Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 6. Juli 2005
Nachtfahrt

http://www.flickr.com/photos/ieye/sets/549763/

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Dienstag, 5. Juli 2005
Lese-Empfehlung: Mequito über gewichtige Männer-Sorgen

Endlich spricht mal jemand darüber und Mequito spricht mir aus der Seele: Ja, wir Männer machen uns Gedanken über unsere Figur, über unseren Körperbau, der uns mit zunehmendem Alter nicht mehr mit einem Gott gegebenen Adoniskörper verwöhnt, sondern ganz eigene Wege geht. In die Breite. Was man dagegen tun kann oder lieber sein lässt, die ganze Pein und Schmach, die Gefühlswirren des geborenen Jägers, beherzt und offen schildert Mequito diesen Kampf:

http://mequito.org/stories/492

Ich kämpfe diesen Kampf nicht erst seit ich älter werde, ich kämpfe schon immer ein bißchen mit den Pfunden und habe auch einen Trick, äh, Tick entwickelt:

So Mitte der Neunziger war ich mal richtig dick, auf Fotos, auf Filmen und auch sonst die ganze Zeit. Es gab da nichts zu rütteln, außer an der Waage und meinem Selbstwertgefühl. Erschwerend kam hinzu, mein Körper verfettete an den falschen Stellen. Der Bauch, den konnte man noch mit kreativen Elementen beim Kleidungskauf kaschieren, ich bin nicht dick, das ist Hiphop und auch voll gemütlich. Im Gesicht war dagegen nix mehr zu retten und genau da standen sie Schlange, die Sahnesaucen und Feierabendbiere drängten sich unter die Gesichtshaut und bildeten dicke Kissen wo früher zarte Wangen lachten.
Auch der Spiegel sprach nichts anderes und so vermied ich es, fotografiert zu werden. Ganz drum herum gekommen bin ich nicht, entwickelte aber einen kleinen Trick, den ich in einem Artikel über Supermodels entdeckt hatte. Das funktionierte gut dachte ich und ich dachte auch, das merkt kein Mensch.

Letzte Weihnachten dann, zeigte ich meiner Schwester einige aktuelle Fotos, plötzlich wirft sie sich laut kreischend nach hinten und ruft: „DAS machst du immer noch?“. Brüllendes Gelächter, ich fragte irritiert nach. „Na das mit dem Innenbacken einsaugen und draufbeißen, das ist dein typischer Fotoblick“. Ich leugnete vehement, doch es half nichts. Alte Schuhkartons wurden ausgegraben, mit alten Fotos, so Mitte der Neunziger. Und tatsächlich, auf jedem Foto sieht man einen dicken jungen Mann, in wallenden Gewändern, der Mund irgendwie verkrampft, ganz spitz nach vorne gezogen, links und rechts zwei dicke Backenkissen, die mittig irgendwie an den Innenseiten der Mundhöhle festgetackert scheinen. Sozusagen zwei Kaisersemmeln mit Schlitz.

Ich habe dann ein Foto-Mantra entwickelt, sobald ich eine Kamera bemerke murmel ich los:

„nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisersemmelalarm,
nicht saugen, Kaisers..“
Klick.

„Du, wenn der Film fertig ist, könnte ich dann bitte keinen Abzug haben?“

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This is the riddim I like! (noch zweima schlafen)

TicketsPersonalausweisECKarteGeld
Handy(aufgeladen)Wagenpapiere
FührerscheinVerbandskastenLampe
GlühstrümpfTaschenlampe(Batterien)
KerzenKocherKartuschenTöpfeGrill
StühleFackelnKühlelementeKühltasche
EspressokocherTellerBecherGeschirr
MesseBrettTücherKlopapierKüchentücher
SpülmittelTemposMedizinPflaster
SonnenmilchWaschzeugHandtücher
AprésSunLuftmatratzeSchlafsack
KlamottenRegenzeugSonnenbrille
KleinesWerkzeugMusikFotoFilmeEssen
Getränke
Alpha BlondyAmadou&MariamAnthonyB
AsianDubFoundationBabylonCircus
BarringtonLevyBig RiverFahrukadaBlack UhuruDavidRodiganDawnPenn
DeeBuzzSoundsystemGentleman
GermaicanRoadshow2005GregoryIsaacs
FrankiePGroundationIsraelVibrationPatrice
PowPowMovementRichieSpiceTurbulence
SeeedSentinelSoundSergentGarciaSizzla
SkylarkinSmallAxeStingray45Disco
RainbowStreetsoundsystemFeat.Tanya StephensTheSelecter
TokyoSkaParadiseOrchestraWard21Yellowman
Zoe
Back on Monday.

