Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 1. August 2005
Fundstück der Woche: Zurück in die Zukunft

Neulich gab es ja hier eine Umfrage zum Thema Kochen, die ich ausführlich beantwortete. Passen musste ich bei der Frage: Gibt es ein altes Foto als Beweis für frühes kulinarisches Interesse?
Also entweder liest meine Mutter hier mit (eine Angstschweiß treibende Vorstellung ) oder es ist reiner Zufall, jedenfalls hatte ich zum Wochenende dieses schöne Foto im Briefkasten:

1978, dritte Klasse, steht hinten drauf, dann noch mein damaliger Kosename den ich Ihnen verschweigen werde, ich bin doch nicht blöd. Das Foto zeigt mich beim Kostümumzug während des Heimatfestes in unserer kleinen Stadt. Alle schulpflichtigen Kinder werden dort einmal im Jahr in Kostüme gesteckt („und jetzt, da kommen sie unsere fleißigen Schüler, gewandet in Kostüme die an Zünfte und Handwerk unserer schönen Stadt erinnern! Ein Applaus für unsere Kleinsten, die sich so auf diesen Tag gefreut haben!“) und müssen durch die halbe Stadt laufen, am Ende gibt es eine Bockwurst („hast Du Hunger und auch Durst, dann kauf Dir Meiers Wasserwurst“) und ein Brettspiel als Lohn für die Mühe. Deutlich auf dem Bild zu
erkennen, wie viel Spaß mir das machte. Vielleicht war es aber auch die Ahnung, dass ich Jahre später diese Klamotten täglich und nicht zur Volksbelustigung, sondern zur Arbeit tragen würde. Auch meine schon als aggressiv zu bezeichnende Aversion gegen offene Sandalen und weiße Socken ist mit diesem Foto endlich erklärt. Danke, Mutti!

... Link


Freitag, 29. Juli 2005
Sommer-Hit 2005 gefunden! Wieder mal: Roy Paci & Aretuska

Deutschland sucht den Super-Sommer-Hit. Machen die jedes Jahr. Für mich ist da nie was dabei. Ich muss da immer selber los und kucken. Und heute dann im Plattenladen, ich glaub mich trifft der Schlag, ach herrlich: Roy Paci ist endlich zurück!

Der Nadelstreifen betuchte Sizilianer mit dem dicken Horn und dem dünnen Oberlippenbärtchen ist Sänger und Trompeter der ersten und einzigen Ska-Band Siziliens, "Roy Paci & Aretuska".

Roy Paci hat schon lange einen Ehrenplatz in meiner Plattensammlung (file under: das ist ja wohl Gott!). Als Solomusiker hat er mit zahlreichen anderen meiner Göttern gespielt, mit Manu Chao, Trilok Gurtu, Zap Mama, dem New York Ska Jazz Ensemble und Fela Kuti. Paci ist mit seiner Trompete und seiner Stimme auf über 300 Alben verschiedener Künstler zu hören.

Roy Paci & Aretuska spielen eine elegante Mischung aus Reggae, Swing, Latin, Mambo, Jazz und sind natürlich auch der italienischen Banda-Tradition verbunden. Sicher keine Nischen-Musik, drei geniale Alben raus, trotzdem in Deutschland noch weitestgehend unbekannt. Das neue Album „Parole D´Onore“ ist eben erschienen und, tja, ich sag mal: file mal wieder under- das ist ja wohl Gott!

An den Reglern saß diesmal Olsen Involtini (ja, das ist der, der auch ab und zu mit Seeed rummacht), er hat sich aber mit seinen Mixmaschinen angenehm zurück gehalten, Aretuska klingen wie immer kraftvoll, rauh und nach Handarbeit. Die Einstiegsnummer ist gleich eine Bombe: „Superreggae StereoMambo“ ist ein dicker Latin-Kracher, eine Arschbombe in den sauberen Swimmingpool der Klingelton-für-einen-Sommer-Latinos. Sehr schön auch „Gastarbeiter“, ein schleppender Ska, mit fettem Dancehall-Teil („they called me Spaghettifressa“). Ein Leidenschaftlich geschmetterter Italo-Schlager ist auch dabei, kann man gleich mitsingen „Pizza E Sole“. Und der letzte Titel der Platte „Fela Kuti Aye!“ ist eine Verbeugung vor eben diesem, mit dunklem Funk-Bass und afrikanischer Percussion. Groß!

