Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 23. Mai 2005
K.S.L 21: Blog-Spezial mit Lyssa & Don Dahlmann live!

Nächsten Sonntag ist es wieder soweit, KAFFEE.SATZ.LESEN 21, wie gewohnt mit fünf spannenden Gästen auf der Bühne, Kaffee & Kuchen, lecker Prickel, kaltem Bier und diesmal ganz besonderem Besuch aus der Blog-Welt. Es ist uns nach langen Verhandlungen gelungen, an diesem Nachmittag Lyssa und Don Dahlmann für einen Auftritt zu gewinnen !

KAFFEE.SATZ.LESEN 21

Sonntag, 29.05.2005, 16 Uhr
Baderanstalt
Hammer Steindamm 62
neben S-Bahn Hasselbrook
im Hinterhof, 5. Stock
5 Euro

mit

Lyssa
Don Dahlmann
Ina Bruchlos
Kerstin Döring
Klavki

Lyssa,
geboren in Wattenscheid im Herzen des Ruhrpotts und schon früh an chronischem Fernweh erkrankt. Zur vorübergehenden Linderung der Symptome ein Schuljahr in die USA verlegt, in Afrika gearbeitet, in der Schweiz Jura studiert und die Hafenstadt Hamburg zur Heimat erkoren. Der Juristerei entsagt, aber Hamburg bis heute treu geblieben. Die Liebe zum Lesen und Schreiben ging eine Allianz mit der Begeisterung fürs Internet ein, woraus schließlich das Pseudonym Lyssa und das Weblog "Lyssas Lounge"

http://www.lyssas-lounge.de/peepshow/

entstand.

Während diese öffentliche Chronik großer und kleiner Alltagsgeschichten ihre Eltern regelmäßig mit Enterbung drohen lässt, war sie den Lesern der Zeit 2004 einen Preis wert.

Don Dahlmann,
*1967 in Bonn, dort den Dead Kennedys beim Bad Honnef anzünden zu geschaut, davon erzählte er schon bei anderer Gelegenheit, nachzulesen in der KAFFEE.SATZ.LESEN Anthologie. Dann der Bundesregierung nachgezogen, deswegen nun in Berlin lebend und schreibend ansässig. Führt seit 2001 das Weblog "Irgendwas ist ja immer", das unter der Adresse

http://don.antville.org/

zu finden ist. Regelmäßige Lesungen in Berlin und Hamburg.

Ina Bruchlos,
*1966 in Aschaffenburg. Studierte Germanistik in Frankfurt und später Kunst in Hamburg und Offenbach. Erhielt 2002 den Förderpreis für Literatur der Kulturbehörde Hamburg. In den Texten von Ina Bruchlos geht es weniger um große Ereignisse als vielmehr um den alltäglichen Kampf an den Nebenschauplätzen und die Kommunikation. Sprache erzeugt Missverständnisse und diese zeigen neue Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Verständigung oder lösen Probleme, die es vorher noch gar nicht gab oder vielleicht doch.

Kerstin Döring,
*1974 in Lübeck geboren. Studierte in Hildesheim Angewandte Kulturwissenschaften. Erhielt letztes Jahr den Förderpreis für Literatur der Kulturbehörde Hamburg. Wurde dieses Jahr für die erste Debütantinnen-Börse des Literaturhaus ausgewählt. Lebt und arbeitet in Hamburg.

Klavki,
*1972 in Kiel. Lebt auch dort. Ist Schriftsteller, Kulturorganisator und freischaffender Künstler. Hat bei unzähligen Poetry Slams Preise gewonnen. Er präsentiert ketzerisches Kauderwelsch und geknebelte, katzenjammerische Klamaukketten. Performance Poetry und eine Liebeserklärung an die Adjektive aus dem Norden, noch weiter als wir es sowieso schon sind.

