Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 8. Februar 2005
Die Liebe, Fasching und Tierfutter vom Ende der Welt

Es ist ja nicht so, das die Faschingszeit spurlos an mir vorüber ginge. Nein, auch ich nehme an einem kleinen Ritual teil, natürlich geht es ums Essen. Immer am Dienstag nach Rosenmontag esse ich Tierfutter. Seit zwei Jahren. Und das kam so:

Am 11. Januar 2003 trat, nach beschämend kurzer Abwesenheit, die Liebe wieder in mein Leben. Seitdem erklärt mir die Liebste die Welt. Und sie macht das gut. Ich habe gelernt, dass man nicht auf jeder Party dabei sein muss. Auf jeder Zweiten aber unbedingt. Sie lehrte mich, dass es völlig in Ordnung ist 24/7 zu arbeiten und dennoch eine Beziehung führen zu wollen. Ich bin gar nicht krank!
Von der Liebsten erfuhr ich, das man Sonntags ins Grüne fahren kann, man stirbt nicht an der frischen Luft und es gibt auch gute Gasthäuser, dort, wo ich stets das Ende der Welt, eine Klippe, einen Abgrund und tschüß, gleich hinterm Hamburger Ortsschild, vermutet hatte. Sie zeigte mir, dass ich einen Tag ohne Internet überlebe und Schwarz nicht die einzige Modefarbe ist.

Erstaunlich!

Zur Karnevalszeit erweiterte sie dann auch noch meinen kulinarischen Kalender um eine seltene Spezialität.

Tierfutter!

Die Liebste ist aus Elmshorn, einer kleinen Gemeinde, direkt in meinem gedachten Ende der Welt gelegen, dort essen die Bewohner, die Karneval, Fasnet, Fastnacht traditionell zutiefst verachten, genau um diese Zeit traditionell Tierfutter. Alle Wirtshäuser in und um Elmshorn servieren am Faschingsdienstag ihren, vorwiegend menschlichen Gästen, Tierfutter. Umsonst. Dafür werben sie im Stadtanzeiger. Seitenlang.

Schuld daran war der Krieg. Damals im Februar 1650. Schwedenkönig Karl Gustav und Wallensteins Heer kloppten sich bei Elmshorn die Köpfe ein. Monate. Lang. Neben den kriegsüblichen Kollateralschäden hungerten die, die sich nicht kloppten und irgendwie überlebten. Irgendwann waren die Schweinebraten aus. Auch Torte gab es nicht mehr. Viehzeug war komplett verzehrt. Und da lagen sie rum. Berge von Kapuzinererbsen, einem Mastfutter für das liebe, aber soeben verstorbene Vieh. In der Not frisst, nicht nur der Elmshorner, Kapuzinererbsen. In Wasser geweicht, Stunden gekocht, während um die Stadt herum gemordet wurde und dann, die Enttäuschung, ein brauner Schleim in grauem Wasser.

Der aber Leben rettete.

Die Elmshorner haben das nicht vergessen. Ein jeder Wirt der dort was auf sich hält, kocht also am Faschingsdienstag die grauen Erbsen. Eigentlich heißen die Kapuziner-Erbsen und sind rot-braune dicke Dinger die 12 Stunden eingeweicht und dann mit Speck und Poreewürfeln stundenlang im Sud zu einem dicken graubraunen Brei eingekocht werden. Dazu gibt es Kochwurst, Schweinbacken, Kasselernacken, Salzkartoffeln und eine Specksauce. Es schmeckt köstlich und wer überlebt bekommt einen Aquavit.

Ja und heute Abend ist es wieder so weit, ich freu mich da seit November drauf, denn im November muss man den Tisch reservieren für den Tag nach Rosenmontag, es wird in drei Schichten gegessen, ein Volksfest, die Hütte brennt und im November gibt es noch Tische nach Wahl.

PS: fast wäre Elmshorn richtig berühmt geworden. Als Olympiastadt! Die arroganten Hamburger hatten gedacht, wir lassen dort im Grünen ein paar Pferde traben, während der Olympiade (bruhahaha). Und graue Erbsen für Pferd und Reiter! In einem Abwasch. Und so billisch!
Jetzt ärgern sich die Hamburger, die Elmshorner renovieren den alten Sportplatz ohne Zuschüsse und ich, ich hoffe einfach, das ich bis an mein Lebensende, immer im Februar, mit der Liebsten in Elmshorn sitze, wir bestellen graue Erbsen. Und dann erklärt sie mir noch ein bisschen die Welt.

..................................................rülps.

Rezepte:

http://top.schleswig-holstein.de/artikel/1,3327,JGdlbz0yNCRpdGVtPTM5NjgxMzAk,00.html