Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 2. Juli 2005
Eine Postkarte aus: Bayreuth

Alle zwei Monate bin ich für ein paar Tage in Bayreuth. Auf Montage, sozusagen.Und ich kann berichten, wenn gerade niemand singt, ist das ein schönes Städtchen, mit freundlichen Menschen, die zu Recht drauf bestehen, nicht Bayern genannt zu werden. Diesmal war ja noch diese Mini-WM am laufen und wir gingen nach der Arbeit ins

Ich gehöre zu den Menschen, die die Aussicht auf ein Fußballspiel nicht gerade in Verzückung versetzt. Die Einheimischen brachten mir aber viele gute Gaben dar, die mich in einen Zustand großen Friedens versetzten:

Als Beilage wurde Schnaps serviert, der in dieser Gegend "Niederdrücker" genannt wird, was mich sehr erfreute.

Auch wurde mir eine Ausgabe des örtlichen Kulturmagazins überreicht, mit einem sehr spannenden Leitartikel über Sartres Beziehung zu Bier:

Das Fußballspiel war dann auch sehr, äh, schön. Die Wogen der Begeisterung schlugen hoch, auch wogten Weizenbier und Niederdrücker in mir, darum sind leider alle Fotos vom Spiel unscharf und verwackelt:

Auf der Rückreise gelingen mir atemberaubende Beobachtungen der scheuen Spezies des allein reisenden Mannes im Bordbistro. Keine Fotos weil allein reisende Männer oft sehr agressiv werden, wenn man sie bei ihren Ritualen fotografiert. Während der Reise schwappt viel Müll aus ihnen raus, leider nicht nur hinten.

Ich also auf der Rückfahrt hungrig in Nürnberg eingestiegen in den ICE nach Hamburg, 19:38 Uhr, dann doch lieber den reservierten Sitzplatz fahren lassen für ein bisschen Völlegefühl im Bauch. Da sind aber schon Spielverderber in wasweissichwo früher eingestiegen und besetzten jetzt alles im Speisewagen, mit Rotwein auf dem Tisch und stark geschminkten Zufallsbekanntschaften in grauen Businessanzügen, also nach vorn ins Bistro, die Wochenattraktion heißt Fleischkäse gebraten mit Kartoffelsalat, mir ist eh schon alles recht vor Hunger und das Weizenbier schmeckt und rauchen darf ich und das Buch ist gut.

Das schätze ich überhaupt ungemein an längeren Bahnreisen, einmal nicht reden zu müssen, sondern dreihundert Seiten am Stück lesen zu können. Da bin ich im Bistro aber total falsch. Da rotten sich die Geschlechtsgenossen zusammen, Stände scheinen (zunächst!) keine Rolle zu spielen, nein, die längere Zugfahrt, dient dem kommunikativen Gruppenbesäufnis, ein dringendes Bedürfnis scheint es zu sein, rasend schnell wird sich reingestürzt in Biergläser und Worthülsen. Frauen verirren sich nur selten ins Bordbistro und auch nur kurz und auch nur wegen der Suchtproblematik wird schnell eine Zigarette eingesogen, dann augenrollend der Männerspielplatz zügig verlassen.

Die Männer sind über nur eine Zigarettenlänge beim „Du“ angelangt und erzählen lautstark vom Bären erlegen. Es wird viel gelacht und viel bestellt, die Geschichten schrauben sich in luftige Höhen. Meine Herren, wenn Eure Frauen wüssten wie ihr reden könnt! („meiner sagt auch nie was.“). Berufliche Erfolge werden ausgetauscht und beklatscht, danach geht es männerbewegt in die Vorstellungsrunde („ich bin Michael, ich heiße Stefan, ja so siehst Du aus! (Brüller)), der sich nahtlos die vierte Bierrunde anschließt. Noch zahlt jeder selbst, ab Runde fünf werden Runden ausgegeben (Du lass ma, ich mach das mal eben. Na gut, aber die Nächste geht auf mich, da besteh ich drauf!).

Nach ca. zwei Stunden bekommt die Männerrunde Risse. Nicht das jemand aussteigen würde, nein, wir machen durch bis Hamburg City und singen Bummsfallera! So einfach ist es nicht. Vielmehr lockert das Bier Hirn und Zunge, die Geschichten werden schärfer, die Statements undiplomatischer und das ist der Punkt wo sich einige Teilnehmer der lockeren Herrenrunde vergaloppieren.

Die Businessfraktion schämt sich ein bisschen für die Table-Dance-Geschichten des Werkzeugmachers aus Altona, der Münchner Premiere-Mitarbeiter mit dem Lenin-T-Shirt verscheißt es sich bei fast allen ganz gehörig mit der Aussage, er ordne HSV-Fans doch eher dem rechten Spektrum zu und der Spacken im gepunkteten Kurzarm-Hemd hat als Klingelton „Freude schöner Götterfunke“ gewählt und nennt seine Frau: „Maus, holst Du mich nachher ab?“. Soviel kann man gar nicht trinken um so was zu feiern. Der eben noch weltoffene Verein der Brüderlichkeit zerfällt. Peinliche Blicke und verbrüdernde Seitenblicke zwischen einzelnen Teilnehmern nehmen zu und ab Runde acht zahlt auch wieder jeder selbst. Nur mühsam gelingt es, sich weiterhin schulterklopfend über Politiker, Fußballer und Frauen aufzuregen (in dieser Reihenfolge), nicht alles wird mehr kollektiv beklatscht und kurz vor Hamburg verliert die gesamte Gesellschaft in Lüneburg ihre Restwürde, bei der Diskussion ob denn nun noch eine Runde zu trinken sei (wäre, sein könnte, noch rein geht): „ich kann doch nicht stockbesoffen nachhause kommen“. In Hannover hätte man ja noch die Kurve kriegen können, aber jetzt in Lüneburg? Späte Erkenntnis.

Ich war auch nicht faul. Männerkreis beobachten, Fleischkäse essen, vier Bier trinken, eine Schachtel Zigaretten rauchen und 213 Seiten lesen. Und natürlich habe ich hinter Lüneburg noch ein Bier bestellt, so als echter Mann!