Mehr über die redereihamburg und KAFFEE.SATZ.LESEN gibt es im Internet unter

http://www.redereihamburg.de/

Dort finden Sie Texte von allen Autorinnen und Autoren vergangener Lesungen, dort kann man den Newsletter abonnieren und die KAFFEE.SATZ.LESEN-Anthologie bestellen.

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Dienstag, 17. Mai 2005
Lesestündchen

Stöckchen an den Kopf bekommen, von Cassandra. Also gut:

1. you’re stuck inside fahrenheit 451, which book do you want to be?
[d.h., welches buch würde ich vollständig auswendig lernen und dann ständig rumrezitieren wollen?]

„Hell und Schnell“, 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten, Herausgegeben von Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer, Verlag S.Fischer. Lern ich natürlich nie komplett auswendig, aber schon ein Bruchteil des Riesenwälzers sollte reichen um immer was zu Lachen zu haben. Und das ist wichtig. Finde ich.

2. have you ever had a crush on a fictional character?

Seltsamerweise fallen mir nur zwei Männer ein:
Geri Weibel aus „Richtig leben mit Geri Weibel, sämtliche Folgen“ von Martin Suter, Diogenes Verlag und Elvis Presley in Mark Childress Romanbiographie „Heartbreak Hotel“, Goldmann Verlag

3. the last book you bought is:

In meinem Flur steht eine Kommode mit Ungelesenem in der Warteschleife:
Matt Ruff: Ich und die anderen, Hanser Verlag
Nigel Slater: Halbe Portion. Wie ich lernte, die englische Küche zu lieben, Kabel by Piper Verlag
Juri Andruchowytsch: 12 Ringe, Suhrkamp Verlag

4. the last book you read:

Thomas Brussig: Wie es leuchtet, S.Fischer. (DER deutsche Wenderoman? Sicher nur in Ermangelung von Alternativen, liest sich aber prima weg)
Finn Ole Heinrich: Die Taschen voll Wasser, mairisch Verlag. (Eines der größten jungen Talente dieser Republik. Von Heinrich hören wir noch!)

5. what are you currently reading?

Wolf Schneider: Die Gruner & Jahr Story. Ein Stück deutsche Pressegeschichte. (Hochspannendes Buch das aus einer Zeit berichtet als Blattmacher noch Eier und Charakter hatten)

6. five books you would take to a desert island:

Saublöde Frage, die abgeschafft gehört, weil unklar. Lebenslänglich? Urlaub? Tod geweiht? Neue Zivilisation gründen? Ich schreibe hier mal fünf Bücher auf, die mir wichtig sind:

Der Plan von der Abschaffung des Dunkels, Peter Hoeg, Rowohlt
(ein Monster,aus persönlichen Gründen für immer mein Lieblingsbuch)
Das Gourmet Handbuch, Udo Pini, Tandem Verlags GmbH
(tägliche Lektüre, kann ohne nicht arbeiten)
Wie die Dinge sind, Lama Ole Nydahl, Joy Verlag
(hat mir mal den Arsch gerettet)
Andy Kaufman revealed! Best friend tells all, von Bob Zumuda, Little Brown & Company
(meine Idee von Anarchismus und Komik, love forever Andy!)
Irgendwie Alles Sex, Matthias Altenburg, Kiwi
(mein Lieblingsdenker)

Das Stöckchen weiter zu werfen fällt schwer, weil wirklich schon jeder in meiner persönlichen, noch recht übersichtlichen Blog-Welt, das Ding schon ausgefüllt hat und ich möchte jetzt nicht wahllos irgendwelche Menschen mit dieser Hausaufgabe belästigen.