................................................ritsch!

Links zum Thema:

http://www.summerjam.de/

Live-Steams!:

Internet live broadcast from the soundsystem tents
In order to celebrate the 20th anniversary of the Summer Jam, Contour Music GmbH, in cooperation with Raggakings.net, presents an internet live broadcast from both sound system tents. All the world and all persons that do not have the opportunity to be at the Summer Jam will be able to get a whiff of the legendary atmosphere in these tents. Listening to sound systems like PowPow Movement, Silly Walks Movement, Sentinel Sound or old man David Rodigan will create hot air even in front of your computer at home:

http://www.raggakings.net/

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Montag, 4. Juli 2005
Nur mal ganz kurz: Street Art

Ein bisschen beleidigt war ich ja schon, als ich herausfand, dass ich nicht der Entdecker von Street Art bin (Flickr: 23064 Bilder, Google: 49.500.000). Ja eigentlich ist das ganze sogar ein alter Hut aber die Fortsetzung von Graffiti mit Schablonen, Stift, Papier, Schere, Pinsel und Leim entdeckte ich erst durch die Kamera. Denn während Graffiti ruft, holla, hier bin ich, muss man die kleinen, feinen Street Art-Beiträge suchen. Gerne hängen die Bilder in luftigen Höhen oder ganz unten in Fußnähe, gerne gehen die Werke ganz unter in den bunten Flyer- und Plakatwüsten der Stadt. Nachdem ich Street Art entdeckt hatte, explodierte die Stadt. Überall fand ich die zurückhaltenden Bilder und trotz der oben genannten Internetrecherche, habe ich begonnen Street Art zu fotografieren, zu sammeln.

http://www.flickr.com/photos/ieye/sets/534639/

Das fasziniert mich nämlich besonders an dieser Kunstform: sie ist (fast) anonym, verzichtet auf jeglichen Applaus und ist vergänglich, wird überklebt und abgeschabt und ständig erneuert. Mittlerweile habe ich in Hamburg thematische Bilderserien einzelner Künstler/innen entdeckt, oder vielfältige Variationen einer Abbildung, sowie die Umsetzung einer Bildsprache/Bild-Idee durch verschiedene Künstler/innen. In Augsburg entdeckte ich zum Beispiel eine Arbeit, in der mit aufgesprühten Überwachungskameras auf reale Überwachungskameras hingewiesen wird. Das macht auch ein Witzbold in Hamburg, mit dem Unterschied, das es dort in der Nähe der aufgesprühten Kameras gar keine realen Kameras gibt.
Es macht Spaß den eigenen Blickwinkel in der eigenen Stadt zu ändern und auf Entdeckungstour zu gehen. Halten Sie die Augen auf, es lohnt sich.

..............................................schnipp.
Links zu Thema:

http://de.wikipedia.org/wiki/Straßenkunst
http://www.txmx.de/graffindex.html
http://www.flickr.com/photos/ieye/sets/534639/

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Samstag, 2. Juli 2005
Eine Postkarte aus: Bayreuth

Alle zwei Monate bin ich für ein paar Tage in Bayreuth. Auf Montage, sozusagen.Und ich kann berichten, wenn gerade niemand singt, ist das ein schönes Städtchen, mit freundlichen Menschen, die zu Recht drauf bestehen, nicht Bayern genannt zu werden. Diesmal war ja noch diese Mini-WM am laufen und wir gingen nach der Arbeit ins

Ich gehöre zu den Menschen, die die Aussicht auf ein Fußballspiel nicht gerade in Verzückung versetzt. Die Einheimischen brachten mir aber viele gute Gaben dar, die mich in einen Zustand großen Friedens versetzten:

Als Beilage wurde Schnaps serviert, der in dieser Gegend "Niederdrücker" genannt wird, was mich sehr erfreute.

