Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 21. April 2007
Herr Paulsen geht aus: Metal-Wellness (Rock´s Evil, Grünspan, Hamburg)

Irgendwie bin ich da gestern so reingerutscht. Die Herren Literaturfreunde sitzen bei viel Bier in der Kneipe und beweinen den Buchmarkt, Bier wirkt, die Herren kommen auf dumme Gedanken. „Wir sollten mal wieder ausgehen und zwar so richtig.“ „Ja genau! Und mal nicht so Rootsrockreggae, sondern ordentlich dicke Gitarren, so wie früher!“ Die Begeisterung ist grenzenlos, als wir feststellen dass heute Freitag und morgen Wochenende ist und man ja eigentlich gleich mal losgehen könnte. Dem herumliegenden Faltblättchen der Gitarrenfreunde vom „Grünspan“ entnehmen wir die Botschaft, dass es sich bei der hauseigenen Anlage um die größte und beste Beschallungsanlage der Stadt handelt. Aber hallo! Drunter machen wir es auch nicht. „ Rock´s Evil“ steht heute auf dem Programm, Metal, NuMetal, Heavy Rock, Alternative, „mit DJ Claus“. Taxi!

Man wird sehr viel angeschrieen im „Grünspan“. Dunkel-tiefe Männerstimmen brüllen unverständlich Gutturales über rasende Gitarren und stahlkalte Trommelgewitter. Das ist, glaube ich, Deathmetal. Oder Speedmetal. Tödlich für die Ohren und sehr schnell, auf jeden Fall. Ich habe mal gelesen, dass sich der Herzschlag von Techno-Kids beim Tanzen dem Rhythmus der Bass-Linie anpasst. Das funktioniert doch bestimmt auch mit Metal. Ich mache mir sorgen. Die Frauen auf der Tanzfläche sind sehr attraktiv und es überrascht mich, dass mich das überrascht. Noch überraschender finde ich nur, dass überhaupt Frauen auf der Tanzfläche sind. Das gab es früher nicht, in meiner Jugend! Wenn Allgäuer Dorfdiskotheken zur Metal-Night geladen hatten, war es Aufgabe der Frauen ihre tanzenden Helden von der Bar aus zu bewundern und im Ernstfall das Blut abzutupfen. Hier tanzen die Frauen. Herr Svenson, mein Begleiter, klärt mich auf. Das läge an der zunehmenden Pop-isierung der Metalmucke. Da würden jetzt zwischen den Gewittern immer so geschmeidig-schwermütige Traummusik-Breaks eingebaut und ja, jetzt hör ich es auch. Süß fiedelt die Geige, mehrstimmige Choräle wispern, es klimpert ein Klavier in Moll. Die Frauen malen dazu mit geschlossenen Augen und schwebenden Armen größere Gemälde in die Luft. Die Männer haben es leichter. Oberkörper vor, zurück, vor, zurück, vor, zurück und wenn die Geige kommt, mal kurz an der Bierflasche saugen.

Insgesamt ist das hier interessant, aber nicht mein Ding, denke ich. DJ Claus kann Gedanken lesen, denn im selben Moment setzt ein bekannter, einer der schönsten Bassläufe der Welt ein. Es ist als stünde man auf einer Party, kennt keinen Menschen und trinkt so ein bisschen gelangweilt rum, da öffnet sich die Haustür und herein kommen liebe Menschen, die man schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hat. In meinem Fall sind das Zack De La Rocha und seine Jungs von Rage Against The Maschine und sie spielen „Killing in the name of“. Ich explodiere aus dem Stand. Dass ich das noch erleben darf, denke ich, bevor ich mich in tausende Glückshormone auflöse. Gewaltig. Kaum habe ich mich atemlos gesammelt kommen die Beastie Boys dazu und rufen „Sabotage“! Ich kann zehn Meter hoch springen. Puh, erstmal erholen, ich bin ja nicht mehr der Jüngste, die Pumpe trommelt, die Lunge rasselt. Nicht mit unserem DJ Claus, er hasst mich, will mich fertig machen und legt jetzt Primus auf, „Too many Puppies“. Boah, jetzt ist aber auch mal gut, die Luft wird knapp, too many fluppies. Apropos, ich hab keine mehr, die Logik des Süchtigen treibt mich mit schmerzender Lunge zum Zigarettenkauf.

Ich stehe vor dem Zigarettenautomat. Ich stehe sehr lange vor dem Zigarettenautomat. Wie, was? Karte? Äh? Einführen, aufladen? Hä? „Ich helf Dir, Junge.“, sprichts von hinten, ich erschrecke zu Tode, ich habe die Klofrau nicht kommen hören. Die ältere Dame ist kalkweiß, trägt feuerrotes, langes Haare und geht an Krücken. Um ihren Hals baumelt ein Band mit einer Karte, die schiebt sie in den Automaten. „So, jetzt Geld einwerfen.“ Ich werfe Geld ein. Nix tut sich. Ich lese noch mal die Gebrauchsanweisung. „ Sach mal?“ fragt die Klofrau „hast, Du überhaupt schon mal geraucht?“ Während ich erkläre, dass es meine Marke nur am Kiosk gibt und der letzte Gebrauch eines Zigarettenautomaten Jahrzehnte zurück liegt, drückt die Klofrau seufzend den Geldrückgabeknopf: „Du Dussel hast zuviel Geld eingeworfen.“ Den finanziellen Überhang übergebe ich der Dame für ihre Mühen.

DJ Claus spielt Helmet. Und Clawfinger. No use for an Name. Jello Biafra. Ich gebe das Rauchen auf. Zwischen den Songs treffen sich Herr Svenson und ich manchmal an der Bar und diskutieren über Bier.
„Noch eins?“ Puh. Dicke Backen. „Eins noch.“
Als wir gegen 3 Uhr den Laden verlassen bin ich redlich müde, fühle mich aber auch herrlich erfrischt, ausgetobt, befriedet, ja, geradezu erholt. Metal-Wellness. Merk ich mir.

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