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Sonntag, 15. Mai 2005
Fundstück der Woche:

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Samstag, 14. Mai 2005
Herr Paulsen schreibt einen Brief. Heute: an die funky Szenegastronomen, Btr: Spargel

Yo! Hey, funky Szenegastronomen,

ich hoffe mein Brief erreicht Euch noch vor dem Ende der Spargelsaison! Es geht nämlich um Spargel. Das sind diese weißen Stangen:

Die rocken das Haus! Funky Gemüse! Habt Ihr ja jetzt auch auf der Karte stehen. Ganz easy zwischen Euern Klassikern „Salat mit Putenstreifen“ und „Creme Bruleé“. Spargel ist auch ein Klassiker. Und Spargel geht so: Spargel schälen und zwar ordentlich, nicht das die übrigen Schalenstreifen noch als Zahnseide mitgeliefert werden! Kuckt mal, das kann sogar die Settlur, die kennt Ihr doch:

Dann den Spargel kochen. Ungefähr sieben Minuten. Nicht zwanzig Minuten. Nicht drei Minuten. Sieben Minuten. Und nur kochen, wenn auch Spargel bestellt wurde! Nicht schon am Nachmittag und dann in der Mikrowelle heiß machen, nö,nö. Geht nämlich ganz schnell, so sieben Minuten. Wir warten ja auch geduldig zwei Stunden auf den Salat mit Putenstreifen.

Und noch was, Ihr cookin´Partypeople: Ein Spargelessen besteht aus mindestens acht Stangen Spargel oder wahlweise 500 g Rohware pro Person. Alles andere wäre dann eine Gemüsebeilage. Vier bis fünf Stangen Spargel sind kein Spargelessen. Was das kostet, fragt Ihr? Ja, das frage ich mich auch manchmal. 17,50 zum Beispiel habe ich gestern bezahlt. Für vier Stangen Spargel und ein trockenes Minischnitzel „Wiener Art“ aus der Mikrowelle. Lasst das Schnitzel doch bitte weg. Zu Spargel schmeckt Schinken sehr lecker! Echt jetzt!

Ach! Ist nicht Eure Schuld, ich soll mit Eurem Koch sprechen? Ist das der unterbezahlte Mensch, dessen Name niemals auf Eure Speisekarte auftaucht und der alleine mit einem Spüler vierzig Tische und jetzt auch noch die Terrassenplätze bekocht? Ich glaube der hat gerade keine Zeit für mich. Sprecht Ihr doch mal mit Ihm.
Ach, ja! Eure Gäste sind natürlich auch ein bisschen Schuld. Fressen nach stundenlanger Warterei auch noch den letzten Dreck für ein bisschen sehen und gesehen werden. Und der Hunger treibt es ja dann auch rein.

Mein Vorschlag: gebt mal Eurem Koch eine Gehaltserhöhung und schreibt seinen Namen vorne auf die Speisekarte, psst, psst, da wird der nämlich vom Ehrgeiz gepackt! Und am Sonntag, da habt Ihr ja geschlossen, da fahrt Ihr mal alle raus aufs Land. In so einen Landgasthof. Da bestellt Ihr dann mal Spargel. Ihr werdet staunen! Versprochen.

maximum respect,

Euer Paulsen

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Freitag, 13. Mai 2005
„Hat der junge, schreibende Mensch Grund zur Klage?

Ein Beitrag von höchster literarischer Güte, in Wort und Inhalt landete heute in meiner Mailbox. Bitte festhalten. Also sich selbst. Am Stuhl. Oder so. Hier wird nicht allein für eine Veranstaltung geworben, nein, der Unterschied zwischen U- und E- Literatur wird gleich in blumigen Worten mitgeliefert. Für den vollen Genuß lesen sie bitte den folgenden Text zuhause laut und in klassischem Bühnendeutsch ( siehe: Kinski, George, rollendes R). Viel Spaß:

