Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 2. März 2005
Wohnungssuche, Folge 2389 & das kleine HanseNet-Tourette

Seit Oktober Wohnungssuche. Dann endlich second-best-Lösung, irgendwo hier im Kiosk habe ich dann auch vollmundig verkündet wir hätten eine Wohnung. Natürlich ließ ich mir, für diese hochinteressante Information von allgemeinem Interesse, Zeit. Zeit bis der Mietvertrag unterschrieben war. Also von uns auf jeden Fall schonmal.
Ahnt man ja nicht: gestern rauscht die Maklerin mit neuen Mietverträgen zum Unterschreiben an. Sie hätte ganz vergessen, die Staffelmiete einzutragen. "Staffelmiete!", stottere ich, "Staffelmiete?" Davon war während zweier Wohnungsbesichtigungen und unzähligen Telefonaten nie die Rede. Ja, das habe man vergessen, dem Vermieter sei das erst jetzt aufgefallen.

Ich begleite die Damen zur Tür und empfehle ihr, dann doch lieber selbst einzuziehen, bzw. sich die Wohnung irgendwohin zu stecken wo es passt, an den Hut oder so.

Es geht mir nicht ums Geld.
Das ist einfach keine Art.

PS:

Auch sehr Scheiße heute:

HanseNet.

Totalausfall der Internetserver in Hamburg Nord und Mitte von Wasweisich bis 11:00 Uhr. Da helfen auch keine leicht bekleideten, minderjährigen Italienerinnen auf den Werbeplakaten, da macht einfach jemand seinen Job nicht. Und verhindert nebenbei, das ich meinen Job machen kann.

Wirklich fertig machte mich dann der Anruf bei HanseNet. Begründung für den Ausfall:

DIE SCHNEEDECKE!!!!! (2cm)

Ich gebe zu bedenken das sogar die Finnen funktionierendes Internet haben und Polarstationen regelmäßig mailen.

Da lacht der blöde Drecksack und legt auf.

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Dienstag, 1. März 2005
Respekt! Fatih Akin & Les Hurlements d´Leo

Respekt.
Sollte jeder haben.
Ich habe zum Beispiel Respekt vor Menschen, die Großes leisten und Dinge tun, die ich toll finde. Dabei handelt es sich nicht nur um Prominente, nein, ich habe auch Respekt vor ganz gewöhnlichen Mitmenschen, die in meinen Augen Ungewöhnliches schaffen, bewundernswert handeln. Respekt ist ja nicht so angesagt in Deutschland, Neid ist hier wesentlich populärer und der Themenkreis Respekt wird hier seit Jahren den Freunden der Hip-Hop-Musik überlassen. Da kommt dann so was bei raus: „Respekt ist meine Auf-gabee und nicht ne falsche Maske die ich auf-habee!“. Das ist schlimm, aber zumindest ein Anfang.

Wie Sie merken, finde ich Respekt eine prima Sache. An der ich leider auch ein kleines bisschen kranke. Die Begegnung mit einer, von mir selbst ausgewählten Respektsperson, wirft mich nämlich einen Modus äußerster und äußerlicher Nervosität. Ich beginne fahrig zu rauchen, krampfhaft versuchen meine Augen keinesfalls Blickkontakt mit der bewunderten Person aufzunehmen und werde ich angesprochen lasse ich demütig die Schultern hängen, beginne wortkarg zu nuscheln und schrumpfe um mehrere Zentimeter. Die Liebste ruft dann gerne: „Aber Paulsen, du bist doch auch wer!“, daraufhin frage ich: „Wer?“, die Liebste verteilt eine Kopfnuss und nach ein paar Stunden geht es wieder mit dem Selbstwertgefühl.

Gestern Abend war es ganz schlimm.

Mein Freund Sven und ich hatten beschlossen uns vor dem Konzert der französischen Band „Les Hurlements d´Leo“ noch schnell zu stärken, unsere Wahl fiel auf das griechische Restaurant „Sotiris“ in der Barnerstrasse 42, nur einen Steinwurf vom Konzert entfernt. Das „Sotiris“ gehört diesem jungen Mann:

Erkannt? Genau! Das ist Adam Bousdoukos, der in Fatih Akins Film „ Kurz und Schmerzlos“ einen (Überraschung!) Griechen spielt. Und das ziemlich gut. Trotzdem bleibe ich bei Besinnung, als uns Herr Bousdoukos persönlich nach unseren Wünschen fragt. Etwas anderes wäre es, wenn Fatih Akin hier wäre, ein Respektsanfall wäre unausweichlich, ich verehre diesen Mann, liebe seine Filme und überhaupt!

