Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 30. Dezember 2005
Babysitter Paulsen berichtet.

Ich bin da gar nicht so. Ich finde Eltern dürfen auch mal raus. Viele Eltern sehen ja jahrelang überhaupt keine anderen Menschen. Und als gestern die Eltern meines Patenkindes anriefen, sie hätten Karten geschenkt bekommen, für die Tim Mälzer Kochshow im CCH, aber alle Babysitterinnen seien schwer beschäftigt, da zögerte ich nicht, packte meine Sachen und machte mich sofort auf den Weg zu meinem ersten Babysitting. Vorsichtshalber rief ich noch die Liebste an, die versprach, mich bei diesem heiklen Einsatz gleich nach der Arbeit zu unterstützen.

Am Einsatzort angekommen wurde ich freudigst begrüßt, ja der Lütte sei ein bisschen krank, ja Fieber, nein er stürbe voraussichtlich nicht heute Nacht meinen Armen. Ich war so mittel beruhigt. Mir wurde Bier angeboten und auch meinem Wunsch nach der traditionellen Babysitterspeisung, Pizza vom Lieferservice, wurde entsprochen, der Hausherr füllt für mich ein Online-Bestellformular aus. Nein, eine Fernsehzeitschrift habe man nicht, man habe ja Kinder. Dann wurde mir mein fiebriges Patenkind vorgeführt, ins Bett gepackt und ich erhielt genauste Instruktionen. Wenn es schreit, fünf Minuten warten, dann kurz rein, beruhigen, raus. Easy! Am meisten freute sich die ältere Tochter des Hauses über mein Erscheinen. Wann denn die Eltern endlich gehen würden und ob wir gleich was spielen könnten, fragte mich der Grundschulfloh. Ich sagte leider zu.

Der Hausherr fragte den Grundschulfloh zum Abschied noch, wer der Boss sei? Herr Paulsen, rief der Grundschulfloh und ich begann meinen neuen Job zu mögen. Mit glühenden Bäckchen hüpften die Eltern dann der neu gewonnenen Freiheit entgegen. Ich blieb zurück und der Grundschulfloh baute „Max Mümmelmann“ auf, ein spannendes Spiel für Kinder ab 5 Jahren.
Das Spiel durchschaute ich sofort! Und während ich noch überlegte ob ein harter Sieg meinerseits nicht pädagogisch wertvoll für das Kind sein könnte, hatte ich auch schon verloren. Dann kam die Liebste, ich öffnete mir ein zweites Bier. Ich trug die Verantwortung, sie würde nüchtern bleiben und im Todesfall die Eltern benachrichtigen. Wir bestellten Pizza.

Für das zweite Spiel, irgendwas mit bunten Fröschen und Farben merken, war ich einfach zu doof, die Damen teilten alle Teichrosen untereinander auf. Auf die Teilnahme am Memory-Wettbewerb verzichtete ich daraufhin ganz, mit versteinerten Gesichtern, schweigend und in Windgeschwindigkeit lieferten sich die Liebste und der Grundschulfloh einen erbarmungslosen Memory-Krieg. Da es bimmelte! Ich rannte zur Haustür. Das musste jetzt der Pizzaservice sein. Draußen war niemand, drinnen nahm der Grundschulfloh den Telefonhörer ab und redete mit dem Pizzaservice. Es ist wichtig zu wissen, dass das Freundespaar gerade Umgezogen ist und obwohl wir bei der Online-Bestellung alle neuen Daten eingegeben hatten, stand der Pizzabote jetzt viele Kilometer entfernt vor der alten Haustür, dort wurde die Annahme dankenswerter Weise verweigert. Man versprach neue Pizzen zu backen und „gleich“ zu liefern. Merke: Pizzadienste können nur Telefonnummern und wenn die mit umziehen, wird alles kalt.

Da! Das Patenkind weinte! Uhrenvergleich, fünf Minuten warten, immer noch Herzerreißendes aus dem Kinderzimmer zu hören. Ich also rein, Hand auflegen, Beruhigendes brummeln (das geht super mit Raucherlunge!) und schon Sekunden später war das Glück meines Alters wieder entschlummert. Paulsen Kinderflüsterer! Ich hatte alles im Griff! Wer ist hier der Boss!