Und während Deutschland noch den Sommerhit sucht, mach ich schon mal den Wein auf !

....................................................ritsch.

Links zum Thema:

http://www.aretuska.com/

http://www.aretuska.com/fanclub/

http://www.roypaci.it/

... Link


Mittwoch, 27. Juli 2005
Das kleine Frühstücks-Tourette

Wieder mal ein Stöckchen, via http://schokolatajaja.blogg.de/ diesmal geht es um Frühstück.

Und da komme ich so richtig in Wallung! Frühstück, diese völlig überschätzte Mahlzeit, diese von der Gesundheitsfraktion gehypte Zwangsfütterung, gerne auch unter Zeitdruck eingeatmet, lehne ich ab. „Die wichtigste Mahlzeit des Tages!“. Ich glaub es hakt! „Iß morgens wie ein Kaiser, Mittags wie ein König und Abends wie ein Bettelmann!“. Ja, das könnt ihr gerne ohne mich machen.
Je nach Glaubensbekenntnis schaufeln sich Menschen in der Früh pampige Müslis durch die müden Lippen, andere vertilgen in der Entknitterungsphase ganze Menüs, fettige Würstchen, schwitzenden Lachs und die Generation Kamps kaut klaglos die inhalts- undgeschmacksfreie Brötchenimitate der Industrie. Hier läuft die Ware nicht vom Band, hier schafft man noch mit Herz und Hand. Ja genau. Damals. Nein, nein, ich bin raus aus der Nummer und zwar seit dem Tag, als ich mein Elternhaus verließ.

Und wo in südlichen Gefilden elegant an einem Hörnchen oder Croissant geknabbert wird, dazu ein schwarzer Espresso, da schlägt beim Deutschen schon in der Früh die Gier durch. Als bräche gleich der Krieg aus, frisst man sich durchs Frühstücks-Schlaraffenland und diese Morgen-Mentalität verschaffte uns den Brunch. Nur vermeintlich ein Exportschlager, in Wirklichkeit eine zutiefst deutsche Angelegenheit.
Ich war seit 1 1/2 Jahren nicht mehr auf einer Abendeinladung! Es wird von mir erwartete, dass ich mich im Anschluss an fröhliche Berufsjugendlichen-Veranstaltungen, nach einer Ruhezeit von drei Stunden auf einen Brunch begebe, Kinder lobe und fröhlich bin. Pfui, rufe ich!

Außerdem langweilt mich Frühstück. Marmelade langweilt mich, Aufschnitt langweilt mich, Getreide und Körner langweilen mich. Schinken und Käse? Sehr gerne! Zu einem guten Glas Wein am Abend.

Morgens schläft mein Magen gerne länger, denn er hat jeden Tag viel vor. Ich bin kerngesund und wer gesund ist, hat Recht.

1. Was frühstückst Du an einem normalen Tag?

Milchkaffee, Zigarette, Mail, Antville. Milchkaffee und Zigarette sind eine sehr gesunde Kombination, sie fördern die Verdauung und schaffen Platz für kommende kulinarische Abenteurer. Gegen 11:30 Uhr bekomme ich dann auch so richtig Hunger und kann mir den ganzen Vormittag überlegen, was ich Mittags esse oder am Abend in Ruhe kochen und genießen möchte.

2. Was frühstückst Du an deinem freien Tag?

Milchkaffee, Zigarette, Mail, Antville. Außnahme, der Sonntag. Die Liebste schätzt am Sonntag ein augedehntes Frühstück. Da ich weiß, dass die Geheimnisse einer glücklichen Liebe Kompromissfähigkeit und Verständnis sind, füge ich mich an diesem Tag gerne, zumal es da auch eher schon Mittag ist.

