Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Samstag, 19. Februar 2005
Herr Paulsen geht aus: Junge Modeschöpfer ganz privat
herr paulsen
19:04h
Vaaarückt diese jungen, angehenden Modedesigner und Textilbetriebswirte! Feiern ihr Geburtstagkind wiedererwartend nicht in trendigen Lounges oder alten Fabrikhallen, nein, das wäre zu sehr nineties. Das Geburtstagskind läd vor die Tore Hamburgs, ins Haus seiner Eltern. Dicht gedrängt steht die Branche zwischen gerahmten Jagdszenen und britischem Dekor. Plüschige, dicke Blumenmustervorhänge fangen Staub, die Wände schimmern matt in tiefem Waldesgrün. Porzellanfiguren begleiten den Gast auf allen Wegen. Als ich 26 Jahre alt wurde, hatte ich keinerlei Ambitionen im Elternhaus zu feiern und bis heute will sich der Wunsch nach Zerstreunung im Wohnzimmer meiner Erzeuger nicht einstellen. Das mag an meinen Eltern liegen, denn die Eltern des Gastgebers sind wunderbare Gastgeber. Über ihre Qualitäten als Eltern vermag ich nichts zu sagen, aber die Wahl der Partylokation lässt auf tiefe Bindungen schließen. Die jungen, angehenden Modedesigner und Textilbetriebswirte sehen toll aus. Junge Männer, mit klarem Blick und Visionen, schaffen es, in roasfarbenen Hemden und lustig bedruckten T-Shirts nicht doof auszusehen. Ganz toll sehen die jungen Mädchen aus. Größe 34, ab 170 cm. Da schmecken die ausliegenden Mini-Mohrenköpfe, äh, Negerküsse, äh Schokoküsse, ganz ausgezeichnet. Aber nur die Weißen, erfahre ich, und dass da immer zu wenig davon in den Packungen sind. Ja, Kinder, das Leben ist ungerecht und voller Gemeinheiten. Die jungen Mädchen sehen alle aus wie Supermodels, was schön anzusehen ist. Sie tragen alle verwaschene Jeans und drei bis vier Oberteile übereinander, die sich in filigran gelegten Abstufungen bis zum Bauchnabel vorlappen. Dann kommt lang nix, dann die oben beschrieben Hose. Besonders hübsche Hinkucker bieten sich, wenn sich die Mädchen bücken. Und es wird sich viel gebückt an diesem Abend, wegen der zwei süßen kleinen Hunde. So gelang mir an diesem Abend ein schöner Überblick über die derzeit angesagtesten Tanga-Schlüpfer-Kollektionen. Accessoire des Abends übrigens die Handtaschen von Louis Vuitton. Ich zählte fünf Stück und lehnte mich bezüglich der neuen Studiengebühren entspannt zurück. Zumindest hier schien das nicht so das Problem zu sein. Ein ganz anderes Problem plagte mich und mein Selbstbewusstsein. Keines der jungen Mädchen sprach mit mir, ja ich schien gar nicht anwesend zu sein, kein freundlicher Blick, kein einladendes Lächeln. Ich existierte nicht. Und das obwohl ich den Anziehtipps der Liebsten detailgetreu gefolgt war und sehr gut aussah, in meinem schwarzen Boss-Anzug, einem regenbogenbunten Hemd von Joop, veralterten Esprit-Sneakern und die Haare wie Adam Green „geordnet“. Mehr Glück hatte ich bei einer älteren Dame aus Wien, mit der ich sogleich meine Leidenschaft für Wien, den Naschmarkt und allem Kulinarischen an sich teilte. Die Dame erzählte sehr anschaulich von ihrem letzten Amoklauf im Café Demel: „Ich oiso dia Bralinen angschaud un gsogt: gebens mir noch a Deca davon, davon a Deca und da nehm ich auch a Deca. I bin naus mit am Schachterl Bralinen für 980 Schilling, des san üba sächzig Äuro zumiiindest!“. Dann demonstrierte die Dame begeistert die Größe der Pralinenschachtel, holte dazu schwungvoll aus und fegte mit Schmackes ein gefülltes Rotweinglas an die waldgrüne Wand. Es spritzte sehr schön und auch dem cremfarbenen Teppich schmeckte der Rotwein. Jetzt kam Schwung in die Party und die schönsten Rotwein-rauskriegen-Tipps wurden ausgetauscht und angewandt. Hier die Top 6-Hitliste der Rotwein-rauskriegen-Tipps: 1. Salz Es gewann Tipp Nr. 6 Inzwischen machte ich mir große Sorgen um die jungen, angehenden Modedesigner und Textilbetriebswirte, denn die jungen Menschen hatten die Musikanlage entdeckt, die sich in einem antiken Schränkchen versteckt hatte, wohl wissend was kommen würde. Es kam Robbie Williams und er kam live aus Knebworth. Das ist an und für sich eine sehr charmante Platte und ich gestehe vor zwei Jahren auch an der ein oder anderen Stelle eine wohlige Gänsehaut bekommen zu haben, aber alles in allem enttäuschten mich die jungen Designer und ich unterdrückte den Wunsch, allen mit Musikempfehlungen auf die Nerven zu gehen. Ich erkannte nur sehr wenige Gegenstände und man klärte mich auf, das seien alles sehr wichtige Dinge zum „golfen“. Besonders schön fand ich den Eiskugelausstecher am Teleskop-Arm. Der war aber zum Golfbälle fischen, wenn man mal wieder einen Golfball in den Teich gedroschen hatte. Als Knüller des Abends entpuppte sich aber eine Karaoke DVD der Firma „Edel“ mit allen Ballermann-Hits.
Fernseher und DVD-Player waren schnell gefunden (Wohnzimmerschrank) und los ging es. Auf dem Bildschirm feierten sehr bunt bekleidete Menschen, mehr oder weniger entfesselt, in einer Disko mit einem fünffarbigen Punktstrahler. Die „Rahmenhandlung“ bildete eine Bardame mit riesigen Brüsten im knappen zitornengelben Quetschkleid, die immer zum Refrain die Cocktailshaker hochriss. Einige Songs waren auch mit Mallorca-Urlaubsvideos unterlegt. Insgesamt ein toller Spaß für die ganze Familie, ich sang eifrig mit und war erstaunt über die Texte, die mich in ihrer Klarheit bislang nicht erreicht hatten. Irgendwann forderte der Vater des Gastgebers lautstark man möge doch bitte die Nummer „Geh doch zuhause, Du alte Scheiße“ spielen. Die Liebste und ich nahmen diese Auforderung wörtlich und verabschiedeten uns, mir war auch schon ganz schlecht weil ich während der Karaoke-Party ca. 7 kg Cashewnüsse und Makadamianüsse eingeatmet hatte. Draußen lag Schnee und mein Mageninhalt hätte locker gereicht, den gesamten Heimweg zu streuen. Drinnen entsannen sich die jungen, angehenden Modedesigner und Textilbetriebswirte ihrer kulturellen Vorbildfunktion und Robbie Williams sang: Life's too short for you to die
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