiener, wir sitzen drin, der Abendwind ist kühler als gedacht. Wir essen Pasta, trinken Wein und Smudo kommt herein, im grauen Sweatshirt, mit seiner hübschen, schwangeren Frau, sie bestellen eine Pizza die sie im Pappkarton nachhause tragen, die beiden brauchen Ruhe. Draußen tragen lachende Punks ihre Biervorräte in verheißungsvoll klirrenden Lidl-Plastiktüten zum Schanzenpark. Der Sommer kann kommen.