Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 10. Januar 2005
Lautstarker Altbau, Waldbewohner & ein Geständnis

Schanzenviertel, 4 Zi., renov.Altbau, 90 qm, Parkett, Stuck, Vollbad, Keller, WG-tauglich-, ab sof., € XXXX

Ich setze meine sonore, Vertrauen schaffende, Wohnungsbewerbungsstimme auf, die ich mir während der dreimonatigen Wohnungssuche angewöhnt habe und ruf da mal an.

Ringring.Ringring.
„Ja!“
Ja, schönen guten Tag, Paulsen mein Name, ich interessiere mich für ihre...“
„Die Wohnung ist sehr laut.“
„...für ihre Wohnung in der Schanze und wollte Sie fragen wann denn da....“
„Die Wohnung ist sehr laut! Schulterblatt. Direkt Schulterblatt. Das ist die Partymeile in der Schanze, also sehr laut.“
„ Ja, äh ich weiß wo das ist, das ist völlig in Ordnung ich wollte nur mal fragen, wann denn da die Besichtigung ist.“
„ Also noch mal, die Wohnung ist sehr laut und ich hab überhaupt kein Bock das da so Leute kommen, die keinen Bock ham auf Schanze, denen das dauernd zu laut ist, die Wohnung ist nämlich extreeeem laut und wers leise mag der soll in den Wald ziehen. So ab inn Wald und gut is und auch leise da im Wald.“
„Äh ja, äh, also, das ist jetzt erstmal nicht so das Problem könnten wir vielleicht trotzdem mal kucken kommen?“
„Also pass mal auf, klar ist da Besichtigung, kommste Sonntage um Zwei und gut is.“
Aha. Man dutzt sich.
„Ja Zwei, das ist ja wunderbar, wir kommen dann da mal...“
„Ne, ja da freuste dich, ne, mit richtig ausschlafen und dann kucken, ne, man muss ja auch mal ausschlafen am Sonntag. Hausnummer ist XX, sehr laut da direkt über der Bar XY, kommta um Zwei, könnta kucken.“

Sonntag. 14:00 Uhr. Die Liebste und ich betreten die schönste Altbauwohnung die wir jemals gesehen haben. Erfurcht ergreift uns schon an der Eingangstür. Den Hausherren kenn ich, ich glaube das ist der von meiner Videothek. Auch er erkennt mich, ja hei Allder, er schlägt mir auf die Schulter, grüßt die Liebste mit einem respektvollem Kenner-Nicken, derweil er ihre Brüste studiert. Die Wohnung ist angefüllt mit Boys & Girls der Jahrgänge 1983 aufwärts, die Mädchen sehen alle aus wie Charlotte Roch, die Jungs tragen alle Parka und sehen aus wie Christian Ulmen vor fünf Jahren. Außer uns ist nur noch eine ältere Dame anwesend, eine Charlotte Roche hat ihre Mutter mitgebracht. Mein Videothekenmensch hat wohl am Telefon gute Vorarbeit geleistet. Alles gruppiert sich um meinen Videothekenmenschen der jetzt einen Vortrag über die Lautstärke der Wohnung hält: „Sehr laut die Bude, sehr laut. Nicht nur im Sommer, nein auch im Winter, ständig, jeden Tag der Lärm aus der Bar da unten, ich sags nur schon vorher, hier Hamburger Mietvertrag, alles tiptop, da bei Sonstiges hab ichs reingeschrieben, sehr laut!“ Ich sehe in den Mietvertrag, tatsächlich da steht: Sehr laut.

Erwähnte ich eigentlich, dass diese Altbauwohnung die schönste Altbauwohnung ist, die wir je gesehen hatten auf unserer Wohnungssuchodysse? Wir gehen ein wenig umher, träumen, staunen und merken, es ist sehr laut. Vom Wohnzimmer her. Dort wird mein Videothekenmensch nicht müde zu erläutern wie laut die Wohnung ist. „Jetz hört ma grad nix, aber Abends immer, im Sommer Horror, im Winter unerträglich!“ Wir entdecken ein wunderbar geräumiges Zimmer zur Hinterseite raus. Unser Schlafzimmer! Sehr laut, besonders das hintere Zimmer, erklärt mein Videothekenmensch. Die Wohnung leert sich langsam. Ich nehme meinen Videothekenmensch beiseite und frage nach: „Sag mal, willst du die Wohnung nicht loswerden oder hast du Stress mit den Vermietern und würgste denen jetzt gerade eine rein?“.

Da flippt er völlig aus: “Ich bin hier der Vermieter! Die Scheißbude habe ich gekauft, schweineteuer, aber ich hab die gekauft, willste wissen warum?“. Ich nicke eifrig. „Weil mir auch die Scheißbar da unten gehört!“.

„Du kamst mir gleich so bekannt vor!“, rufe ich friedenstiftend.
„Na? Und? Wollt Ihr die Butze?“, schreit mein Barmensch.
„Ich glaube, das ist uns zu laut.“, formuliere ich diplomatisch mit Seitenblick auf die nickende Liebste. „Sach ich doch.“, sagt mein Barmensch müde und geht ins Wohnzimmer. Dort stehen noch genau zwei Charlotte Roche und ein Christian Ulmen und wollen überzeugt werden.