Auch wurde mir eine Ausgabe des örtlichen Kulturmagazins überreicht, mit einem sehr spannenden Leitartikel über Sartres Beziehung zu Bier:

Das Fußballspiel war dann auch sehr, äh, schön. Die Wogen der Begeisterung schlugen hoch, auch wogten Weizenbier und Niederdrücker in mir, darum sind leider alle Fotos vom Spiel unscharf und verwackelt:

Auf der Rückreise gelingen mir atemberaubende Beobachtungen der scheuen Spezies des allein reisenden Mannes im Bordbistro. Keine Fotos weil allein reisende Männer oft sehr agressiv werden, wenn man sie bei ihren Ritualen fotografiert. Während der Reise schwappt viel Müll aus ihnen raus, leider nicht nur hinten.

Ich also auf der Rückfahrt hungrig in Nürnberg eingestiegen in den ICE nach Hamburg, 19:38 Uhr, dann doch lieber den reservierten Sitzplatz fahren lassen für ein bisschen Völlegefühl im Bauch. Da sind aber schon Spielverderber in wasweissichwo früher eingestiegen und besetzten jetzt alles im Speisewagen, mit Rotwein auf dem Tisch und stark geschminkten Zufallsbekanntschaften in grauen Businessanzügen, also nach vorn ins Bistro, die Wochenattraktion heißt Fleischkäse gebraten mit Kartoffelsalat, mir ist eh schon alles recht vor Hunger und das Weizenbier schmeckt und rauchen darf ich und das Buch ist gut.

Das schätze ich überhaupt ungemein an längeren Bahnreisen, einmal nicht reden zu müssen, sondern dreihundert Seiten am Stück lesen zu können. Da bin ich im Bistro aber total falsch. Da rotten sich die Geschlechtsgenossen zusammen, Stände scheinen (zunächst!) keine Rolle zu spielen, nein, die längere Zugfahrt, dient dem kommunikativen Gruppenbesäufnis, ein dringendes Bedürfnis scheint es zu sein, rasend schnell wird sich reingestürzt in Biergläser und Worthülsen. Frauen verirren sich nur selten ins Bordbistro und auch nur kurz und auch nur wegen der Suchtproblematik wird schnell eine Zigarette eingesogen, dann augenrollend der Männerspielplatz zügig verlassen.

Die Männer sind über nur eine Zigarettenlänge beim „Du“ angelangt und erzählen lautstark vom Bären erlegen. Es wird viel gelacht und viel bestellt, die Geschichten schrauben sich in luftige Höhen. Meine Herren, wenn Eure Frauen wüssten wie ihr reden könnt! („meiner sagt auch nie was.“). Berufliche Erfolge werden ausgetauscht und beklatscht, danach geht es männerbewegt in die Vorstellungsrunde („ich bin Michael, ich heiße Stefan, ja so siehst Du aus! (Brüller)), der sich nahtlos die vierte Bierrunde anschließt. Noch zahlt jeder selbst, ab Runde fünf werden Runden ausgegeben (Du lass ma, ich mach das mal eben. Na gut, aber die Nächste geht auf mich, da besteh ich drauf!).

Nach ca. zwei Stunden bekommt die Männerrunde Risse. Nicht das jemand aussteigen würde, nein, wir machen durch bis Hamburg City und singen Bummsfallera! So einfach ist es nicht. Vielmehr lockert das Bier Hirn und Zunge, die Geschichten werden schärfer, die Statements undiplomatischer und das ist der Punkt wo sich einige Teilnehmer der lockeren Herrenrunde vergaloppieren.

