Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 13. Januar 2007
Herr Paulsen geht aus: Bucovina Club - DJ Shantel, Mandarin Casino, Hamburg

Die junge Frau auf der Bühne deutet pantomimisch an, sich die Pulsadern aufschneiden zu wollen. Sie packt den Mann am Schlafittchen und zerrt den Armen in eine dunkle Ecke der Bühne. Drohend hebt sie die Hände. Stößt ihn weg, der Mann läuft rückwärts über die Bühne, sie hinterher, die kleinen Fäuste entschlossen geballt. Die Balalaika seufzt im Endlosloop, keine Zeit für neue Platten. DJ Shantel hat nämlich gerade Stress da oben. Jetzt reißt die junge Frau an seinem Pullover und spricht Mahnendes. Wir hören nicht was sie sagt. Die Balalaika. Wir gehen dann mal Bier holen.

Was vor Jahren, mit freundlicher Unterstützung der Herren Kaminer und Kusturica, unter dem Begriff Russendisko in Deutschen Clubs Einzug hielt, findet momentan seine Fortsetzung in der großen Schublade Balkan Beat. Seitdem schwingen Roma, Kroaten, Serben, Bulgaren, Polen, Tschechen und Ungarn gemeinsam das Tanzbein, das Akkordeon, die Trompeten. Der Frankfurter DJ Shantel (Stefan Hantel) gehört mit seinem „Bucovina Club“ zu den Pionieren dieser fröhlichen Bewegung. Er verzierte, als einer der Ersten, diese ohnehin schon sehr tanzbare Melange mit zarten Beats und dicken Bässen. Dafür erhielt er 2006, als erster Deutscher überhaupt, den renommierten BBC Award for World Musik.

Live geht das so:
Zweihundert glückliche, nass geschwitze Menschen, hüpfen, springen und drehen sich entfesselt vor der großen Bühne des Mandarin Casinos, brüllen die Texte mit (Lautmalerei!), die Bässe fliegen auf flirrenden Klarinetten, dicke Bläsersätze pusten dem Publikum ins heiße Gesicht, das Akkordeon rast, schwermütige Männerchöre singen von der Liebe. Das ist Musik, die die Seele ruft. Oben steht DJ Shantel, das ist Quatsch, er steht nicht, er wirbelt zwischen den Plattenspielern, klettert auf die Bühnenbeleuchtung, springt hinunter, springt hinein ins Publikum, „Hamburgiiiiii!“ ruft er und Hamburg antwortet! In jeder Minute hat er uns fest im Griff, stoppt kalt lächelnd die rasende Musik, eins, zwei, drei, weiter gehts, die Masse quietscht vor Vergnügen. It goes up to eleven! Shantel singt, Shantel erzählt, Shantel holt sich Besuch auf die Bühne. Bildschöne junge Mädchen wiegen die zarten Hüften, locken mit weichen Bewegungen, der Saal brennt! Feuer, Feuer, nicht aufhören bitte!

Auftritt: die junge Frau. Verscheucht resolut alle Mitbewerberinnen von der Bühne. Spricht ein ernstes Wort mit dem DJ. Droht. Ist aufgebracht. Shantel lächelt gequält. Versucht zu beruhigen. Vergebens. It´s my party and I cry if I want to. Wir wissen nicht was DJ Shantel der jungen Frau angetan hat. Wir wissen auch nicht was die junge Frau getrunken hat. Aber wir hassen sie ein bisschen. Zweihundert Menschen auf kaltem Entzug. Die Balalaika seufzt im Endlosloop, die junge Frau denkt nicht daran, die Bühne zu verlassen. Auflösungserscheinungen auf der Tanzfläche. Bier holen. Fremd schämen. Wir warten. Bier ist alle. Blick auf die Uhr. Oh, schon Vier! Als wir den Club verlassen, wird auf der Bühne immer noch diskutiert.

Da ich nicht annehme, dass die junge Frau mit auf Tour geht, wünsche ich hier viel Vergnügen:

http://www.bucovina.de/