Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 27. Februar 2005
Herr Paulsens erbauliche Sonntagspredigt. Folge 6: Beatles oder Stones?

Immer wieder die ermüdende Frage: „Beatles oder Rolling Stones“, ein altes Ritual, populärer als die Frage nach Pepsi oder Coke, augenzwinkernd vorgetragen von popmusikalischen Nerds, sag mir was du hörst und ich sage dir wer du bist. Über Generationen (zwei müssten es jetzt schon mindestens sein), wird da gefragt, Beatles oder Stones, geschmäcklerisch, dogmatisch, verbohrt, als ginge es darum, Popgeschichte an zwei Fixpunkten festzunageln, verunsichert sich zurückziehend, auf zwei Bands, sie alle zu kategorisieren.

Ähnlich dämlich und populär, kommt da nur noch die Frage nach der ersten, selbst gekauften Single daher, Langeweilebefragungen auf langweiligen Partys mit schlechten Drogen. Da wird dann auch bei den Antworten gelogen und verbogen, gerne auch die eigene musikalische Biographie, Giles Smith, hat das in seinem Buch „Lost In Music“ auf das Schönste beschrieben.
Ideologischer als bei der Frage nach den Beatles oder den Stones kann es aber nicht hergehen, da wird wahrheitsgemäß geantwortet, und zwar mit Schmackes.

Mich hat nie jemand gefragt.

1969 geboren, aufgewachsen in einer mittelgroßen, deutschen Kleinstadt bewegte uns Teenager zu Beginn unserer Karriere als Musik-Konsumenten eher die Frage „Nena oder Tote Hosen“, „BAP oder Ideal“. Da hörte ich schon 15 Jahren die Beatles. Die Beatle spielen seit ich denken kann, es würde mich nicht wundern wenn ich zu den Klängen von „Lady Madonna“, das Licht der Welt erblickt hätte. Meine Mutter spielte ihre Beatles-Platten ständig als ich klein war. Ich wuchs auf in einer Kommune, mit meiner Mutter, George, Paul, John, Ringo und meinem Vater.

Später, als ich die Schule schon verlassen hatte kaufte sie einen Kanarienvogel und nannte ihn Ringo. Er starb an einem Herzschlag, während eines Saxophonsolos meinerseits, mit dem ich ihm Freude bereiten wollte. Ich hatte drei Unterrichtsstunden hinter mir und sein musikalisches Gehör unterschätzt.

Alan Aldrige veröffentlichte in meinem Geburtsjahr ein Beatles Songbook, illustriert von Künstlern dieser Zeit (Tomi Ungerer, David Hockney, to name but a few), woooh, whooo, psychedelic baby!

Es sollte meine Bilderbuch der Kindheit werden, und ich danke meiner Mutter noch heute dafür. Auch besaß ich „Die kleine Raupe Nimmersatt“ und „Wo die wilden Kerle wohnen“ und so ziemlich jedes Kinderbuch das in 70er-Foren je erwähnt wurde. Sie alle sehen aus wie neu. Alan Aldriges Songbook aber, mit seinen wilden Comics, traumhaften Potographien und kunterbunten Zeichnungen, ich habe es persönlich nachcoloriert und Fehlendes ergänzt. 1975, meiner künstlerischen Unpässlichkeit wohl bewusst, versuchte ich, meine damalige Grundschul-Klassenlehrerin, einem Drachen kurz vor der Rente, mit einem abgepausten Bild zu versöhnen. Da sieht man zwei Menschen; und der ohne Gitarre fragt in einer Sprechblase: „Can´t you play any Northern Songs“. Meine Eltern wurden vorgeladen.

Ich lernte Englisch mit den Beatles, obwohl ich hier nicht verschweigen möchte, das meine erste, lautstark hinausgebrüllte , englischsprachige Nummer „Paloma Blanca“, von der George Baker Selection war. Einige Jahre später beschämte mich mein siebenjähriger Bruder mit einer selbst geschrieenen Version von Toy Dolls „Turtel Crazy“.

Kommen wir zu den Rolling Stones.

Sie fanden einfach nicht statt in meinem Leben. Auf meinem Weg zu einem alten Mann begleiteten mich Ska, Rocksteady, Beat, Funk und Soul, County und Rock´n Roll. Und überall traf ich sie wieder, die Beatles. Die Stones , das war und ist irgendwie was zum mitgrölen auf Dorf-Festen, Menschen in zu engen Lederhosen pressen sich in zu enge Stadien, trinken überteuertes Bier und krakelen dazu: „I can´t get no..umpah...umpah... Satisfaction!!!!“.
Und ja, man glaubt es ihnen.

Auf dem Höhepunkt meiner Stones-Euphorie kaufte ich mir 1989 ein Doppelalbum Namens „Stoned Alchemy“, 30 original Blues and R&B Hits that inspired the Rolling Stones. Ich war erstaunt. Alles Stones-Nummern und alle besser als die Stones-Nummern. Ich sah das Licht.

Die Beatles hörte ich weiterhin, ein Universum, nicht kopiert, neu erfunden, ich lernte ihre Platten kennen, las ihre Biographien und übersetzte ihre Text. Ich begann sie zu begreifen, fühlte mich in verschiedenen Lebensphasen, erst wie Ringo (keiner mag mich), dann wie John ( love, peace and the finger for you!).

1995 war mein Jahr. Alle hörten die Beatles! Die hießen jetzt nur anders, Blur und Oasis, und die Frage war nicht mehr Beatles oder Rolling Stones, sondern Blur oder Oasis. Die Beantwortung der damals aktuellen Frage war aber ungleich leichter zu beantworten: natürlich Blur.

Während sich Oasis als Totengräber verdingt machten, hemmungslos die Beatles kopierten und, damals, wie heute, die langweiligste, überschätzteste Band aller Zeiten sind, einer Bande von geschwätzigen, britischen Großmäulern, die nicht mal das Großmäulern erfunden haben, sondern auch das gleich von John Lennon geklaut haben, diese überheblichen Nichtsblicker, die meinen, mit einer kräftigen Portion Beatles und einer Prise Shiva sei es getan, diese verbal-inkontinenten Gesichtsbrüder, deren Horizont nun mal nicht über den nächsten Pub-Tresen hinaus geht, diese........

...........tschuldigung, wo war ich? Also Blur jedenfalls haben damals aus dem Beatles-Testament Neues geschaffen, ganz im Sinne der Erfinder.

Neulich habe ich etwas Schreckliches getan. In einem Hamburger Club, dem Logo, lief das große Coverband-Festival. Als die Beatles an der Reihe waren, bin ich hin. Sie ahnen es, ein Desaster. Ein ganz passabler Ringo Starr, spielte mit einem fleischkappigen Fußballvereins-Kassenwart als Paul und einem zentnerschweren George aus Buchholz, mit Löckchen und Goldbrille, sowie einem gealterten Siegfried UND Roy als Siegfried und Roy, die schönsten Hits der Beatles. Dazu gab es lustige Ansagen im hiesigen Dialekt und auch eine Pause. Die nutzte ich, um mit gewellten Zehennägeln zum Ausgang zu stürmen.

Ich lief Nachhause, mich selbst aufs unflätigste beschimpfend und fand dann doch Trost in dem Gedanken, das die Stones-Fans noch eine viel schlimmere Coverband haben:

Marius Müller Westernhagen.

PS:
Die richtige Antwort ist natürlich: Die Beatles.