So aber nehmen wir am einzig freien Tisch, einem Sechsertisch, Platz und freuen uns auf die Fischvorspeisenplatte. Wie eine Diskokugel glitzert der eiskalte Ouzo im Glas, wir stoßen an. Ein muskulöser Türke mit langen schwarzen Haaren auf dem Kopf und deutscher Freundin unterm Arm, klopft auf die Tischplatte, fragt ob noch frei wäre, wir sagen ja, die Beiden setzen sich zu uns, wir fangen schon mal an. Adam Bousdoukos begrüßt die Neuankömmlinge und bringt Lammspieße für uns.

Noch mehr Gäste. Die Tür geht auf, herein kommt Fathi Akin mit Begleitung. Respektsanfall! Ich bin im gleichen Restaurant wie Fathi Akin. Ich kucke zur Tür, dann ganz schnell auf meine Lammspieße. Ich studiere mein leeres Ouzo-Glas und die Maserung der Tischplatte. Wen ich jetzt nicht sehen will, ist Fatih Akin. Der Mann ist privat hier und möchte nicht angeglotzt werden. Der Türke mit den vielen schwarzen Haaren macht mir einen Strich durch die Rechnung. „Fathi!!!“, brüllt er, winkt Richtung Tür, dann geht alles sehr schnell und plötzlich sitzt Fathi Akin neben mir. Ich esse zu Abend mit Fathi Akin. Leider komme ich kaum mehr an meinen Teller ran, weil ich stark geschrumpft bin. Überraschend: Fathi Akin spricht türkisch.

Gut, dass das Konzert gleich anfängt! Wir zahlen dann mal schnell! Als wir uns erheben, tue ich etwas, was mich jetzt noch sehr stolz macht: ich drehe mich noch mal um, sehe Fathi Akin in die Augen und nuschel:
„Schönen Abend noch.“.
„ Euch auch.“, sagt Fathi Akin.

Dann gehen die Lichter aus und Les Hurlements D´Leo betreten die Bühne der „Fabrik“:

Das Konzert ein einziges Wunder von dreistündiger Dauer. Leise Chansons werden gejagt von kraftvollen Ska-Nummern, Rocksteady-Beats, hier ein Tango, da ein Walzer und alles endet nach drei Stunden in einem tobenden Punkrock-Gewitter. Die Geister von Mano Negra und Les Negresses Verts tanzen einen letzten, gänsehäutigen Pogo mit mir. Ach herrlich Kinder, möchte ich rufen, habe aber leider ein neues Problem. Sollten mir die Musiker der Les Hurlements D´Leo mal zufällig beim Griechen über denn Weg laufen, da wäre, aber hallo, schwer was los und der nächste Respektsanfall unausweichlich.

........................................respekt, äh, ritsch.

Links zum Thema:

Les Hurlements D´Leo:

http://hurlements.dleo.free.fr/

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Sonntag, 27. Februar 2005
Herr Paulsens erbauliche Sonntagspredigt. Folge 6: Beatles oder Stones?

Immer wieder die ermüdende Frage: „Beatles oder Rolling Stones“, ein altes Ritual, populärer als die Frage nach Pepsi oder Coke, augenzwinkernd vorgetragen von popmusikalischen Nerds, sag mir was du hörst und ich sage dir wer du bist. Über Generationen (zwei müssten es jetzt schon mindestens sein), wird da gefragt, Beatles oder Stones, geschmäcklerisch, dogmatisch, verbohrt, als ginge es darum, Popgeschichte an zwei Fixpunkten festzunageln, verunsichert sich zurückziehend, auf zwei Bands, sie alle zu kategorisieren.

Ähnlich dämlich und populär, kommt da nur noch die Frage nach der ersten, selbst gekauften Single daher, Langeweilebefragungen auf langweiligen Partys mit schlechten Drogen. Da wird dann auch bei den Antworten gelogen und verbogen, gerne auch die eigene musikalische Biographie, Giles Smith, hat das in seinem Buch „Lost In Music“ auf das Schönste beschrieben.
Ideologischer als bei der Frage nach den Beatles oder den Stones kann es aber nicht hergehen, da wird wahrheitsgemäß geantwortet, und zwar mit Schmackes.

