Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Sonntag, 13. November 2005
Ganz schlimm: Neuer Restaurantführer "Ausgehen in Hamburg"
herr paulsen
18:29h
Restaurantkritiken zu schreiben ist eine ernsthafte Sache. Der Tester hat eine doppelte Sorgfaltspflicht, dem Koch und seinen Lesern gegenüber. Von den Schattenseiten des Restaurantkritiker-Zirkus schrieb ich an dieser Stelle schon einmal aus der Sicht der Köche und als „Testesser Paulsen“ berichte auch ich hier im Blog über meine Restaurantbesuche. Ich mache das aus Freude, ich bin mir meiner Sorgfaltspflicht bewußt, traue mir als gelernter Koch ein Urteil zu und Geld verdiene ich damit auch nicht. Geld verdienen will aber die Düsseldorfer Überblick Verlags GmbH und beschert nun also Hamburg einen neuen Restaurantführer. Für 7,50 Euro erhältlich am Kiosk, das 290 Seiten starke Ärgernis "Ausgehen in Hamburg" mit 333 geschwätzigen Restaurantkritiken die für das gesamte Jahr 2006 gültig sein sollen. Das geht schon beim Cover los, lieblos zusammengelayoutet zeigt es das Dekolté einer Brünetten, einen Löffel Kaviar, neonfarbenen Lachs (?) auf einem Teller und eine sterile Sushiplatte. Etliche Seiten Schleichwerbung später („Wie zwei einkaufsfreudige Damen ihre ganz persönliche Lieblingspassage in der Hansestadt fanden“), hier als Infotainment und Reportagen verkleidet, beginnt das wahre Grauen: die Restaurantkritiken. Sämtliche Tester scheinen vor hundert Jahren einen sehr schlechten Kurs in kreativem Schreiben besucht zu haben und man wird den Verdacht nicht los, dass alle im gleichen Kurs saßen. In umständlichstem Ton („..und der Kaierschmarrn aus dem Wok hob sich auch nicht von in klassischen Pfannen zubereitetem Schmarrn ab, was ja auch nicht sonderlich verwundert, da auch ein Wok schließlich eine Pfanne ist“), altbacken („Wir sind zwar bereits gut gesättigt, schreiten aber dennoch weiter zum Dessert“) und manchmal schlichtweg falschem Deutsch („ Das Couscous als Beilage gehen bei diesem Genuss etwas unter“.) stammeln sich die Tester durch das Erlebte ( „Demnächst werde ich öfter hier sein, auch um ein bisschen in französischen Träumen zu versinken“), endlos lang die klischeehaften Beschreibungen ( „Das zarte Fleisch zergeht nahezu auf der Zunge und wird durch den Rosmarin und einer mit Rotwein abgestimmten Sauce umschmeichelt“), oft genug zeugt das Geschriebene zudem von einer absoluten Sprachlosigkeit im kulinarischen Bereich: „ Das Kotelett und auch die Beilagen erschienen uns seltsam flach. Dabei können wir gar nicht behaupten, dass es nicht geschmeckt hätte, es hat nur keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.“. Auch solche Sachen nerven: „Nach entsprechendem Studium (der Karte) entscheiden wir uns, auf eine Vorspeise zu verzichten und lieber Platz zu lassen für ein Dessert“. Hallo, die Vorspeise ist euer verdammter Job! Wenn ihr nicht mal drei Gänge schafft, dann berichtet doch einfach vom Feuerwehrfest in Dimpfelshausen und esst da ne Bratwurst. Gerne gehen die Düsseldorfer auch mal ohne Reservierung los, ins Le Canard zum Beispiel und wundern sich und als es dann endlich klappt, die nächste Katastrophe: "..dank vieler (uns teilweise unbekannter) französischer Fachbegriffe können wir nur raten, um was es sich handelt." Statt aber mal nachzufragen, gehen unsere Profitester: "..aber lieber auf Nummer sicher und bestellen aus der Standartkarte. Völlig aus dem Ruder laufen die Tester wenn sie das ganz große Theater entdecken. „Wie will man eine perfekte Küche beschreiben?“, fragt sich da ein Tester und gibt leider die Antwort gleich selbst: „Vielleicht doch mit Parsifal. Parsifal will selbst den Gral verwalten und König sein. Er enthüllt den Gral, eine Taube kommt vom Himmel, purpurnes Licht erglänzt.“ Achso. Ich könnte hier noch stundenlang mit Zitaten um mich werfen, für Freude der Stilblüte findet sich in exakt jeder der 333 Kritiken mindestens eine umwerfende Ausdrucksperle. Als Restaurantführer ist diese Zeitschrift nur unter größten Vorbehalten zu gebrauchen, wenig Vertrauen erweckend und voll unseriösem Erlebnisschrott ( ...von wo aus wir später gute Sicht auf Ulrich Wickert haben werden, der pünktlich nach den Tagesthemen auf ein Glas Wein hereinschauen wird“). Es bleibt der Griff zum altbewährten SZENE Hamburg Sonderheft „Essen & Trinken“: Auch hier eine Brünette mit Dekolté auf der aktuellen Ausgabe, dafür 360 Restaurants und nur sechs Euro. Das Wichtigste aber: dort arbeiten Menschen die ihre Aufgabe ernst nehmen, keine Angst vor Vorspeisen zeigen und ihre Eindrücke auch knapp, lesbar und informativ zu Papier bringen können. http://www.ueberblick.de/
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