Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 20. April 2005
Erste Küsse

Vor meinem Schreibtischfenster liegt ein Kinderspielplatz. Der Kinderspielplatz liegt abgelegen in einem großen Hinterhof, kaum Durchgangsbesuch, der Platz ist fest in der Hand der Nachbarskinder. Seit acht Jahren sehe ich den Kindern beim wachsen zu. Irgendwas ist anders in diesem Frühling. Es ist viel leiser als sonst. Die Mädchen sind plötzlich mehr als üppig geschminkt und stehen getrennt von den Jungs. Die Jungs kicken jetzt nicht mehr, sondern versuchen zu rauchen. Wer jüngere Geschwister hat, ignoriert diese. Es wird wenig geredet und viel ins Handy getippt.

Der coolste Junge vom Platz hat heute das schönste Mädchen vom Platz geküßt. Vor allen! Hat sie geküßt, sich dann schnell weg gedreht, sich mit dem Ärmel den Mund abgewischt und schnell ne Kippe an. Riesen Applaus!

Mir wurde plötzlich ganz sentimental und ich mußte an meinen ersten Kuß denken (den Name meiner Kuß-Partnerin habe ich diskret geändert):

Die Party lief prima! Noch nicht mal vier Uhr Nachmittag und Ulla Hellmann, die Gastgeberin verkündete, sie möchte heraus finden, wer von uns Jungs am besten küsst, also ginge sie jetzt mal raus, ins Treppenhaus und dann, bitte nacheinander, ja? Ich fand das doof, das alle Ulla Hellmann küssen dürfen, ich war verliebt in Ulla Hellmann. Alle, das hieß aber auch, ich durfte und das fand ich ganz prima.

Ulla stand im Treppenhaus und wartete, ich wußte nicht wohin mit meinen Armen, legte sie um ihren Hals, sie war größer als ich, ich musste mich ein bisschen strecken. Unsere Lippen traffen zusammen, ganz zart, ihr Lippenstift schmeckte süß, ihre roten Haare, ihr rosa Pullover, die ganze Ulla roch nach Kaugummi, Oshkosh-Parfüm und Rauch. Ich atmete tief ein.

Plötzlich bohrte sie ihre Zunge zwischen meine Lippen, ich spürte ihre Zungenspitze an meiner, dann gingalles sehr schnell. Meine Kopfhaut kribbelte, meine Hände wurden eiskalt, mir wurde schwindelig, die Beine fühlten sich taub an. Ich klammerte mich an Ulla Hellmann fest, legte meinen Kopf auf den watteartigen Pullover, genau zwischen ihrer Schulter und der weichen linken Brust, schloße die Augen und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Ich glaubte ich hinge jetzt schon viel zu lange an Ulla Hellmann, das fand sie auch, stießt mich weg und sah mich streng an:“jetzt ist ja wohl auch mal wieder gut. Nur Küssen habe ich gesagt!“.

Ich wankte zurück in die Wohnung, öffnete eine Dose Cola und setzte mich neben Rolf. Rolf rammte mir seinen Ellebogen in die Seite, lachte und sagt:“Stark, oder! Die Ulla, die weiß was Männer mögen!“.
Ich nickte, starrte in das Loch der Coladose und dachte, nee, eigentlich nicht.