Die Businessfraktion schämt sich ein bisschen für die Table-Dance-Geschichten des Werkzeugmachers aus Altona, der Münchner Premiere-Mitarbeiter mit dem Lenin-T-Shirt verscheißt es sich bei fast allen ganz gehörig mit der Aussage, er ordne HSV-Fans doch eher dem rechten Spektrum zu und der Spacken im gepunkteten Kurzarm-Hemd hat als Klingelton „Freude schöner Götterfunke“ gewählt und nennt seine Frau: „Maus, holst Du mich nachher ab?“. Soviel kann man gar nicht trinken um so was zu feiern. Der eben noch weltoffene Verein der Brüderlichkeit zerfällt. Peinliche Blicke und verbrüdernde Seitenblicke zwischen einzelnen Teilnehmern nehmen zu und ab Runde acht zahlt auch wieder jeder selbst. Nur mühsam gelingt es, sich weiterhin schulterklopfend über Politiker, Fußballer und Frauen aufzuregen (in dieser Reihenfolge), nicht alles wird mehr kollektiv beklatscht und kurz vor Hamburg verliert die gesamte Gesellschaft in Lüneburg ihre Restwürde, bei der Diskussion ob denn nun noch eine Runde zu trinken sei (wäre, sein könnte, noch rein geht): „ich kann doch nicht stockbesoffen nachhause kommen“. In Hannover hätte man ja noch die Kurve kriegen können, aber jetzt in Lüneburg? Späte Erkenntnis.

Ich war auch nicht faul. Männerkreis beobachten, Fleischkäse essen, vier Bier trinken, eine Schachtel Zigaretten rauchen und 213 Seiten lesen. Und natürlich habe ich hinter Lüneburg noch ein Bier bestellt, so als echter Mann!

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Mittwoch, 29. Juni 2005
Nur mal ganz kurz: Michael Stipe, John Watts und Thom Yorke, gerade eben live in einem Schrebergarten in Altona

Ein Garten mitten in Altona. Ein Schrebergarten. Datscha, sagen Menschen denen Schrebergärten peinlich sind. Wir sind eingeladen in einem Schrebergarten, weil „Datscha“ bedeutet Haus, erklärt der frisch gebackene Schrebergartenbesitzer, zeigt auf den ächzenden Geräteschuppen und erklärt: „Das ist kein Haus.“

Im Geräteschuppen ein Pappklo. Baut man zusammen und stülpt es über einen Eimer Sand. Ist sogar oval ausgeschnitten oben. Für die Frauen, sagt der Gastgeber, Männer in die Büsche. Grillen. Warmes Bier, Büsche. Alles mitten in Altona. Betonung auf Mitte, Mitte meint ein zugewachsenes Grundstück mit einem Geräteschuppen, umringt von alten Bäumen, das nächste Wohnhaus in greifbarer Nähe. Das Grundstück ist groß. Kein Schrebergarten. Aber wegen des Geräteschuppens eben doch, erklärt der Gastgeber und fügt hinzu: „Wir haben einen Gärtner engagiert.“

Es gibt Grillfleisch und Salate aus Plastikbechern und Köpi und ein Lagerfeuer. Und plötzlich packen Menschen Instrumente aus. Bongo. Stöhn. Ein Becken und darauf geschraubt so ein Holzstück, ausgehöhlt, das tönt. Eine Gitarre. Ein Cello!

Leise schabt der Besen über das Becken, das Cello schaukelt sich mit breiten Strichen hoch, der Gitarrenmann greift in die Seiten und dann

This is the day, your life will surely change.

The The. Mit Cello. Unplugged. Der Gitarrist singt. Eine Mischung aus Michael Stipe, John Watts und Thom Yorke. Mehr Musik. Die Musik klingt wie R.E.M, John Watts (ohne Fischer Z) und Radiohead. Unplugged. Das hört man so und denkt, das hat man ja alles schon gehört, aber das ist anders hier, mit dem Lagefeuer und dem Schrebergarten und dem mächtigen Cello. Lichter gehen an, in den Häusern rundum, erste die Treppenlichter in den Glasbaustein-Treppenhäusern, Menschen an Fenstern, blinken, blinzeln durch das dunkle Laub der hohen Bäume und die Gastgeberin sagt, das sich hier nie jemand beschwert.

Das Konzert endet mit einer Coverversion von Radioheads High & Dry.

t’s the best thing that you’ve ever had, the best thing that you’ve ever, ever had.
It’s the best thing that you’ve ever, the best thing you have ever had has gone away.