15. Juni, Mittwoch, 20.00 Uhr - Literaturzentrum, Schwanenwik 38

In der neuen Reihe des Literaturzentrums „Debütantenbörse“ geht es um eine Auswahl von Talenten, um das Erlernen, über eigene und fremde literarische Formen und Verdichtungen diskutieren zu können, um Selbsteinschätzung, Vertiefung und Ortung der Schreibhaltung. Es geht um die Entdeckung der Worte, die die Welt bedeuten. Ein Team aus Lyrikerinnen, Prosa-, Theater- und Drehbuchautoren und Kritikerinnen, die mit allen Wörtern gewaschen sind, die Tücken der Veröffentlichung kennen, aber vor allem ein Gespür für verborgene Talente besitzen, haben für die Debütantenbörse 2 Texte ausgewählt, über die diskutiert werden wird. „Hat der junge, schreibende Mensch Grund zur Klage? Nein – hat er nicht. Wohl selten gab es in unserer Stadt so viele Möglichkeiten, frisch Gedichtetes unter das noch ahnungslose Volk zu bringen. Da gibt es den Macht-Club, den Slam Poetry Abend, die sonntägliche ‚Kaffee.Satz.Lesung’, da gibt es die Transit-Reihe und es wirkt der Club ‚Wortwechsel’. Eines allerdings fehlte bisher im Reigen dieser und anderer Veranstaltungen: Ein Abend, an dem das Vorgestellte einer erkennbaren Kritik unterzogen wird ...“

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Mixed Pickles 3

Auch mal sein lassen:
Essen im Borcherts in Berlin. Der Taxifahrer sagt auf dem Hinweg: „Jute Wahl! Dit is n Promischuppen, da könnse Berühmtheiten kucken!“ Links von uns sitzen Thomas Heinze und Dana Schweiger mit einer hyperventilierenden MTV Moderatorin. Rechts von uns sitzen Kulturministerin Weiss und Michael Naumann. Eben will ich Frau Weiss eine Ausgabe der Kaffee.Satz.Lesen-Anthologie in die Hand drücken, da kommt mein Hauptgang und Frau Weiss geht. Die Liebste atmet hörbar erleichtert aus.

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Hausmeisterliche Gefühle verletzt:
Supa Richie nennen wir in unserer Strasse den Hausmeister. Klasse Typ mit Hornbrille. Macht beim Reparieren mehr kaputt als ganz. Auch mal sich selber. Unvergessen: komme nachhause, Blutspur im Hausflur, führt zu meiner Wohnungstür. Drinnen viel Blut, in der Dusche Blutexplosion. Anderntags klingelt Supa Richie, die Hand im Verband, ja er wolle jetzt mal das Blut wegwischen.
Gestern auf der Strasse: „Herr Paulsen, sie haben doch ganz viele Rezepte?“ Ich so: „Ja“. Er so: „kann ich da mal welche haben.“ Ich so: „Ne, da müssen sie schon die Zeitschriften kaufen.“. Heute morgen auf der Strasse, ernster Blick durch Hornbrille: „Herr Paulsen, das hat mich schon verletzt, das mit den Rezepten gestern.“

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Im Bett mit Juri Andruchowytsch:

Deutsch sprechende, russische Autoren haben einen eigenen Lesesaal in der Bibliothek meines Herzens. Juri Andruchowytsch, die ukrainische Charmoffensive, liest im Malersaal aus seinem Buch "Zwölf Ringe" (Suhrkamp). Liest auf deutsch und sein russisch gefärbter Zungenschlag ist reine Poesie. Unterhaltsam, saukomisch, literarisch. Beschließe Andruchowytsch mit nachhause zu nehmen. Ich backe Pirogen, koche Borschtsch und Andruchowytsch könnte dann nach dem Essen zwischen der Liebsten und mir im Bett sitzen und uns was vorlesen. Kaufe dann doch nur das Buch. Mal sehen was übrig bleibt, ohne diese umwerfende Stimme. Jetzt schon Anwärter auf das Buch des Jahres. Werde berichten.
"Zwölf Ringe"

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr (Dvanadcjat’ obruc?iv) 2005. 312 Seiten. Gebunden. € 22,90 ISBN 3-518-41681-2

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Jugendbonus verwirkt:
Im Zuge der Ermittlungen gegen den Hamburger „Partykönig“ Ammer ein neues Wort gelernt. Newbees. Auch gelernt: eine topaktuelle Straßenumfrage der Hamburger Morgenpost unter 15-16 jährigen Frauen ergab, dass diese sich, wenn überhaupt, nur mit Gleichaltrigen einlassen, alte Männer ekelig finden und alt, das sind alle Männer über Zwanzig. Ich bin raus. Nach einer Schrecksekunde überfällt mich ein großer Frieden.