Erneuter Anruf vom Pizzadienst. Der Lieferant stünde nun vor Haus Nummer 19. Ich fragte den Grundschulfloh wo sie wohne und nur 10 Minuten später stand der Kurier vor der Hausnummer 2. Der Pizzadienst hatte gelogen. Die waren nicht neu gebacken, die waren weit gereist die Pizzen. Viel Zeit war aber sowieso nicht für kaltes Fett auf müder Hefe, denn jetzt sollte ich dem Grundschulfloh noch was vorlesen. Mama sitzt immer mit mir im Bett, beschwerte sich der Grundschulfloh. Ich bin nicht Deine Mama, erklärte ich, nahm auf einem Stuhl platz, die Lesung konnte beginnen. Lesen kann ich. Ich trete ganz oft vor vielen Menschen auf und lese vor. Besonders stolz bin ich darauf, dass ich drei bis vier verschiedene Stimmen kann. Leider wimmelte das ausgewählte Buch nur so von Protagonisten, die gesamte Belegschaft eines Mischwaldes hatte sich versammelt, sogar die Heidelbeeren konnten sprechen. Natürlich beschwerte sich der Grundschulfloh die ganze Zeit. Hey, du musst so reden wie der Maulwurf, jetzt redest du aber wie die Wasserspinnen, hä, so redet der Storch aber gar nicht! Insgesamt die schlechteste Lesung meines Lebens und ich musste an Rufus Beck denken und wie der wohl so ist, als Babysitter.

Da! Das Patenkind weinte! Uhrenvergleich, fünf Minuten warten, immer noch Herzzerreissendes aus dem Kindererzimmer zu hören, sich steigernd, lauter werdend, Sirene an, Vollalarm! Ich also rein, Handauflegen, Beruhigendes brummeln. Keine Änderung der Situation. Ich nahm den Lütten hoch. Nicht hochnehmen, zischte die Liebste. Ich trug den Lütten ans Licht und in die Küche, dort stand die Wasserflasche. Sach ma spinnst du, zischte die Liebste, gib mal her und hol gefälligst die Wasserflasche aus der Küche. Ich übergab das schreiende Bündel und der Lütte schrie noch mehr, was mich insgeheim sehr freute. Ich mach das, mich kennt er besser, sagte ich zur Liebsten. Du gehst jetzt, zischte sie, und ich gehöre zu den Männern die wissen wann Mann gehen sollte.

Erschöpft setzte ich mich vor den Fernseher und kuckte „Frauentausch“. Fünf Minuten später erschien auch die Liebste mit triumphalem Gesicht und erläuterte mir, wie auf Kinder aufzupassen sei. Ich müsse doch nur von mir ausgehen ! Stell Dir vor du wachst auf und man trägt dich sofort ins grelle Licht. Das leuchtete mir gleißend hell ein.
Bei „Frauentausch“ bandelte eine Tauschmutter, mit einem Faible für schwarze Männer, gerade mit der schwarzen Verwandtschaft der Tauschfamilie an und die Liebste und ich überlegten welche Versuchungen wohl das Leben für uns bereit hielt. Ich unterstellte ihr einen Hang zu prolligen Bauarbeitern im Blaumann. Die Liebste verneinte massiv und konterte mit einer zartgliedrigen Asiatin in hochhackigen Riemchenschuhen die ununterbrochen säuseln würde: „ Was kann ich jetzt noch machen, Herr Paulsen?“. Ich verneinte massiv, fragte mich aber schon woher sie das nun schon wieder wusste. Gott sei Dank kamen in diesem Moment die Eltern zurück, wir öffneten noch eine Flasche Wein und die beiden erzählten vom „verschwendetsten Abend“ ihres Lebens. Im Kinderzimmer brüllte der Lütte, alle blieben sitzen. Sieben Minuten. Dann war Ruhe von ganz alleine. So geht das natürlich auch. Wenn man Eltern ist.