Don’t leave me high, don’t leave me dry
Don’t leave me high, don’t leave me dry

Und ich schwöre, wenn die Jungs danach noch „Night Swimming“ von R.E.M gespielt hätten, ich wäre verglüht in einem wohlig-warmen, kitschigen Glückslagerfeuerball.
Mitten in Altona, in einem Schrebergarten, Hela-Gewürzketchup-Flecken auf der Hose.

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Samstag, 25. Juni 2005
Kochlöffel sind meine Lieblingsstöckchen.

Wieder mal eine Ketten-Umfrage, die ich diesmal sehr, sehr gerne beantworte. Es geht ums Kochen und den Kochlöffel haben Mutant und Mequito geworfen, drei gute Gründe mal etwas auszuschweifen.

1. Was fällt dir zu deinem ersten Kochversuch ein?

Grüne Götterspeise. Das Rezept stand auf der Packung und ich konnte schon lesen. Mutter mahnte stets, ich möge nicht mit den Fingern in die warme Götterspeise kommen und auch nicht mit eingespeicheltem Löffel, sonst würde die Speise nicht fest. Kinder belügen ist nicht schön.
Und „Krachelchen“. In Großmutters Küche.

Großmutter machte immer „Krachelchen“, röstete Toastwürfel in schäumender Butter, salzte leicht. Die schwere, schwarze, verbeulte Pfanne erzeugte Schmerzen in den dünnen Kinderarmen, meine Krachelchen waren auch sehr dunkel von der verbrannten Butter, trotzdem schön, mein erstes, selbst zubereitetes, warmes Essen.

2 . Wer hatte größten Einfluss auf deinen Kochstil?

Zweifelsohne mein Lehrherr, nennen wir ihn Monsieur, er hasste jede Art von Öffentlichkeit und so werde ich seinen Namen im Internet respektvoll verschweigen.
Ende der Achtziger. Die Küche in Deutschland war immernoch auf „Nouvelle Cuisine“, Monsieur war das nicht genug, er kochte euro-asiatisch, er trat den jämmerlichen Frankreichgläubigen mit ihren fitzeligen Miniaturen jeden Tag in den Arsch. Miso, Wasabi, Uhlua, Mai-Mai, bei Monsieur gab es alles und zehn Jahre früher. Der Mann war Gott und alles blickte in seine Küche, in dieser Zeit. Nach einer achtwöchigen (!) Probezeit („ich trau Dir nicht Paulsen, mach doch noch mal eine Woche“), war ich aufgenommen, Lehrling, in den heiligen Hallen des Monsieur. Er wuchtete ein halbes Kilo Bewerbungen auf den Tisch, sagte: “Die sind von dieser Woche, (Kunstpause) du kannst anfangen.“
Er war der König, seine Lehrlinge waren Königskinder! Schon nach einem halben Jahr, es war das härteste meines Lebens, stand ich in der Küchenordnung über jedem ausgebildeten Koch, er verzieh jedem Witzigmann-Schüler alles, uns Lehrlingen nichts. Er schleifte uns durch eine Ausbildung, die an Härte und Menschlichkeit nichts fehlen ließ.

Sein Einsatz für die Kulinarik war gänzlich und bedingungslos. Und er war Künstler, er selbst würde sich nie so beschreiben, aber Kochen, das war für Ihn ein dringend zu erlernendes Handwerk, nur um dann alles in Frage zu stellen und neu zu arrangieren. Wir durften in unserer Mittagspause, sämtlich Produkte aus den Schränken zerren, für hunderte von Mark mixen und kneten. Abends betrat Monsieur das Schlachtfeld, baute sich am Pass auf und ließ servieren. Desaströs, eine Geldvernichtungsmaschine, ihm war es egal, manche Kreation schaffte es auf die abendliche Karte. Ein Adelsschlag.

Der mir nie gelang.
Gegen Ende des ersten Lehrjahrs war ich frustriert und arbeitete fast jeden Mittag an meinen Kreationen, frei nach Loriot, es muss gehen, andere tun es ja auch. Meine, wie ich fand, bisher beeindruckenste Erfindung, war ein Möhren-Ingwer-Eis. Also irgendwie doch bahnbrechend sensationell! Monsieur verzog das Gesicht, sah mich an und sprach sein Urteil: „Sag mal, was soll denn das? Sind wir hier eine ausgelagerte Produktionsstätte für Babynahrung? Schmeiß das weg!“ Und im Weggehen, verärgert: „ich bin doch nicht Herr Hipp“.