Mich hat nie jemand gefragt.

1969 geboren, aufgewachsen in einer mittelgroßen, deutschen Kleinstadt bewegte uns Teenager zu Beginn unserer Karriere als Musik-Konsumenten eher die Frage „Nena oder Tote Hosen“, „BAP oder Ideal“. Da hörte ich schon 15 Jahren die Beatles. Die Beatle spielen seit ich denken kann, es würde mich nicht wundern wenn ich zu den Klängen von „Lady Madonna“, das Licht der Welt erblickt hätte. Meine Mutter spielte ihre Beatles-Platten ständig als ich klein war. Ich wuchs auf in einer Kommune, mit meiner Mutter, George, Paul, John, Ringo und meinem Vater.

Später, als ich die Schule schon verlassen hatte kaufte sie einen Kanarienvogel und nannte ihn Ringo. Er starb an einem Herzschlag, während eines Saxophonsolos meinerseits, mit dem ich ihm Freude bereiten wollte. Ich hatte drei Unterrichtsstunden hinter mir und sein musikalisches Gehör unterschätzt.

Alan Aldrige veröffentlichte in meinem Geburtsjahr ein Beatles Songbook, illustriert von Künstlern dieser Zeit (Tomi Ungerer, David Hockney, to name but a few), woooh, whooo, psychedelic baby!

Es sollte meine Bilderbuch der Kindheit werden, und ich danke meiner Mutter noch heute dafür. Auch besaß ich „Die kleine Raupe Nimmersatt“ und „Wo die wilden Kerle wohnen“ und so ziemlich jedes Kinderbuch das in 70er-Foren je erwähnt wurde. Sie alle sehen aus wie neu. Alan Aldriges Songbook aber, mit seinen wilden Comics, traumhaften Potographien und kunterbunten Zeichnungen, ich habe es persönlich nachcoloriert und Fehlendes ergänzt. 1975, meiner künstlerischen Unpässlichkeit wohl bewusst, versuchte ich, meine damalige Grundschul-Klassenlehrerin, einem Drachen kurz vor der Rente, mit einem abgepausten Bild zu versöhnen. Da sieht man zwei Menschen; und der ohne Gitarre fragt in einer Sprechblase: „Can´t you play any Northern Songs“. Meine Eltern wurden vorgeladen.

Ich lernte Englisch mit den Beatles, obwohl ich hier nicht verschweigen möchte, das meine erste, lautstark hinausgebrüllte , englischsprachige Nummer „Paloma Blanca“, von der George Baker Selection war. Einige Jahre später beschämte mich mein siebenjähriger Bruder mit einer selbst geschrieenen Version von Toy Dolls „Turtel Crazy“.

Kommen wir zu den Rolling Stones.

Sie fanden einfach nicht statt in meinem Leben. Auf meinem Weg zu einem alten Mann begleiteten mich Ska, Rocksteady, Beat, Funk und Soul, County und Rock´n Roll. Und überall traf ich sie wieder, die Beatles. Die Stones , das war und ist irgendwie was zum mitgrölen auf Dorf-Festen, Menschen in zu engen Lederhosen pressen sich in zu enge Stadien, trinken überteuertes Bier und krakelen dazu: „I can´t get no..umpah...umpah... Satisfaction!!!!“.
Und ja, man glaubt es ihnen.

Auf dem Höhepunkt meiner Stones-Euphorie kaufte ich mir 1989 ein Doppelalbum Namens „Stoned Alchemy“, 30 original Blues and R&B Hits that inspired the Rolling Stones. Ich war erstaunt. Alles Stones-Nummern und alle besser als die Stones-Nummern. Ich sah das Licht.

Die Beatles hörte ich weiterhin, ein Universum, nicht kopiert, neu erfunden, ich lernte ihre Platten kennen, las ihre Biographien und übersetzte ihre Text. Ich begann sie zu begreifen, fühlte mich in verschiedenen Lebensphasen, erst wie Ringo (keiner mag mich), dann wie John ( love, peace and the finger for you!).

1995 war mein Jahr. Alle hörten die Beatles! Die hießen jetzt nur anders, Blur und Oasis, und die Frage war nicht mehr Beatles oder Rolling Stones, sondern Blur oder Oasis. Die Beantwortung der damals aktuellen Frage war aber ungleich leichter zu beantworten: natürlich Blur.