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Inna die Dancehall mit Karl Dall:
Wir sitzen im FuH, dem neuen Place to eat in Ottensen mit dem Charme einer Szenekneipe. Es ist ja so, dass ich Dancehall ganz prima finde, stelle aber fest, dass das nicht so die korrespondierende Musik zu französischer Käseauswahl ist. Ein ganzes Elephant Man Album knüppelt aus den Boxen, a we di gal dem want fi blaze up dem fire, put dem in a ecstacy and mek dem temperature go higher-uhh-ahh-uuh und die Liebste, mit einer, in diesem Fall segensreichen, Hörschwäche gestraft, sagt: „Also ich höre dauernd nur uhhh-ahh-huuuaaahha-uh-ah, klingt als säße Karl Dall hier am Tisch und würde immerzu rufen uh-ah-huaha-uuuu.“ Sehr gelacht, dann Beastie Boys zum Anisschnaps.

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Selbstreferenzielles Googeln:
Muss man ja manchmal machen. Um nachzusehen, ob es einen noch gibt. Festgestellt: es gibt mich noch. Festgestellt: die Kaffee.Satz.Lesen-Anthologie gibt es jetzt bei Amazon. Und schon eine Rezension. Weiter so.

..........................ritsch.

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Donnerstag, 12. Mai 2005
Testesser Paulsen berichtet: hin & veg!

Kinder essen tote Tiere! Mitten in Deutschland!

Haha. Recht hat er aber, der Josef Haderer, der einst diese Zeitungs-Schlagzeile für einen seiner Cartoons erdachte. Jetzt gibt es aber viele Kinder, die ticken anders, die möchten keine Tiere essen und wenn man eine Weile auf der Schlagzeile rumkaut, lässt man gerne mal das nächste Imbissbüdchen aus. So als Fleischfresser.

Ich bin auch so einer. Ich halte dünne Scheiben vom Sirloin-Steak (medium-rare) gebraten, mit grobem Meersalz und frisch geschrotetem Pfeffer bestreut für ein Grundrecht und nehme für die beste grobe Bratwurst kilometerlange Umwege in kauf. Ein perfektes Wiener Schnitzel ist für mich die essbare Version von „Freude schöner Götterfunken“ (alle Menschen werden Brüder, wo sich sanft Panade wellt) und Grillhähnchen mit knuspriger Paprika-Haut muss ich schnell einatmen, zu groß die Gefahr der Vogel könnte sich doch noch in die Lüfte schwingen.

Seit Jahren plagt mich aber das schlechte Gewissen. Es ist nicht wegen der süßen Tiere, es ist mehr der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, der mich zum Hobby-Vegetarier gemacht hat. Ich kann prima und kreativ ohne Fleisch kochen, ich habe das gelernt, das ist nicht das Problem. Mein Thema ist die Fleischsimulation, die Ersatzdroge, das Fleisch gewordene Placebo. Nach ersten Versuchen mit Tofu (quarkähnlicher Käse aus den Eiweißstoffen der Sojabohne) plagten mich Hungergefühle und Verlustängste. Dranbleiben Paulsen, dachte ich mir und habe dann sogar mal einen Tofu-Burger entwickelt der täuschend echt eine Art Fleischgeschmack simulierte. Das Geheimnis waren der Majoran und fein zerstäubte Röstzwiebeln, sowie die üppige Zugabe von Rauchsalz. Ich schickte das Rezept damals sogar an die größten Burgerketten der Welt um reich zu werden. Keine Antwort. Die Welt war noch nicht bereit. Aber ich war es und mit scharfen Asia-Pasten und augennässenden Gewürzmischungen erreichte ich gute Ergebnisse. Man schmeckte den Tofu nicht mehr, hatte aber irgendwas zwischen den Zähnen das nicht Fleisch war.