3. Wann frühstückst Du?

So um 8:00 Uhr.

4. Bist Du mit bestimmten familiären Glaubenssätzen oder Traditionen zum Frühstück aufgewachsen?

Ahhhhhhhhrrrgggg! Ein Albtraum und vielleicht der Schlüssel zu meiner Frühstücksverstockung. Die frühkindlichen Frühstückserfahrungen im Elternhaus sind noch heute lebendig. Meine Eltern waren der Meinung, das man auch Sonntags früh aufstehen kann, spätestens um 9:00 Uhr versammelte man sich im Wohnzimmer zu Schlachteplatte, Fleischsalat, Lachs, glibberigen Eiern und gaumenätzendem Bergkäse aus dem Bregenzer Wald. Papa toastete sich in seiner Ecke schweigend einen Wolf, überhaupt wurde viel geschwiegen, es war ja noch früh und es lief ja auch Musik. Klassische Musik. Klassische Musik von der Sorte, die sogar einen Achtjährigen sofort in tiefe Depressionen stürzen können. Gerne Schuhmann. Neulich hörte ich im Fernsehen, das Schumann sich die Haut zwischen den Fingern einschnitt um schnelle spielen und weiter greifen zu können. Das konnte ich damals schon hören. Als ich in die Pubertät kam, saßen wir wieder in der Küche, es gab es keine Musik mehr, dafür Gespräche. Gerne von 9:00-14:00 Uhr. Über meine schulischen Leistungen, mein Versagen, meine Unfähigkeit, es in diesem Leben weiter zu bringen als auf einen Müllwagen. „ Erst rauchen, dann trinken und dann zur Müllabfuhr“, pflegte meine Mutter zu sagen und mein Vater fügte hinzu, „ Kannst Du Dir den Schinken nicht so dick aufs Brötchen legen, das sind mir die richtigen, bei der Arbeit frieren, beim Essen schwitzen.“ Ich bekam keinen Bissen hinunter.

5. Welche Erinnerungen verbindest Du mit Pausenbroten oder Lunchboxen?

Hier muss gebrochen werden. Und zwar eine Lanze. Für meine Mutter. Jahrelang stand sie um 6:00 Uhr auf um ihren drei Kindern Schulbrote zu schmieren. Die waren lecker, man durfte sich was wünschen und ich habe immer alle aufgegessen und nie mit jemandem getauscht.

6. Was wäre für Dich ein luxuriöses Frühstück?

Das hatte ich neulich. Die Liebste und ich waren für ein Wochenende im Grand Hotel Kempinski in Heiligendamm eingeladen. Da gibt es ein Langschläferfrühstück, der Begriff Brunch wird dort elegant umschifft. Um 13:00 Uhr genossen wir dort feinste Räucherfische (Zarenlachs, Butterfisch, Heilbutt), es gab papierdünnes Bündnerfleisch, perfekt gereifte Käse aus aller Welt, dazu warme Speisen wie Heilbutt auf Senfspinat, butterzartes Kalbsfilet mit würziger Jus und Gratin, undundund. Neben dem Tisch, im silbernen Kühler, eine aufgzogene Flasche Riesling von Robert Weil und zum Nachtisch frisch gebackene Waffeln und Palatschinken. Geht doch.

7. Wie, wo und wann würdest Du am liebsten frühstücken?

Siehe Punkt 6.

8. Kannst Du Dich an ein ganz besonderes Frühstück in Deinem Leben erinnern? Was war daran bemerkenswert?

Die Entdeckung des britischen Frühstücks. Ende der Achtziger besuchte ich mit einem Freund London. Auf dem Flug betranken wir uns mit Gordons Gin und am nächsten Tag hatten wir Hunger und einen Kater. In der kleinen Pension servierte man uns gebackene Bohnen, Eier, rote Plastikwürste und Speck. Fand ich super! Bei der Abreise wurden wir dann auf dem Flughafen London Gatwick wegen unerlaubtem Waffenbesitz festgenommen. Das ist aber eine andere Geschichte, die Opa Paulsen demnächst mal erzählt.

