Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 26. Februar 2005
Testesser Paulsen berichtet: Grindelchen

Es bimmelt an der Tür. Wer daaha? Vor der Tür steht der Trendscout. Mit glühenden Bäckchen erzählt er vom neuesten "Place to eat" in Hamburg, ein Wunder fände da statt, Deutsches Essen fast umsonst, aber mit echten Kellnern die in gestärkten Hemden minütlich die Aschenbecher wechseln. Und nur alte Leute, so richtige Omas und Opas. Ganz "abgefahrene Nummer" und "der Hammer".

Ich falle ja auch auf Werbung für Fleckenentferne rein und bin dann da also gestern mal mit Freunden hin. Mein Trendscout ist eine geschwätzige Person, das Restaurant ist übervoll mit jungen Menschen die Kapuzenpullis tragen, selbstverliebten Werbern in schwarzen Anzügen und frauenrechtsbewegten Frauen in Schlabberpullis. Eine bunte Mischung trifft sich in dem kleinen Lokal unter der Überschrift "Futtern wie bei Mutti", diese Sehnsucht scheint alle zu einen. Die angekündigten Omas und Opas essen wohl jetzt woanders.

Der Blick in die Speisekarte entzückt mit einem Gruselkabinett Deutsche Klassiker zu Schleuderpreisen. Toast Hawaii für 1,99 €. Fischstäbchen mit Kartoffelpüree für 2,10 €. Ein kleines Bier 0,2 gibt es für 0,99 €. Der Kellner im gestärkten Hemd empfiehlt einen Merlot, den er in den Sorten Halbtrocken und Trocken vorrätig hat, der Viertelliter für 1,99 €. Die Buben nehme Bier, die Damen trinken Martini auf Eis für 1,99 €.

Wir bestellen und das Warten beginnt. Die Küche kolabiert und wir haben ausreichend Zeit die apricotfarbenen Wände zu bestaunen, die verrauchten Gaze-Vorhänge die tropfenförmig die Fenster rahmen, die Kunstwerke an der Wand, eine bunte Mischung aus Tulpen in Lack und Runenzeichen auf Gips. Sechs kleine Biere und 1 1/2 Stunden später bringt uns der aufmerksame Kellner eine Runde Schnaps aufs Haus, gleich käme auch was zu essen. Seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, gleich halb Zehn, aber schon sechs Bierchen und einen Korn, die Stimmung steigt.

Zuerst kommt der Toast Hawaii. Stilecht mit Belegkirsche auf braunem Steingut serviert. Zusätzlich mit Platzteller! Meine Bauernsülze ("mit gehacktem Speck", erklärte der Kellner) ist mit 4,99 € richtig teuer und richtig fettig. Die Bratkartoffeln schwitzen Öl, die Bauernsülze schillert fettig, die Remoulade deckt ihren Fettmantel darüber und ich beginne den Schnaps zu verstehen. Es sollte nicht der Letzte des Abends sein.

Mein Nachbar säbelt lustlos ein trockenes Schnitzel Wiener Art und fast das so zusammen: "Also das schmeckt ja hier richtig scheiße." Dann bricht der Kollege am Tischende schwitzend und stöhnend zusammen. Auf seinem Steak liegen vier Champignons in zwei Eßlöffeln gekörntem Industriepfeffer gewendet. Der Vegetarier löffelt still seinen Gemüseauflauf. In einem halben Liter Milch schwimmen Stücke von Mischgemüse unter einer zähen Käsedecke. Und alles, alles ist bestreut mit gefriergetrockneter Petersilie. Auch das Pastetchen mit Hühnerfrikasseé, vereinzelten Hühnchenfetzen in glasig-grauer Sauce.

Wir bestellen Schnäpse und Bier, die Damen trinken jetzt Bailys ("woah, ist das billig"). Minütlich werden die Aschenbecher gewechselt. Ich gehe mit Zahnseide bewaffnet auf die Toilette. Mein Weg führt mich an der offenen Küchentür vorbei. Eine sehr alte Frau kocht zusammen mit einer Jüngeren auf drei studentisch anmutenden Zwei-Platten-Elektro-Kochern, dazu ein Grill und eine Mikrowelle. Ich winke freundlich und nicke anerkennend, der Alkohol wirkt.

Zurück am Tisch noch eine Runde aufs Haus, dann werden wir rausgeschmissen. Vor der Tür fassen wir das Erlebte nochmal zusammen und sind uns einig: das alles ist eher rührend als ärgerlich, das Essen hat seinen Preis, den Service wünschte man sich in vielen anderen Restaurants. Für zehn Personen haben wir 150 € bezahlt, zwei Drittel davon Getränke. Die Rechnung schicke ich dem Trendscout.

Grindelchen
Grindelhof 64, 20146 Hamburg (Rotherbaum) Telefon: (040) 41 30 89 96