Während sich Oasis als Totengräber verdingt machten, hemmungslos die Beatles kopierten und, damals, wie heute, die langweiligste, überschätzteste Band aller Zeiten sind, einer Bande von geschwätzigen, britischen Großmäulern, die nicht mal das Großmäulern erfunden haben, sondern auch das gleich von John Lennon geklaut haben, diese überheblichen Nichtsblicker, die meinen, mit einer kräftigen Portion Beatles und einer Prise Shiva sei es getan, diese verbal-inkontinenten Gesichtsbrüder, deren Horizont nun mal nicht über den nächsten Pub-Tresen hinaus geht, diese........

...........tschuldigung, wo war ich? Also Blur jedenfalls haben damals aus dem Beatles-Testament Neues geschaffen, ganz im Sinne der Erfinder.

Neulich habe ich etwas Schreckliches getan. In einem Hamburger Club, dem Logo, lief das große Coverband-Festival. Als die Beatles an der Reihe waren, bin ich hin. Sie ahnen es, ein Desaster. Ein ganz passabler Ringo Starr, spielte mit einem fleischkappigen Fußballvereins-Kassenwart als Paul und einem zentnerschweren George aus Buchholz, mit Löckchen und Goldbrille, sowie einem gealterten Siegfried UND Roy als Siegfried und Roy, die schönsten Hits der Beatles. Dazu gab es lustige Ansagen im hiesigen Dialekt und auch eine Pause. Die nutzte ich, um mit gewellten Zehennägeln zum Ausgang zu stürmen.

Ich lief Nachhause, mich selbst aufs unflätigste beschimpfend und fand dann doch Trost in dem Gedanken, das die Stones-Fans noch eine viel schlimmere Coverband haben:

Marius Müller Westernhagen.

PS:
Die richtige Antwort ist natürlich: Die Beatles.

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Samstag, 26. Februar 2005
La Kinky Beat!

Weils noch Ewig hin ist bis der Sommer kommt und dringend was gegen das Graue(n) da draußen unternommen werden muß:

The
RocksteadyReggaeJungleSkaFunkDrum&BassHipHop
from

Kinky Beat

http://www.lakinkybeat.com/

(Danke an Sven, der immer noch kein Blog hat, aber einen prima Musikgeschmack.)

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Testesser Paulsen berichtet: Grindelchen

Es bimmelt an der Tür. Wer daaha? Vor der Tür steht der Trendscout. Mit glühenden Bäckchen erzählt er vom neuesten "Place to eat" in Hamburg, ein Wunder fände da statt, Deutsches Essen fast umsonst, aber mit echten Kellnern die in gestärkten Hemden minütlich die Aschenbecher wechseln. Und nur alte Leute, so richtige Omas und Opas. Ganz "abgefahrene Nummer" und "der Hammer".

Ich falle ja auch auf Werbung für Fleckenentferne rein und bin dann da also gestern mal mit Freunden hin. Mein Trendscout ist eine geschwätzige Person, das Restaurant ist übervoll mit jungen Menschen die Kapuzenpullis tragen, selbstverliebten Werbern in schwarzen Anzügen und frauenrechtsbewegten Frauen in Schlabberpullis. Eine bunte Mischung trifft sich in dem kleinen Lokal unter der Überschrift "Futtern wie bei Mutti", diese Sehnsucht scheint alle zu einen. Die angekündigten Omas und Opas essen wohl jetzt woanders.

Der Blick in die Speisekarte entzückt mit einem Gruselkabinett Deutsche Klassiker zu Schleuderpreisen. Toast Hawaii für 1,99 €. Fischstäbchen mit Kartoffelpüree für 2,10 €. Ein kleines Bier 0,2 gibt es für 0,99 €. Der Kellner im gestärkten Hemd empfiehlt einen Merlot, den er in den Sorten Halbtrocken und Trocken vorrätig hat, der Viertelliter für 1,99 €. Die Buben nehme Bier, die Damen trinken Martini auf Eis für 1,99 €.

Wir bestellen und das Warten beginnt. Die Küche kolabiert und wir haben ausreichend Zeit die apricotfarbenen Wände zu bestaunen, die verrauchten Gaze-Vorhänge die tropfenförmig die Fenster rahmen, die Kunstwerke an der Wand, eine bunte Mischung aus Tulpen in Lack und Runenzeichen auf Gips. Sechs kleine Biere und 1 1/2 Stunden später bringt uns der aufmerksame Kellner eine Runde Schnaps aufs Haus, gleich käme auch was zu essen. Seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, gleich halb Zehn, aber schon sechs Bierchen und einen Korn, die Stimmung steigt.

