Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 8. Dezember 2006
Max Goldt schenkt mir einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber


(Max Goldt, Foto: Billy&Hells)

Folgende, sehr uralte Geschichte, aus den Tiefen meiner Festplatte widme ich einem meiner Lieblingskommentatoren: Thorsten Lehmgruber, der hier beschreibt, wie er Max Goldt am Büchertisch mit einer Wortschöpfung von mir auf die Nerven ging.

Max Goldt schenkt mir einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber

Vor vielen Jahren, ich war noch ein ganz junger Hase und eben von Berlin nach Hamburg gezogen, kehrte ich nach einer ebenso einsamen wie erfolglosen „ich suche Spaß und neue Freunde“-Tour auf ein letztes Bier in den Golden Pudel Club ein. „Das ist DER Laden in Hamburg, da musst du hin!“ hatten mich meine allwissenden Berliner Freunde zum Abschied verschwörerisch in die Pflicht genommen.

Da war ich nun, Sonntagmorgen halb vier, der Laden halb leer, um mich herum trommelte und basste es ganz fürchterlich, und auch der Umstand von Schorsch Kamerun Höchstselbst ein Bier geöffnet zu bekommen, mochte keine wahre Freude aufkommen lassen. Neben mir, zählte ein auch nicht sehr fröhlich wirkender Herr, konzentriert die Luftblasen seines Bierschaums. Er sah, wie ich fand, dem von mir schon damals sehr verehrten Max Goldt zum verwechseln ähnlich. Weil ich schon viel Bier getrunken hatte und sehr einsam war, tippte ich das fremde Max Goldt Double an: „Guten Morgen, ich bin Herr Paulsen und finde Sie haben eine geradezu bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem von mir sehr verehrten Max Goldt.“ Das höre er oft, sprach das Max Goldt Double, ja ein wahrer Fluch sei das mit der Ähnlichkeit, gerade sei er nach Hamburg gezogen, denn in Berlin, da war es ihm zuletzt ganz und gar unmöglich ungestört Bierblasen zu zählen.

Ganz nüchtern wurde ich plötzlich und eine, mir seit Teenagertagen überwunden geglaubte Aufregung erfasste mich. Ich sprach wirklich mit Max Goldt.
Hier ist nun, zum bessern Verständnis meiner Aufregung, einzufügen, das ich zu jenen Menschen gehöre, die „Familie, Pubertät und Haarwuchs“ für einem Meilenstein lyrischer Sangeskunst halten und auf die ewige Nervfrage: „wie geht’s?“ gerne fröhliche krähen:“ungeduscht, geduzt und ausgebuht!“ Nicht verheimlicht werden, sollen hier auch meine jahrelangen Versuche zu schreiben wie Max Goldt, ich bin nämlich der Meinung, gut kopiert ist besser als selbst gestammelt.

Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wurde es noch ein sehr schöner Morgen mit geistreichen Gesprächen über Berlin, Umzugsunternehmen, den Hanseaten an sich, Beatmusik und Lieblingsessen. Als Max Goldt von meiner Freude am Kochen erfuhr, spekulierte er sogleich auf ein opulentes Mahl. Zum Zwecke der Herbeiführung dieses schönen Abends fischte Max (inzwischen waren wir beim Du angekommen) einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber aus seiner Börse. Sorgfältig hatte er die Adressen auf Adressen-Aufkleber-Etikettenbögen gedruckt oder drucken lassen und diese einzeln, sehr ordentlich ausgeschnitten. Soviel Pragmatismus erstaunte und rührte mich.
Als der Michel zur Sonntagsmesse rief, versicherten wir uns unserer gegenseitigen Sympathie und wurden von gnädigen Taxikutschern in unsere jeweiligen, neuen Hamburger Heime gefahren.

Ich habe Max nie angerufen, ich bin ein höflicher Mensch und möchte Ihm weiter Umzüge ersparen. Zuhause aber habe ich die Adresse unter M in mein Adressbuch eingeklebt. Gerne lade ich mir, auch heute noch, am liebsten im Anschluss an eine Max Goldt-Lesung, Freunde ein und protze mit dem hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber.

PS:
Das Wort Adressen-Abknibbel-Aufkleber habe ich erfunden. Überraschenderweise macht mir das Rechtschreib,-und Grammatikprogramm meines Computers dazu folgende Vorschläge:

1. Adressen-Abkribbel-Aufkleber
2. Adressen-Abkibbel-Aufkleber
3. Adressen-Abnibbel-Aufkleber

Letzterer ist mein Lieblingsvorschlag, denn er erinnert an ein schönes Dialektwort aus dem Schwäbischen. Stirbt dort ein wenig geliebter Mensch, oder stürzt in dieser Region ein Computer ab, dann erzählen sich die Schwaben:
„der isch abgnibbeld“, bzw. „etz isch dia Scheißkischt scho wieder abgnibbeld“