9. Was darf auf einem Frühstückstisch auf keinen Fall fehlen?

Wenn schon, dann bitte unbedingt ordentlich „Bauarbeitermarmelade“, leckere, frische Zwiebelmettwurst.

10. Was möchtest Du uns noch zum Thema Frühstück sagen?

Schließen möchte ich meine kleine Frühstücks-Erregung mit einem Zitat des Winzers Robert Mondavi.


(Foto:Jock McDonald)

Nach dem Geheimnis seines hohen Alters und seiner jugendfrischen Ausstrahlung befragt, antwortete er, es sei sein Frühstück. Seit Jahrzehnten trinke er morgens einen starken Espresso mit einem kleinen Schwupps Rotwein darin. Vorbildlich.

Frühstücken möchte ich gerne mit:

http://mequito.org/

http://xrays.antville.org/

und Andropovs Onkel, dem immer noch blog-losen Superchecker in Sachen Lecker.

... Link


Samstag, 23. Juli 2005
Zähneknirschend in die selbst gewählte Bürgerlichkeit

Seit Oktober vergangenen Jahres suchten die Liebste und ich eine neue, gemeinsame, große Wohnung. Unsere Leidensgeschichte ist teilweise in diesem Blog beschrieben und endet heute hier. Wir haben nämlich unsere Traumwohnung gefunden, den Mietvertrag unterschrieben und im September ziehen wir ein.

Jetzt denkt man sich eventuell der Herr Paulsen flitzt nackig, den Mietvertrag wedelnd durch die Innenstadt oder freut sich sonst wie über den glücklichen Ausgang der scheinbar endlosen Sucherei. Nein, ich sitze Zuhause, bin komplett angezogen, mit wehmütigem Blick blicke ich aus dem Fenster in den Nieselregen und flüstere leise: „Ja, ne toll, ja doch, ne echt ich freu mich.“

Es ist der Abschied, der gewichtig auf meinen schmalen Schultern Platz genommen hat, der Abschied von meiner alten Wohnung, der Abschied von meinem Kiez. Acht Jahre lang habe ich hier gelebt, in einer hellen 52 qm großen drei Zimmerwohnung, mit einem malerischen Balkon, einem schönen Garten mit eigenen Kräutern, ganz ruhig in einer Sackstrasse gelegen. Gelebt habe ich dort am Rande des Schanzenviertels, direkt am Park und geliebt habe ich das Schanzenviertel und wer je im Schanzenviertel wohnte, wird begreifen, dass dies auch ein Abschied von einem Lebensgefühl oder wahlweise einem sehr schönen Lebensabschnitt ist.

Das ist eigentlich das schlimmste, der Abschied von „meinem Kiez“. Der neue Kiez ist bedrückend bürgerlich, sandgestrahlte Altbauschönheiten reihen sich wie Perlenketten aneinander, die Bewohner sind ehemals SPD-bewegte Mittelständler mittleren Alters (überhaupt ist hier vieles mittel, mittig, mitte), die sich fusselige Pullover über das Krokodil-Shirt werfen, mit geflochtenen Weidekörben einkaufen gehen und beim Türken oder Italiener auf türkisch oder italienisch bestellen und sich dabei unglaublich weltbürgerlich, zumindest aber sagenhaft europäisch vorkommen. Manchmal lesen sie noch heimlich die TAZ, beim Tee trinken im Café, aber nur ganz kurz und kopfschüttelnd. Die Frauen fahren in globigen Geländewagen ihre 1,2 Kinder zum Reiten, Schwimmen, Ballett. Selbst machen sie Yoga oder walken mit Freundinnen durchs Viertel, weil’s Abends Lätta schmeckt. Viele haben früher mal in der Schanze gewohnt.