Zuerst kommt der Toast Hawaii. Stilecht mit Belegkirsche auf braunem Steingut serviert. Zusätzlich mit Platzteller! Meine Bauernsülze ("mit gehacktem Speck", erklärte der Kellner) ist mit 4,99 € richtig teuer und richtig fettig. Die Bratkartoffeln schwitzen Öl, die Bauernsülze schillert fettig, die Remoulade deckt ihren Fettmantel darüber und ich beginne den Schnaps zu verstehen. Es sollte nicht der Letzte des Abends sein.

Mein Nachbar säbelt lustlos ein trockenes Schnitzel Wiener Art und fast das so zusammen: "Also das schmeckt ja hier richtig scheiße." Dann bricht der Kollege am Tischende schwitzend und stöhnend zusammen. Auf seinem Steak liegen vier Champignons in zwei Eßlöffeln gekörntem Industriepfeffer gewendet. Der Vegetarier löffelt still seinen Gemüseauflauf. In einem halben Liter Milch schwimmen Stücke von Mischgemüse unter einer zähen Käsedecke. Und alles, alles ist bestreut mit gefriergetrockneter Petersilie. Auch das Pastetchen mit Hühnerfrikasseé, vereinzelten Hühnchenfetzen in glasig-grauer Sauce.

Wir bestellen Schnäpse und Bier, die Damen trinken jetzt Bailys ("woah, ist das billig"). Minütlich werden die Aschenbecher gewechselt. Ich gehe mit Zahnseide bewaffnet auf die Toilette. Mein Weg führt mich an der offenen Küchentür vorbei. Eine sehr alte Frau kocht zusammen mit einer Jüngeren auf drei studentisch anmutenden Zwei-Platten-Elektro-Kochern, dazu ein Grill und eine Mikrowelle. Ich winke freundlich und nicke anerkennend, der Alkohol wirkt.

Zurück am Tisch noch eine Runde aufs Haus, dann werden wir rausgeschmissen. Vor der Tür fassen wir das Erlebte nochmal zusammen und sind uns einig: das alles ist eher rührend als ärgerlich, das Essen hat seinen Preis, den Service wünschte man sich in vielen anderen Restaurants. Für zehn Personen haben wir 150 € bezahlt, zwei Drittel davon Getränke. Die Rechnung schicke ich dem Trendscout.

Grindelchen
Grindelhof 64, 20146 Hamburg (Rotherbaum) Telefon: (040) 41 30 89 96

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Freitag, 25. Februar 2005
Fett auf Fotos, Verfall auf Altpapier & die Lochkarte des Lebens

Wir haben eine Wohnung gefunden. Und gestern schlachtete ich also 12 Meter Kochzeitschriften, Frauenzeitschriften und Lifestylmagazine mit dem Cuttermesser. Ich blätterte mich durch acht Jahre Rezepte und Foodstyling. Eine bemerkenswerte Reise. Zum Beispiel bemerkte ich, dass sich die Präsentation von Essen in den vergangenen acht Jahren nur wenig geändert hat und das Foodstyling haben meine Kollegen und ich auch nicht neu erfunden in diesem Zeitraum. Viel bedrückender aber waren die Fotos. In den Zeitschriften fanden sich viele Fotos von mir, beim testen von Weinen, bei Kochkursen, in Editorials. Der Verfall ist unbeschreiblich. Schon fünf Jahre reichen um einen Menschen erkennbar altern zu lassen. So lächelt mir zum Beispiel 1999 ein bübchenhafter Skinhead, gewandet in ein schillerndes Versace-Hemd-Imitat aus der Türkei, entgegen und präsentiert die beliebtesten Wildgerichte. Unter dem Foto des jungen Mannes mit den weichen Gesichtszügen steht mein Name.

Seltsam auch die Fotos der Freunde. Weil die Redaktionen schon damals kein Geld hatten, wurde für Party-Fotostrecken der Freundeskreis eingespannt. Eine Fingerfoodparty zum Millenium zeigt fröhliche junge Menschen, Sabrina sieht fantastisch aus, die zwei Kinder in weiter Ferne. Ina und Alex sind in Rumänien verschollen. Einfach weg. Frauen mit denen ich schlief, laufen mit einem Skinhead durch den herbstlichen Rheingau und helfen bei der Weinernte oder schaufeln Sushi. Mein Freund Andropovs Onkel trägt auf einem alten Foto einen Pferdeschwanz und einen weiten Pullover, zwei Jahre später sitzt er bei einer Weinprobe im Anzug mit gebändigtem Haar. Rührselig werde ich und beginne das Cuttermesser schneller durch die Seiten zu ziehen.

