Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Donnerstag, 31. August 2006
Hier platzt der Kiosk: Doppelheft-Strategie
herr paulsen
10:22h
Mein Beruf fordert, dass ich Zeitschriften lesen. Eine Menge Zeitschriften. Viele sind gar nicht für mich gemacht, da muss ich durch. Bei den meisten Zeitschriften überfällt mich schon seit Jahren eine gewisse Entertainment-Langeweile, das Gefühl, alles schon gelesen und gesehen zu haben, immer der gleiche Schlamm aus Fitness-Tipps, Schmorgurken-Rezepten, Frau-Mann-Problematiken, unlustigen Glossen, albernen Kolumnen und unscharfen Promibildern. Die ewig gleichen Fotostrecken neu fotografiert und doch nur Bekanntes belichtet. Ich werfe jetzt mal fünf Euro ins Phrasenschwein: man kann das Rad nicht jede Woche / jeden Monat neu erfinden, aber weiter drehen dürfte es sich schon mal. Es fehlt der Mut, die Leser zu fordern, inhaltlich und layout-technisch neue Wege zu gehen. Und alle Zeitschriften gibt es unendlich oft geklont am Kiosk. Wer braucht bitte 30 Kochzeitschriften gleichen Inhalts, wer braucht hunderte von Frauenzeitschriften mit Frühjahrsdiät-Plänen und Psychotests, wie oft kann man sich am Landhausstil berauschen? Die wenigen innovativen Blätter der Republik rutschen am Bahnhofskiosk hinter den Heizkörper. Der Zeitschriftenmarkt stagniert und sehr spät stellten die großen Verlage erstaunt fest, dass aus einem kurzfristigen Tief ein ausgewachsener Trend geworden ist. Schuld ist der Bürger, der mehr Zeit vor dem Computer verbringt, statt im wiederkäuenden Blätterwald. Sagt die Statistik, sagen die Verlage. Ich glaube es fehlt der Wille zur Innovation und ich unterstelle einfach mal, dass Zeitschriften heute von den Vorständen gemacht werden und nicht mehr in den Redaktionen. Finanzielle Überlegungen entscheiden mehr den je über Blattinhalt und Kurs. Wichtig ist es am Markt zu sein, mit was ist wurscht, Hauptsache man macht der Konkurrenz druck, oder druckt das Konkurrenz-Produkt gleich im eigenen Haus. Wie weit viele deutschen Blattmacher vom Blatt machen entfernt sind, zeigt der neuste Trend. „Doppelheft-Strategie“ nennt sich das und meint, ein Heft beinahe identischen Inhalts zweimal zu verkaufen. Den Anfang macht „Frau im Spiegel“. Mit neuem Namen „Look“ und anderem Cover, sowie sechs (Quelle:kress) redaktionell geänderten Seiten, geht der G&J-Zwilling an den Kiosk um alten Wein in neuen Schläuchen an eine jüngere Zielgruppe zu verkaufen. Noch nicht verkauft und schon Altpapier. Ein weiterer Schritt in Richtung Kiosk-Vermüllung, die nur mit konturlosesten Print-Erzeugnissen möglich ist. Und davon gibt es eine Menge in Deutschland. Macht ja nix, könnte man sagen, wir sind mündige Bürger und müssen den Rotz ja nicht kaufen, schon gar nicht doppelt-gemoppelt. Was mir aber die Zornesadern schwillen lässt, ist der Umstand, dass es so viele gute Zeitschriften aus Kleinstverlagen gibt, die jeden Monat um ihre Existenz kämpfen müssen, weil Vertriebswege und Reichweiten der Großen nicht erreicht werden können. Und weil schon jetzt kein Platz mehr ist am Kiosk, höchstens hinter dem Heizkörper. Vor dem Heizkörper steht aber leider das „Doppelheft-Strategie“-Regal, die Einfallslosigkeit der Vielfalt versperrt den Blick.
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