Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Montag, 24. Juli 2006
Muschelkaugummi, Ingo Oschmann & ein spätes Glück
herr paulsen
23:39h
Mpffh, macht der Kellner. Baby-squit, sage ich. Ich spreche nicht mehr Spanisch, für wenn denn. Mpffh, macht der Kellner. Ja, sage ich, und die Muscheln und ein Bier. Ich sitze vor dem Chiringuito, einer blau-weiß gestrichenen Hütte auf der Promenade von Sitges. Morgen beginnt die Arbeit und die Einheimischen rieten mir zum Kauf eines Sonnenhutes. Den habe ich gerade gekauft und jetzt plagt mich ein Hüngerchen. Zwei Minuten nach Bestellung steht das Bestellte vor mir. Die Muscheln betrachte ich lange. Mutter hat immer gesagt, Muscheln gehen gar nicht, da bekommt man Gelbsucht von. War ja eine andere Generation. In der Lehre habe ich gelernt, Muscheln gehen wohl, aber nur in Monaten die mit r enden. Jetzt ist Juli, aber die netten spanischen Studenten neben mir saßen bei meiner Ankunft zwischen animierenden Muschelschalenbergen und waren eher braun gebrannt als gelb gekränkt. Ich starre auf den Muschelteller. Mutter muss keine Angst haben. Die Muscheln wurden schon morgens gekocht und gerade eben noch mal in der Mikrowelle erhitzt. Da lebt nix mehr. Doch, da, es bewegt sich was! Zwischen den zähen Muschelkaugummis sitzen drei schillernde Scheißhausfliegen und saugen an den Bärten der ungeputzten Meerestiere. Endlich! Nicht mehr alleine essen, ich sitze an einem Vierertisch. Mir ist sofort sehr schlecht (Gelbsucht?) und ich schiebe die Muscheln weg. Trotzdem gut, dass ich die Muscheln bestellt habe, sie dienen als fesselnde Freizeitbeschäftigung für die Fliegen und die frittierten Baby-Calamares gehören mir allein. Ich kann so nicht arbeiten. Außerdem fährt die Bahn in mein Geisterdorf erst in einer Stunde. Ich kehre im La Croqueta ein, mitten auf dem Kiez von Sitges, von dort hat man eine sehr gute Sicht. Im loungigen Laden mit 70er-Tapeten in Orange entdecke ich belegte Schnittchen. Tapas-Schnittchen, oder so. Sieht alles wahnsinnig gut aus. Die Bedienung begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln und vor Schreck versuche ich gleich wieder Spanisch zu sprechen. Ich bestelle ein Bier und deute mit den Fingern auf die Köstlichkeiten hinter den blank geputzten Büffet-Fenstern. Das und das und das. Die Bedienung lächelt mich über die Bar hin wieder ganz bezaubernd an und reicht mir einen Teller mit einer Minikrokette. Danke sage ich, koste die Krokette und male ausladende Zeichen äußerster Zufriedenheit in die Luft. Ich hätte aber lieber: das und das und das. Die Bedienung hält mir immer noch den Teller hin und ich begreife. Laaangsssaammm. Die Bedienung bestärkt mich in meinem Findungsprozess und gibt wichtige Hinweise. Mit ihrer Hand fährt sie zwischen den Schnittchen, der Bar und meinem Bauchnabel hin und her. Ha! Die Fenster sind gar nicht blank geputzt, da sind gar keine Fenster. Wir lachen gemeinsam ein bisschen blöd rum, dann greife ich zu. Auf einem kross gerösteten Brot liegen zwei winzige, scharfe Paprikawürste mit geschmorter, grüner Paprika. Perfekt. Der zweite Happen ist aus ungeröstetem Toast, bestrichen mit Ziegenfrischkäse, darauf zwei hauchdünne Scheiben gepfefferter, luftgetrockneter Speck, das ganze mit feinen Gänseleberhobeln bestreut. Das ist das Beste was ich in den letzten Monaten gegessen habe, ein großes Glück in einer kleinen Portion. Drittens folgt ein Mini-Burger aus Kalbfleisch, mit geschmorter Tomate und einem perfekt gegarten Wachtelei-Spiegelei. Wo bin ich? Ich genieße und habe ein bisschen Angst vor der Rechnung. In Hamburg würde man für diesen Teller so um die 18 Euro zahlen, in München 26 Euro. Wat mut dat mut, die Rechnung bitte. Diese kommt auf einem Teller mit Serviette und beigelegter Visitenkarte der kleinen Bar. Ich hebe die Rechnung hoch und kucke wahrscheinlich wirklich saublöd. 5,65 Euro. Noch blöder habe ich dann nur später noch mal gekuckt, als ich raus fand, dass die Bar zu einer Kette gehört.
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