Bald entspann sich zwischen Monsieur und mir eine genüsslich ausgetragene Hassliebe. Nach einem, sagen wir mal schleppenden, Silvestermenü-Service, wurde es kurz ungemütlich für mich. Monsieur verweigerte meine Neujahrsgrüße, ich ging , feierte bis in den nächsten Tag hinein und erwachte, als das Telefon klingelte. Monsieur am Apparat mit einem speziellen Neujahrsgruß: “Paulsen, ich hätte dich gestern mit einer Rakete abschießen sollen, das wäre eine Erlösung gewesen!“, er vergaß auch nicht, mich darauf hinzuweisen, das ich ein Säufer und ein Hurenbock sei. Ich sah auf die Uhr.
Zwölf Uhr Mittags.
Mein Vorschlag, mir doch einen Urlaubstag abzuziehen, lief ins leere. „Das hab ich schon“

Als ich wieder nüchtern war, revanchierte ich mich. Monsieur liebte den Champagner, überall hatte er in der Küche Gläser mit dem herrlichen Prickel „versteckt“, in Kasserollen und Töpfen, die Landkarte der kücheneigenen Champagne hatte er im Kopf, steuerte bei Bedarf einen der vielen Geheimbunker an, ein Blick nach rechts, ein Blick nach links, schwupps, a votre santé, weiter. Kurz nach Neujahr bin ich dann, kurz vor dem Service mit einer angeritzten, superscharfen Piri-Piri-Pfefferschote rum gegangen und habe die Glasränder damit geputzt. Tränen der Rührung füllten Monsieurs Augen. Schon beim ersten Schluck.

Mit der Zeit wuchsen wir einander richtig ans Herz, der Monsieur und ich, er ließ mich teilhaben an seinem Universum, bestehend aus fünf Meter langen Fischen in Technicolor, mit lustigen Namen und säbelscharfen Zähnen („und im Fisch ist meistens noch ein kleinerer Fisch, quasi umsonst!“), ich durfte mithelfen bei seinem zweiten Buch ( „ich wirke schwul auf dem Titelfoto, und das wollen die auf der Buchmesse drei mal drei Meter groß machen, da geh ich gar nicht hin, da mache ich nicht mit..... Paulsen ! ich hab das gehört, deine rotzfreche Lache“)

Zum Ende meiner Lehrzeit, übergab er mir die Küchenleitung seines Bistros.Der Wehrdienst kam dazwischen, ich verweigerte, wurde Zivildienstleistender. Doch das ist eine andere Geschichte.

Einige Jahre später, mein Vater feierte seinen sechzigsten Geburtstag in Monsieurs Restaurant, erzählte mir Monsieur, bei einem Glas Champagner, in der dunklen, verlassenen Küche, etwas über sich. Beinahe zwanzig Jahre schon lehrte er Generationen von Jungköchen seine Kunst. Sie alle sind verschwunden, in anderen Berufen, haben aufgehört, oder betreiben einfachste Küchen in der Bedeutungslosigkeit. Sein einziger Wunsch, sei es einmal, nur ein einziges Mal, in einer Zeitschrift, den magischen Satz zu lesen : „Der Monsieur-Schüler soundso....“. Immer stünde da der Witzigmann-Schüler, der Müller-Schüler, der Wohlfahrt-Schüler, nie, nie, nie, nicht ein einziges Mal in zwanzig Jahren, der Satz der beginnt mit: „Der Monsieur-Schüler“. Ich begriff. Dieser öffentlichkeitsscheue Kochgott; selbst seinen eigenen Ruhm, wollte er, still und leise, aus der Distanz und wenn schon, durch andere leuchten sehen.
Auch ich koche schon lange nicht mehr in Restaurantküchen, arbeite aber immer noch in kulinarischen Gefilden und das Zeugnis von Monsieur, hat mir Türen geöffnet, die mir vielleicht verschlossen geblieben wären. Seine Leidenschaft war und ist mir Motor, bei allem was ich tue.