Solch eine spöttische Betrachtung kann man auch über die Bewohner der Schanze schreiben und außerdem sind das alles Vorurteile und Überspitzungen, trotzdem, mein neuer Kiez ist mir nicht geheuer.

Aber die neue Wohnung ist wirklich toll und groß und bezahlbar und irgendwann werde ich mich eingewöhnt haben. Ich, der Berufsjugendlichen. Sagt meine Mutter. Und sie lacht sehr am Telefon, als sie von meiner neuen Adresse erfährt und sagt: „Hahaha und das Du als alter Panka!“ Meine Mutter sagt Panka, wenn sie Punker meint.

Ich hab ein Fahrrad. Mit dem bin ich in 6,5 Minuten in der Schanze. Ich schaff das schon. Und den Panka nehme ich einfach mit in die neue Bude, da ist eh Platz für Drei.

PS:
Wer übrigens Lust hat, in meine alte Wohnung zu ziehen (52 qm, 3 Zimmer, Küche, Mini-Bad, Balkon, Garten, heller Altbau, vor zwei Jahren komplett renoviert, verputzte Wände, keine Tapeten, z.Zt. 420 Euro kalt), der kann sich gerne an mich wenden:

herrpaulsen@gmx.de

... Link


Freitag, 22. Juli 2005
Lese-Tipp: 14 gewalttätige Jugendliche schillern

Sehr, sehr komisch:

Amidelanuit erzählt in ihrem Blog von einem ganz besonderen Theaterprojekt mit 14 gewalttätigen Jugendliche die in einem Wald die "Räuber" von Schiller aufführen sollen.

"manchmal denke ich, wir sind verrückt. hatten wir doch den plan, 14 jugendliche gemeinsam mit einer theaterpädagogin in einen wald zu stecken und sie erst wieder rauszulassen, wenn am ende eine theateraufführung, nämlich "räuber" von schiller steht.
nun: nach der ersten probe erschien eine zerzauste pädagogin, die in breitestem berlinerisch meinte, sie hätte ja nun schon in manchem asselkiez in berlin gearbeitet, aber diese jugendlichen hier in t. in oberbayern wären wohl durch eine weitaus härtere schule gegangen als ihre damals im schmusekiez kreuzberg."

Weiterlesen unter:

http://ami.twoday.net/

(Für den vollen Genuß empfehle ich erst den Eintrag vom 13. Juli (Proben) zu lesen und dann den 20. Juli (Aufführung))

... Link


Mittwoch, 13. Juli 2005
Mixed Pickles 4

Endlich in der Videothek: Sideways. Feuilleton und Presse suggerierten, das ich mir den unbedingt ansehen müsste, wenn ich mich für Wein interessiere und auch sonst ganz toller Film, Midlifecrisis, Männerfreundschaft, Tragik-Komik. Blödsinn rufe ich, geklaute Lebenszeit, dieser farb- und freudlose Film. Nicht mal der von der Videothek mitgegebene Ernest & Julio Gallo Cabernet Sauvignon, Sierra Valley 2003, 250 ml mit Schraubverschluss machte diesen Mist erträglich.

Unsympathischen Männern um die Vierzig dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben immer noch nicht im Griff haben und darüber in Rotwein und Selbstmitleid zerfließen, dazu „stimmungsvolle“ Bilder die aus einem 70er Jahre Lehrvideo über Weinanbau in Kalifornien stammen könnten, das ist echt schlimm. Der Film korkt ganz gewaltig.
....................

Gestern war ich zum ersten Mal in einem Sexshop speziell für Frauen. Ganz viel Wäsche, Dildos auf Samtkissen und Filme. Die haben mich besonders interessiert. Überraschung: nix da von wegen mit Handlung und soft und so, nein die üblichen Verdächtigen, lediglich die etwas abwegigeren Praktiken, die viel Dreck machen, fehlten. Sehr gefallen hat mir aber die Schaufensterdeko, da wurden Kindheitserinnerungen in einem ganz neuen „Gewand“ präsentiert:


....................

