Zweimal schon schrieb die „Die Zeit“ über mich. Einmal sogar mit Foto. Auf dem Foto sieht man einen jungen Mann mit Ziegenbart (Achtung, Grunge!) der, semi-lustig und auch nicht mehr ganz nüchtern, in die Kamera des „Zeit“-Fotografen schmunzelt. Die Bildunterschrift, die ich abgeschnitten habe, denn da steht mein richtiger Name, lautet:
„S. aus R. mißfielen die Frauen: “Alles Bulimie-Modelle“.“ So feierte ich also 1994 meinen Einstand bei der „Zeit“ mit einer frühen Kritik an Schönheitswahn und falscher Zurückhaltung beim Essen. Um meinen Hals hängt eine eingeschweißte Karte, die mich als Gast der MTV Music Awards in Berlin auszeichnet. Die hatte ich in einem Preisausschreiben gewonnen. Zusammen mit 200 anderen, glücklichen Preisausschreibengewinnern, verbrachte ich damals den Abend im so genannten Jubelgraben, direkt vor der Bühne. Die Veranstalter hatten uns in einem Vorgespräch dazu aufgefordert, während der Übertragung emsig zu klatschen und entfesselte Begeisterung für alle Künstler darzustellen. Damit uns während unserer Mission nicht die Puste ausging, wurden wir alle mit einem Lunchpaket ausgestattet, dessen Inhalt irgendwo zwischen Schulausflug und Vatertagsbesäufnis lag: ein Ballisto-Riegel, ein Apfel, eine Mini-Flasche Tequila. Von Letzterem warfen uns die Ordner in regelmäßigen Abständen Nachschub in den Graben. Als wir spontan eine größere Gruppe bildeten, die lautstark die Moderation von Gastgeber Tom Jones vom Teleprompter an der Hallendecke ablas, immer zehn Sekunden schneller als Tom Jones, wurden die Lieferungen eingestellt und es gab eine Abmahnung. Ansonsten war es sehr langweilig im Jubelgraben. Auf der Bühne gefiel Björk, die in einem gigantischen Ballon-Reifrock auftrat und mir mehrfach zulächelte. Sehr schlecht benahm sich die Keyboarderin von Prince, die während eines spontanen Stagedives, einen von uns mit ihren Stilettos derart verletzte, dass der Unglückliche den Rest der Verleihung im Krankenhaus verfolgen musste. Einäugig. Viel spannender ging es hinter unserem Rücken zu. In der ersten Reihe, die Beine auf unserer Kopfhöhe, saßen Nadja Auermann, Helena Christensen und Linda Evangelista und ignorierten uns. Lediglich ihr Begleiter, Jean Paul Gaultier, langweilte sich ebenfalls, ließ sich irgendwann nach vorne fallen und sprach bäuchlings liegend mit einer Gruppe euphorisierter HfBK-Stundenten. Guter Mann! Leider gab ich dann der „Zeit“ mein erstes Interview.
Elf Jahre später war ich der „Zeit“ wieder einen Satz wert. Mit fünf anderen Autoren las ich 2005 beim sommerlichen „Poets on the beach“, an der Strandperle in Hamburg. Im Sand saß auch eine Journalistin der „Zeit“, der die ganze Veranstaltung wohl nicht so gut gefiel, am darauf folgenden Donnerstag erschien ein lieblos zusammengeschusterter Veriss der Lesung. Über mich war zu lesen: „...harmlose Geschichten...deren Autor Herr Paulsen jeden Beach-Wettbewerb als sympathischst schwäbelnder Schwiegersohn gewinnen dürfte.“
Ein Skandal! Wie konnte die Wochenzeitung unsere lange Freundschaft derart mit Füßen treten? Dünnhäutig war ich zu jener Zeit und ich schwor, vor Zeugen, nie mehr bei einer Lesung aufzutreten. Wie konsequent ich meinen Vorsatz im vergangen und in diesem Jahr umsetzte, davon zeugen zahlreiche Auftritte bei Lesungen. Bliebe noch „Poets on the beach“! Am kommenden Sonntag ist es wieder soweit und da die Veranstalter um mein Trauma wissen, bin ich vorsichtshalber als „Überraschungsgast“ angekündigt. Na und natürlich gehe ich hin. Im Gepäck habe ich zwei brandneue, harmlose Geschichten, die ich mit gewohnt sympathisch schwäbelnder Stimme vortragen werde. Bringen Sie ihre Schwiegermütter mit und sichern Sie sich die besten Plätze im Jubelgraben!
Poets on the beach
Sonntag, 27.08.2006
18.00 Uhr
mit Dierk Hagedorn, Hartmut Pospiech, Alexander Posch und zwei Überraschungsgästen; Moderation: Friederike Moldenhauer
Elbstrand Oevelgönne
Höhe Schulberg, neben der Strandperle
Eintritt frei
Die Veranstaltung findet leider bei jedem Wetter statt.