Als ich Seitan entdeckte, das sind diese grauen in Folie eingeschweißte Klumpen, ganz hinten im Kühlregal des Bioladens, das brach eine neue Dekade an! Seitan (Aus Weizeneiweiß (Gluten), Sojasauce, Kombualgen und Ingwer hergestelltes Fleischimitat), hatte ich zwar nicht erfunden, sondern buddhistische Mönche um 1900 rum, aber es öffnete mir die Tür zu vorgegaukelter Fleischeslust. Das beginnt beim Preis. 250 g Seitan kostet doppelt so viel wie 250 g Schweinenacken aus dem Supermarkt. Aber Seitan ist ein wahrer Allrounder, die Glutenpracht kann man in lustige Formen schneiden, braten, schmoren, grillen. Seitdem koche ich gerne mal ein schönes Seitangulasch, der Seitan-Döner ist auch sehr beliebt, nicht zu vergessen der Seitan „Wiener Art“ mit Gurkensalat.

Derart gesättigt verlor ich schon bald mein tief empfundenes Mitleid gegenüber Vegetariern und nur manchmal, wenn ich am Würstchenstand stehe, oder am Hot Dog Stand, oder beim Burger-Brater, da seufze ich und gedenke den fleischlos Glücklichen und ihrem schrecklich entbehrungsreichen Leben.

Nun wird mir aber seit ein paar Wochen, in unmmittelbarer Nähe zu meiner Wohnung, diese letzte Bastion der Fleischglückseligkeit streitig gemacht. Es hat nämlich ein vegetarischer Imbiss aufgemacht. Ein fleischloser Skandal. „hin&veg!“, heißt der Laden, steht natürlich in der Schanze und da gibt es alles was Spaß macht nun auch für Vegetarier. Also Burger, Hot Dogs, Currywurst. Dazu Bio-Pommes. Nachdem ich das lustige Namensspiel verdaut hatte, machte ich eine Tage dauernde Testreihe, die ich heute mit der Königsdisziplin, der Currywurst, abschloss.

Die schlechte Nachricht: das ist natürlich keine Currywurst. Die gute Nachricht: schmeckt aber prima. Alles. Fleischhaltige Hot Dog-Würstchen z.B. können sich unter dicken KetchupSenfMayo-Schlieren, meterdickem Röstzwiebelbelag und süß-sauren Gurkenlappen geschmacklich ja sowieso nicht mehr behaupten. Da kann der Seitan-Hot-Dog im „hin&veg!“ locker mithalten. Selbe Geschichte beim Burger: weiches, warmes Brötchen, drei Saucen, Salat, Tomate, Gurke, wen interessiert da noch der braune Lappen in der Mitte.

Currywurst war schwierig, gebe ich zu. Zähe Pelle (heißt das in dem Fall überhaupt noch Pelle?), innen würzige Wolle. Mit ordentlich Curryketchup ging es aber schon wieder, die Pommes waren krachend-klasse. Das ganze zu zivilen Mittagstisch- und Imbiss-Preisen, zum Mitnehmen oder da essen und nebenbei die gesamte linke Presse lesen. In den nächsten Wochen probiere ich mich durch die Tagesgerichte, Pastavariationen und Salate. Die gibt es aber ähnlich überall, darum geht es ja auch nicht und so kann ich jetzt schon loben: eine echte Alternative, sehr lecker und ein großer Spaß für alle Kinder.

hin&veg!
Schulterblatt 16
Schanzenviertel, Hamburg

http://www.hinundveg.de/

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