Apropos Gewand, beim Summerjam erheiterte uns dieses T-Shirt ungemein:

Naja, mittelalterliche Männer die Wein trinkend vor einem Zelt sitzen lachen ja so über einiges. Also nicht so wie in diesem Film, Sideways, der, erwähnte ich es schon, eher zum heulen ist.
Sehr gelacht haben wir auch über eine mit Holzketten üppig geschmückte Frau, jenseits der Vierzig, die eines Nachmittags im cremfarbenem Knitterkleid vor unserem Zelt halt machte und eine sehr schöne Frage stellte: „Sacht ma, hier sollen irgendwo Schwarze Musiker live Musik machen, wisst ihr wo?“ Wir antworteten wahrheitsgemäß: „Ja, überall.“ Dann mussten wir schon wieder lachen.
....................

„Sprizz!“. Nein das ist kein Artikel aus dem Frauen-Sexshop, sondern ein Artikel aus dem aktuellen „Feinschmecker“. Da wird über einen Apero berichtete, der zur Zeit in Venedig der Renner ist: zwei Teile trockener Weißwein, ein Teil Campari (oder Aperol), Eiswürfel und ein Spritzer Soda. Zitronenschnitz und los. Sprizz heißt das Ding, ein Lehnwort aus dem Österreichischen und Sprizz rockt!

Das erinnert mich an meinen liebsten Sommerdrink, den „Molli“. Molli war eine ehemalige Arbeitskollegin von mir, die sich mütterlich um mich jungen Berufsanfänger kümmerte. Ich mochte sie sehr! Sie träumte immer von Irland, nach ihrer Frühpensionierung mit 56 sollte sich ihr Traum von einem Leben auf der grünen Insel erfüllen. Zwei Wochen nach ihrer Pensionierung klappte sie unter der Dusche zusammen und war sofort tot. Die Frau die sie fand berichtete, Molli habe gelächelt. Wenigstens das.
Sobald draußen die Temperaturen über 20 Grad anstiegen, mixte Molli ihren „Molli“:
ein bisserl Campari,
ein Teil Bier,
ein Teil Mineralwasser,
Eiswürfel und gut.
Sehr gut sogar!
Danke Molli!

... Link


Dienstag, 12. Juli 2005
Herr Paulsen geht aus: Summerjam 2005

Bäumen beim wachsen zu zusehen ist eine unbefriedigende Beschäftigung, langwierig und öde. Ich sehe seit fünf Jahren zwei Bäumen beim wachsen zu. Die beiden Bäume stehen links an der Hauptbühne des Summerjam-Festivals in Köln am Fühlinger See. Da ich nur einmal im Jahr vorbei schaue, wachsen die beiden Bäume für mich sichtbar und wo früher saftiges Blattgrün die Sicht auf die Bühne verblätterte, da spenden jetzt kräftige Baumkronen Schatten.

Das auch ich einige Jahresringe zugelegt habe, fiel mir gleich am Donnerstag auf, als Andropovs Onkel und ich schwer beladen über das Festival torkelten, auf der Suche nach einer Heimstadt für die nächsten Tage. Doch kein Fleckchen Erde bot mehr Halt für Zeltheringe, voll bepackt die grünen Hügel am See, wer jetzt kein Zelt hat, baut sich keines mehr. Die Arme schmerzten, die Schultern brannten unter den Lasten der Bequemlichkeiten die wir eingepackt hatten und wir fluchten sehr. Nach nur 1 1/2 Stunden fanden wir doch noch einen hübschen Lagerplatz. Der Zeltaufbau ging flott von der Hand! Bis wir Herr Svensons Zelt aufbauen sollten, es sei sehr klein, hatte Herr Svenson gesagt und nur etwas kompliziert im Aufbau, aber durchaus machbar! Nach 45 Minuten war uns klar, Herr Svenson hatte gelogen. Irgendwann lag dann eine verschrumpelte, olivgrüne Milchtüte von gigantischen Ausmaßen im Gras und ich rief Herrn Svenson an und beschimpfte ihn ein bisschen und er könne morgen seine Milchtüte selber fertig aufbauen. Dann wurde gegrillt. Gut dass wir knapp 1,5 kg Grillfleisch dabei hatten. Der 9,90 Euro - Grill von der Tankstelle wackelte stark, immer wieder brach das Grillgitter aus der Verankerung und entließ viele saftige Steaks auf den Gehweg. Rosé und Sauvignon Blanc waren aber angenehm kühl und eine heitere Gelassenheit erfüllte uns endlich. Ein schöner Gratis-Dancehall unter den Sternen half beim Verdauen.