Vor zwei Jahren wurde ich in einer Zeitschrift vorgestellt, mit Foto, gleich auf Seite zwei, dort wo jeden Monat freie Mitarbeiter vorgestellt werden. Die Redaktion bat mich, doch ein paar Sätze zu meiner Person zu schicken.
Ich setzte mich an den Computer und schrieb:

“ Ich bin ein Schüler von Monsieur...“

3. Gibt es ein altes Foto als Beweis für frühes kulinarisches Interesse?

Sie meinen das Foto wo ich, sieben Jahre alt, in der elterlichen Küche stehe, in voller Kochmontur, eingekleidet für den Schulumzug beim Heimatfest („und jetzt, da kommen sie unsere fleißigen Schüler, gewandet in Kostüme die an Zünfte und Handwerk unserer schönen Stadt erinnern! Ein Applaus für unsere Kleinsten, die sich so auf diesen Tag gefreut haben!“). In der Hand halte ich einen schweinchenrosafarbenen Pudding namens „errötendes Mädchen“.
Leider ist mein Scanner kaputt.


(Illustration: Leon, 7 Jahre)

4. Leidest du an irgendeiner Art von kulinarischer Phobie?

Pferdefleisch. Erinnert mich an Tod und Verwesung. Der süßliche Geschmack erinnert mich an Leichengeruch. Einmal aß ich im Mercado in Hamburg an einem Stand eine Wurst. Beim ersten Bissen fiel mir der süßliche Geschmack auf. Mein Blick wanderte zum Schild des Wurststandes. Pferdewurst. Ich hätte fast in den Mülleimer gekotzt.

5.1 Welches Hilfsmittel in der Küche schätzt du am meisten?

Scharfe Messer. Scharfe Messer. Scharfe Messer. Und meinen geliebten Pürierstab. Und scharfe Messer.

5.2. Welches Hilfsmittel war der größte Reinfall?

Eieruhren. Kann man bitte aufhören mir lustige Eieruhren zu schenken? Ich kann nämlich die normale Uhr lesen und es stimmt auch alles mit meinem Gefühl. Danke.

6. Nenne eine seltsame oder verrückte Essenszusammenstellung, die du wirklich magst - und wahrscheinlich niemand sonst!

Auch die seltsamste oder verrückteste Kreation ist nichts wert, wenn sie nur mir schmeckt. Oder wie Monsieur es auszudrücken pflegte: „Das ist total am Gast vorbei gekocht“.

7. Auf welche drei Zutaten kannst du nicht verzichten?


Salz. Olivenöl. Knoblauch.

8. Dein Lieblingseis?

Karamel-Eis und Waldmeister-Softeis.

9. Was wirst du nie essen?

Pferdewurst.

10. Dein Spezialgericht?

Zur Zeit: Thunfischfilet kurz und scharf in Zitronenpfeffer anbraten, sofort in den Gefrierschrank um den Garprozess schnell zu stoppen. Dann in dünne Scheiben geschnitten, dazu Erbsen-Wasabi-Schaum, grobes Meersalz und Rote Bete-Sprossen. (Ich würde das gerne mal für Monsieur kochen.)

11. Welche Frage fehlt hier?

Macht Kochen glücklich?

Definitiv. Ich könnte nicht leben ohne Kochen & Essen. Ein ganzes Universum für alle Sinne, einer der schnellsten Wege Glück zu spüren. Dabei ist es ganz egal ob es sich dabei um Kartoffeln mit Butter und Salz handelt oder um Thunfisch mit Wasabischaum. Und es mag jetzt pathetisch klingen, aber ich empfinde es auch als großes Glück, andere Menschen mit kulinarischen Genüssen glücklich zu machen. Ich koche seit Jahren nicht mehr in Restaurants. Meine Rezepte finden sich in diversen Zeitschriften. Der Gedanke, dass Menschen zuhause, mit den von mir erdachten Rezepten einen schönen Abend haben, ein Fest feiern und wiederum ihre Gäste glücklich machen, das ist für mich das größte Glück.

Der Kochlöffel geht, und auch Mutant forderte schon dazu auf, an: Andropovs Onkel.

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