Tröstlich allein, zu diesem Zeitpunkt war ich wenigstens nicht mehr fett. So Mitte der Neunziger war ich nämlich mal richtig dick, auf Fotos, auf Filmen und auch sonst die ganze Zeit. Es gab da nichts zu rütteln, außer an der Waage und meinem Selbstwertgefühl. Erschwerend kam hinzu, mein Körper verfettete an den falschen Stellen. Der Bauch, den konnte man noch mit kreativen Elementen beim Kleidungskauf kaschieren, ich bin nicht dick, das ist Hip Hop und auch voll gemütlich. Im Gesicht war dagegen nix mehr zu retten und genau da standen sie Schlange, die Sahnesaucen und Feierabendbiere drängten sich unter die Gesichtshaut und bildeten dicke Kissen wo früher zarte Wangen lachten.
Auch der Spiegel sprach nichts anderes und so vermied ich es, fotografiert zu werden. Ganz drumherum gekommen bin ich nicht, entwickelte aber einen kleinen Trick, den ich in einem Artikel über Supermodels entdeckt hatte. Das funktionierte gut dachte ich und ich dachte auch, das merkt kein Mensch......

Letzte Weihnachten dann, zeigte ich meiner Schwester einige aktuelle Fotos, plötzlich wirft Sie sich laut kreischend nach hinten und ruft: „DAS machst Du immer noch?“. Brüllendes Gelächter, ich fragte irritiert nach. „Na das mit dem Innenbacken einsaugen und draufbeißen, das ist Dein typischer Fotoblick“. Ich leugnete vehement, doch es half nichts. Alte Schuhkartons wurden ausgegraben, mit alten Fotos, so Mitte der Neunziger. Und tatsächlich, auf jedem Foto sieht man einen dicken jungen Mann, in wallenden Gewändern, der Mund irgendwie verkrampft, ganz spitz nach vorne gezogen, links und rechts zwei dicke Backenkissen, die mittig irgendwie an den Innenseiten der Mundhöhle festgetackert scheinen. Sozusagen zwei Kaisersemmeln mit Schlitz.

Ich habe jetzt ein Foto-Mantra entwickelt, sobald ich eine Kamera bemerke murmel ich los: „nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisers..“
Klick.
„Du, wenn der Film fertig ist, könnte ich dann bitte keinen Abzug haben?“

Abends schleppte ich dann die viele Tonnen Altpapier, denen ich Erinnerungen und Rezepte entrissen hatte, zum Container. Dann musste ich noch zu einer Fotostudio-Einweihung. Es gab Häppchen und Alkohol, es wurde geküsst und gesmalltalkt. Ich kann das nicht. Obwohl es wichtig wäre, viele wichtige Menschen von großen Deutschen Lebensmittelkonzernen sind anwesend und wer sich jetzt prickelnd Unterhält bekommt die nächsten Jobs. Ich kann das nicht, die melancholische Stimmung der Ausriss-Aktion verstärkt das Ganze noch, ich kann jetzt nicht plaudern, ich ziehe mich mit einem Weinglas in eine Ecke zurück. Arbeite ich halt weniger in nächster Zeit, denke ich, während ich den Kollegen beim bebalzen angetrunkener Agenturdamen zusehe.

Dann kommt mein Friseur. Mit meinem Friseur kann ich immer reden. Ich erzähle ihm von der Ausriss-Aktion und mein Friseur sagt daraufhin diesen schönen Satz:

„ Im Alter werden die Löcher immer größer, in der Lochkarte des Lebens.“

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Dienstag, 22. Februar 2005
In eigener Sache: Kaffee.Satz.Lesen 18 am Sonntag

Kaffee.Satz.Lesen 18


(Foto: http://www.superkath.com/)

Sonntag, 27.02.05, 16:00 Uhr
Baderanstalt
Hammer Steindamm 62
neben S-Bahn Hasselbrook
im Hinterhof, 5. Stock
5 Euro

mit

Michael Weins
Frank Kloetgen
Roberta Schneider
Sascha Piroth
Sven Heine

Wie jeden Monat präsentiert die „redereihamburg“ auch im Februar eine abwechslungsreiche, spannende Mischung aus literarischen Nachwuchstalenten und etablierten Autoren.