Freitag besuchten wir dann meine Bäume. Auf der Bühne hielt der Veranstalter eine Rede über die Feigheit der Londoner Terroristen, es gab eine Schweigeminuten und dann dick was aufs Ohr von ASIAN DUB FOUNDATION aus London.

Die so gar nichts mit Reggae zu tun haben, oder, wie es Andropovs Onkel formulierte, die Rage against the maschine des Reggae sind. Das ist ja das schöne am Summerjam, Kifferromantik und Latzhosen-Reggae (Red Red Wine...) sind überwunden oder finden nur am Rand statt.

Gleich die zweite Band dann der Höhepunkt des Festivals.

BABYLON CIRCUS aus Frankreich vermischen Reggae, Ska, Latin, Hip-Hop, Salsa und Punk zu einer glückselig machenden Mischung. Dicke Bläsersätze, röhrende Gitarren, Akkordeon-Einspieler, fette Beats. Sensationell! Äußerst charmant wird da auf der Bühne gearbeitet und gefeiert, wuchtig, aber mit französischer Eleganz.

Dass der Mix allein noch nicht geschmaaaidisch macht, bewiesen an diesem Tag CULCHA CANDELA aus Berlin.

Auch hier Salsa-Reggae-HipHop-Ska, aber die Sounds vom Plattenteller, ein bisschen Rumgespringe dazu ein bisschen Mitmachfaschismus (Hände in die Höh!), da muss ich ein bisschen gähnen.

Auch nicht schön: SEEED. Dabei habe ich nichts gegen SEEED. Ich habe alle Platten, Singles, EPs, seit es die Jungs gibt und dies hier war mein zwölftes (!) SEEED-Konzert.

Ich hör jetzt damit auf. Das ganze hatte sich schon beim letzten Konzert im Hamburger Stadtpark abgezeichnet. Da stand die Liebste neben mir, machte immer so: „weia!, ohjeh, ach Gott!“, stöhnte hier und da, zog scharf die Luft ein und resümierte am Ende des Konzertes: „ Das ist ja ne Boyband!“. Auf dem Summerjam entpuppte sich die Boyband als stadiontaugliche Boyband mit streng choreographierter Bombast-Show. Dann ab jetzt doch lieber ehrlich schwitzen mit den Arbeitern von BABYLON CIRCUS.

Herr und Frau Svenson hatten dann doch noch ihre Milchtüte aufgebaut, herr Svenson entschädigte uns mit Freibier für die entstandene Mühsal und gemeinsam gingen wir spät Nachts ins Dancehall-Zelt um Hamburg zu huldigen:

„Unsere“ Jungs vom SILLY WALKS SOUNDSYSTEM zauberten in der bierzeltartigen Soundgrotte einen Dancehall auf die Plattenteller, wie ich ihn noch nicht erlebt habe. Das war Gott! Also Jah in diesem Fall. Zwei Menschen machen mit ihren Platten und Dubplates 2500 Leute fertig.

Freudentränen mischten sich mit dem üppigen Kondenswasser-Regen vom Hallendach. Totales Durchdrehen, Tanzen bis der Arzt kommt! Die Altersweisheit lies uns nicht erst auf den Arzt warten, wir gaben besonnen früher auf und den Löffel ab.

