Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 25. Februar 2005
Fett auf Fotos, Verfall auf Altpapier & die Lochkarte des Lebens

Wir haben eine Wohnung gefunden. Und gestern schlachtete ich also 12 Meter Kochzeitschriften, Frauenzeitschriften und Lifestylmagazine mit dem Cuttermesser. Ich blätterte mich durch acht Jahre Rezepte und Foodstyling. Eine bemerkenswerte Reise. Zum Beispiel bemerkte ich, dass sich die Präsentation von Essen in den vergangenen acht Jahren nur wenig geändert hat und das Foodstyling haben meine Kollegen und ich auch nicht neu erfunden in diesem Zeitraum. Viel bedrückender aber waren die Fotos. In den Zeitschriften fanden sich viele Fotos von mir, beim testen von Weinen, bei Kochkursen, in Editorials. Der Verfall ist unbeschreiblich. Schon fünf Jahre reichen um einen Menschen erkennbar altern zu lassen. So lächelt mir zum Beispiel 1999 ein bübchenhafter Skinhead, gewandet in ein schillerndes Versace-Hemd-Imitat aus der Türkei, entgegen und präsentiert die beliebtesten Wildgerichte. Unter dem Foto des jungen Mannes mit den weichen Gesichtszügen steht mein Name.

Seltsam auch die Fotos der Freunde. Weil die Redaktionen schon damals kein Geld hatten, wurde für Party-Fotostrecken der Freundeskreis eingespannt. Eine Fingerfoodparty zum Millenium zeigt fröhliche junge Menschen, Sabrina sieht fantastisch aus, die zwei Kinder in weiter Ferne. Ina und Alex sind in Rumänien verschollen. Einfach weg. Frauen mit denen ich schlief, laufen mit einem Skinhead durch den herbstlichen Rheingau und helfen bei der Weinernte oder schaufeln Sushi. Mein Freund Andropovs Onkel trägt auf einem alten Foto einen Pferdeschwanz und einen weiten Pullover, zwei Jahre später sitzt er bei einer Weinprobe im Anzug mit gebändigtem Haar. Rührselig werde ich und beginne das Cuttermesser schneller durch die Seiten zu ziehen.

Tröstlich allein, zu diesem Zeitpunkt war ich wenigstens nicht mehr fett. So Mitte der Neunziger war ich nämlich mal richtig dick, auf Fotos, auf Filmen und auch sonst die ganze Zeit. Es gab da nichts zu rütteln, außer an der Waage und meinem Selbstwertgefühl. Erschwerend kam hinzu, mein Körper verfettete an den falschen Stellen. Der Bauch, den konnte man noch mit kreativen Elementen beim Kleidungskauf kaschieren, ich bin nicht dick, das ist Hip Hop und auch voll gemütlich. Im Gesicht war dagegen nix mehr zu retten und genau da standen sie Schlange, die Sahnesaucen und Feierabendbiere drängten sich unter die Gesichtshaut und bildeten dicke Kissen wo früher zarte Wangen lachten.
Auch der Spiegel sprach nichts anderes und so vermied ich es, fotografiert zu werden. Ganz drumherum gekommen bin ich nicht, entwickelte aber einen kleinen Trick, den ich in einem Artikel über Supermodels entdeckt hatte. Das funktionierte gut dachte ich und ich dachte auch, das merkt kein Mensch......

Letzte Weihnachten dann, zeigte ich meiner Schwester einige aktuelle Fotos, plötzlich wirft Sie sich laut kreischend nach hinten und ruft: „DAS machst Du immer noch?“. Brüllendes Gelächter, ich fragte irritiert nach. „Na das mit dem Innenbacken einsaugen und draufbeißen, das ist Dein typischer Fotoblick“. Ich leugnete vehement, doch es half nichts. Alte Schuhkartons wurden ausgegraben, mit alten Fotos, so Mitte der Neunziger. Und tatsächlich, auf jedem Foto sieht man einen dicken jungen Mann, in wallenden Gewändern, der Mund irgendwie verkrampft, ganz spitz nach vorne gezogen, links und rechts zwei dicke Backenkissen, die mittig irgendwie an den Innenseiten der Mundhöhle festgetackert scheinen. Sozusagen zwei Kaisersemmeln mit Schlitz.

Ich habe jetzt ein Foto-Mantra entwickelt, sobald ich eine Kamera bemerke murmel ich los: „nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisers..“
Klick.
„Du, wenn der Film fertig ist, könnte ich dann bitte keinen Abzug haben?“

Abends schleppte ich dann die viele Tonnen Altpapier, denen ich Erinnerungen und Rezepte entrissen hatte, zum Container. Dann musste ich noch zu einer Fotostudio-Einweihung. Es gab Häppchen und Alkohol, es wurde geküsst und gesmalltalkt. Ich kann das nicht. Obwohl es wichtig wäre, viele wichtige Menschen von großen Deutschen Lebensmittelkonzernen sind anwesend und wer sich jetzt prickelnd Unterhält bekommt die nächsten Jobs. Ich kann das nicht, die melancholische Stimmung der Ausriss-Aktion verstärkt das Ganze noch, ich kann jetzt nicht plaudern, ich ziehe mich mit einem Weinglas in eine Ecke zurück. Arbeite ich halt weniger in nächster Zeit, denke ich, während ich den Kollegen beim bebalzen angetrunkener Agenturdamen zusehe.

Dann kommt mein Friseur. Mit meinem Friseur kann ich immer reden. Ich erzähle ihm von der Ausriss-Aktion und mein Friseur sagt daraufhin diesen schönen Satz:

„ Im Alter werden die Löcher immer größer, in der Lochkarte des Lebens.“