Entgegen der Gewohnheit, möchten wir Sie in diesem Monat auf einen Autoren besonders hinweisen: Frank Klötgen. Mit seinem interaktiven Roman auf CD-ROM und im Internet, gelingt ihm eine völlig neue Form des Erzählens und er wird sein Werk multimedial bei uns präsentieren. Doch lesen Sie selbst, was es damit auf sich hat und wen es bei Kaffee.Satz.Lesen im Feburar noch zu entdecken gibt:

Frank Klötgen,

erhielt von der ZEIT 1998 für seine Hyperfiction-Kurzgeschichte „Aaleskorte der Ölig“ den deutschen Preis für Internet-Literatur "Pegasus", nun erscheint mit Spätwinterhitze die erste Hyperfiction auf Romanlänge.

Spätwinterhitze ist ein interaktiver Krimi und Meilenstein des noch jungen Genres Hyperfiction. Es ist ein Roman im Stil des film noir mit stimmungsvollen Animationen und Sounds auf CD-ROM. Frank Klötgen sprengt die Grenzen zwischen Buch, Comic und Computerspiel und verbindet Leseerlebnis und literarische Qualität eines Krimis mit den multimedialen Möglichkeiten des Computerzeitalters. Der Roman sprengt aber auch seine eigenen Grenzen, indem die Leser über Gästebuch und Chats miteinander in Kontakt treten können und Autoresponder von E-Mailkonten und korrespondierende Homepages die Recherchearbeit der Leser ins Internet erweitern. Spätwinterhitze besteht aus über 2000 HTML-Seiten, die vom Autor selbst in fünfjähriger Arbeit geschrieben und gestaltet wurden, ebenso wie alle Sounds (z. T. mit der eigenen Band eingespielt) und Grafiken. Frank Klötgen ist Slam-Poet und seit über 15 Jahren und 12 Platten Sänger und Texter der Band Marilyn’s Army. Außerdem veröffentlichte er in Anthologien und Zeitschriften, ist regelmäßig auf Slam-Reise und mit dem Tanzorchester Baron von Kurz in der Republik unterwegs. Frank Klötgen lebt in Berlin.

Michael Weins,

* 1971 lebt in Hamburg, ist Psychologe, Schriftsteller und Gründungsmitglied des Macht-e.v. Raffiniert, tiefgründig und von feiner Komik sind seine Erzählungen. Wer Michael Weins schon vorab kennen lernen will, dem empfehlen wir seinen großartigen Roman „Der Goldene Reiter“(Rowohlt 2002).

Roberta Schneider,

*1973 in Göttingen. Veröffentlichte 2003 „der guss“, eine Geschichte mit Schurken im Schanzenviertel. 2005 erscheint Ihr Buch „Ja!Panisch.“ im mairisch Verlag, in dem Sie die Wirkung von in Deutschland bekannten japanischen Kult(ur)produkten auf karikative Weise hinterfragt. In Roberta Schneiders Buch „Ja!Panisch.“ erfährt der Leser unter anderem, warum Kinder damit drohen, Mikado zu können, wieso Japaner Harakiri machen, obwohl sie angeblich kein „R“ aussprechen können und ob es falsch ist, Murakami Harukis Namen richtigrum zu schreiben.

Sascha Piroth, *1971, lebt in Hamburg, er ist Graphiker, Texter, Illustrator und Autor. Und Fotograf. Und bildender Künstler. Und Schauspieler. Sascha Piroth hat 2003-2004 Mexico bereist und bringt seine Reisetagebücher mit. Bunt, hart, wild.

Sven Heine,

*1972 in Pinneberg, ist aufgewachsen im Schulbus von Tangstedt nach Egenbüttel und erwachsen geworden in der S5 Richtung Elmshorn. Danach die gelben Busse der Werkstatt selber gefahren, erste Kratzer und Beulen. Später im Bus durch Europa und Südamerika. Fährt jetzt wieder jeden Tag mit dem Bus durch den Elbtunnel, schreibt Busgeschichten und hofft, dass das
alles nichts zu bedeuten hat.

Mehr über die „redereihamburg“ und „Kaffee.Satz.Lesen“ gibt es im Internet unter

http://www.redereihamburg.de/

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