Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Donnerstag, 5. April 2007
Testesser Paulsen berichtet. Heute: Restaurant Titus, Hannover. Ein Küchenwunder.
herr paulsen
19:48h
Nach der phallischen Geschmacksverwirrung der vergangenen Woche, bittet mein Hannoveraner Gastgeber am letzten Abend ins Titus. Es gilt die kulinarische Ehre der Stadt am hohen Ufer zu retten und das ist durchaus in meinem Sinne. Zu viele Kübel überheblicher Großstädter-Häme sind über Hannover ausgegossen worden. Andouilette, Gersterbrot, und Mett sollen nicht die Koordinaten meiner inneren Hannover-Speisenkarte bleiben, da gibt es doch bestimmt noch was, ja genau, das Restaurant Titus. Im Titus kocht Dieter Grubert und zwar so gut, dass es dem Gault Millau im vergangenen Jahr 17 von 20 möglichen Punkten wert war, ein Stern kreist über dem Haus und will noch nicht landen, immerhin gehört das Haus ausgewiesen zu den 100 besten Restaurants Deutschlands. Im winzigen Gastraum stehen aufgeräumte 20 Sitzplätze zur Verfügung, an der Decke festgeschraubte Schreibtischlampen beleuchten die sechs Tische, in einer Ecke hängt erstarrt ein großer Flatschen Gold, wie ein Spiegelei, das von der Decke rutscht. Kunst? Man weiß es nicht, man ahnt vorsichtig. Es ist Dienstagabend, neben einer Runde betrunkener, schwäbischer Geschäftsleute und einem raumgreifenden, schweigsamen Ehepaar sind wir die einzigen Gäste. Beste Voraussetzung für Konzentration aus der Küche und einem entspannten Service. Der junge Kellner braucht uns nicht zu überreden. Das große Menü soll es sein mit sechs Gängen und je eine Pfütze korrespondierenden Weines dazu. Tobias Fricke ist auch Sommelier, er verspricht uns über die jeweiligen Weine etwas zu erzählen: „ ich bin kein Schweigsamer!“, droht er lächelnd und wir freuen uns. Das Amuse Geule kommt, auch hier mit „Gruß aus der Küche“ übersetzt und wortstark vorgestellt: „Falsche Maultasche von der Ochsen-Consommé mit einer Füllung von grünem Spargel, Frischkäse und in Butter angerösteten und dann warm gezogenen Nüssen.“ Warm gezogene Nüsse finde ich schon beinahe poetisch. Dunkel schimmernd umhüllt die kreisrund ausgestochene, gelierte Consommé ihre Füllung, der Fischkäse offenbart eine ungenannte Rauchnote, knackig der Spargel, die Nüsse gehören zwingend dazu und alles schmilzt im Mund. Das vermeintlich Gewollte wird zur gelungenen Komposition. Wir setzen uns ein wenig aufrechter hin. Zweierlei von der Gänseleber ist hier brillante Kochkunst, die Terrine mit funkelndem Süßwein-Gelee zwingt die Augen zu schließen, die gebratenen Variante ist kross, innen noch flüssig, das Apfelpüree schmeckt nochmals rauchig und nach einer feinen und doch deutlichen Note Rum! Unglaublich! Mit Schokolade umhüllter Pfeffer und geschmorte, fein gehackte Trockenfrüchte machen den Teller zum Abenteuer. Ich verneige mich innerlich. Der in Olivenöl gedünstete Yellowfin Thunfisch lässt die Augen tränen, frisch geriebener Meerrettich kleidet die warmen Fischstücke aber perfekt, dazu Schnippelbohnen in Rahm. So einfach, so gut. Der gebratene Zander kommt mit einer Blutwurstsauce und Porreegemüse und erstmals an diesem Abend fällt auf, dass Grubert seine Saucen offensichtlich nicht bindet. Sieht nicht schön aus, schmeckt aber intensiv. Jede Bindung durch Zugabe von Butter oder Binder würde die geniale Komposition stören. Das ist ein Trend ganz klar, aber auch ein lobenswerter. Dementsprechend pfützig erscheint die duftende Holunderbeersauce zum zarten Kaninchenrücken mit Morcheln und cremigen Kohlrabi-Spaghetti. Aber sie schmeckt tief und richtig, den Kohlrabi aß ich nie besser, die Morcheln sprechen für sich. Warum dieses Gericht von großzügig verkleckertem Bärlauchpesto zerstört wurde, ist mir unbegreiflich. Die ölig-giftgrüne, knoblauchähnliche, Pampe ist schmückend und en vogue und tödlich für die Geschmacksnerven. Wenn es einen Gott Lukullus gibt, möge er diese Mode nach gefühlten fünf Jahren bitte endlich einschlafen lassen. Die Mönche der Abtei Citeaux im Burgund sind großartige Maître fromager affineur, der Käse erinnert an einen milden Munster, Grubert serviert dazu drei Scheiben perfekte Bratkartoffeln mit knusprigen Speckwürfeln. Die Käsekenner grummeln, ich finde es großartig. Der „offene Topfenstrudel“ mit Himbeeren besteht aus hauchzarten, knusprig gebackenen Strudelblättern und einer leicht soufflierten Quarkcreme, dazu ein rahmiges Tonkabohnen-Eis. Tonkabohnen musste ich googeln, das Eis schmeckte hervorragend anders. So und jetzt kommts: Dieses Menü kostete 79 Euro. In vergleichbaren Restaurants dieser Klasse bekommen Sie ein solches Menü nicht unter 120 Euro. Die dazu gereichten Weine waren großzügig eingeschenkt, sechs mal ein bisschen viel mehr als 0,1 pro Person, insgesamt also eine Flasche Wein. Durchgehend überzeugend bis begeisternde Tropfen, die Weißweine allesamt aus Deutschen Landen, dann schwere Klopper aus Frankreich und das ganze für 27,50 pro Person. Wäre die Küche von Dieter Gruber nicht schon für sich ein kleines kulinarisches Wunder, so müsste das Staunen spätestens bei der Preisgestaltung beginnen. Und der Service! Tobias Fricke ist zu preisen. Fachkompetent ausgewählte Weine, die Gerichte zügig serviert, das alles mit großer Herzlichkeit, feinem Humor und ohne Schischi.Wo bitte finden Sie einen Kellner und Sommelier mit dem Sie gleichermaßen über die besten Französischen Winzer von heute und Frankfurter HipHop der 90ger Jahre diskutieren können? Die Hannoveraner sind zu beneiden. Wenigstens dieses eine Mal. Titus online:
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