Jetzt also schlafen. Ich muss an dieser Stelle von unseren Zeltnachbarn sprechen, auch sollen diese Aufzeichnungen der Wissenschaft dienen, zum Wohle unserer Kinder. Denn unsere Zeltnachbarn waren nicht von dieser Welt, oder zumindest nicht menschlich. Ich war nicht immer so ein Langweiler der nichts verträgt und immer schnell müde ist, aber selbst in meinen Hochphasen gelang mir nie, was unsere Nachbarn uns da vorlebten: Vier Tage ohne Schlaf, Rund um die Uhr Bier, dabei immer freundlich, gelassen, heiter und hellwach. Die beiden Jungs (27) feierten so richtig. Das wäre jetzt hübsch zu beobachten gewesen, leider spielten die Jungs auch Rund um die Uhr Musik. Geschmackssicher zwar, aber laut und Rund um die Uhr. Zwar gelang es der Hamburger Reisegruppe vor dem Schlafengehen soviel Alkohol zu inhalieren, das für ein rasches Koma gesorgt war, aber schon nach zwei-drei Stunden fraß sich der Reggae vom Nachbarzelt durchs schwitzige Ohropax, glockenklar, Augen auf, weiter geht’s.

Der Samstag! Sonnenschein! Badestrand. Glasklar und kühl das Wasser. Urlaub.

Der Fühlinger See ist einer der Gründe warum ich jedes Jahr hierher komme. Der Wein war immer noch kühl (5 Liter-Schläuche rocken!) und ein großer Frieden tackerte uns für viele Stunden auf unsere Campingstühle. Sonne genießen, Frauen schauen, Nachbarn bestaunen. Ach herrlich Kinder!
Musikalisch starteten wir am Samstag mit dem großartigen TOKYO SKA PARADISE ORCHESTRA.

Neun Japaner in schicken Anzügen spielten geschmeidigsten Ska und konnten auch Swing. Ganz ohne Exotenbonus, wie es im Drum-Zigarettenpapier-Werbe-Programmheft so unglücklich formuliert war, spielten die Jungs ein großartiges Set von meist instrumentalen Stücken.

SERGENT GARCIA,

den Mann der gleichzeitig in zwei Richtungen schauen kann, liebe ich seit Jahren. Ich habe seine zweite Platte UN POQUITO QUEMA'O mal in Barcelona gekauft, weil ich das Cover so hübsch fand.

Damals habe ich auch noch selbst Platten aufgelegt und aller zwei Jahre lang damit genervt. Zu Recht, wie ich nach diesem Konzert finde. SERGENT GARCIA betreibt übrigens eine sehr schöne Flash-Site, alle Links wie immer unter dem Text.

Reggae-Legende BARRINGTON LEVY (under mi sensi) spielte dann über eine Stunde under mi sensi und bekommt einen Preis von mir für den billigsten Keyboardsound seit dem großen Keyboard-Verbrennen, Ende der Achtziger. Zahnweh und Ohrenkrebs galore! (später erzählte mir eine Bekannte von einem „grenzenlosen“ Skandal im Live-Reggae: sie beobachte das schon seit Jahren, „Soundfaschisten“ hinter den Reglern würden absichtlich die schwarzen Bands scheiße abmischen, während weiße Acts wie SEEED oder GENTLEMAN glasklar und in Aufnahmequalität abgemischt würden. (Ich lass das jetzt hier mal so stehen.))

Von THE SELECTER haben wir nur die Zugaben mitbekommen (Too much pressure, Pressure drop).

Pauline Black scheint nicht wirklich zu altern, eine schöne Frau mit der berühmten kernigen Stimme. Toll! Nicht so toll: YELLOWMAN. Grausamer Soundbrei ohne Höhen und Tiefen
(Soundfaschisten?) und Herr Yellowman muss auf dem Weg im Flugzeug Zug abbekommen haben und sang darum ganz ohne Stimme. „Alles in allem doch ein farbloser Auftritt.“, bemerkte jemand am Bierstand und da warf ich meinen inneren Gutmenschen über Bord und musste herzlich lachen. (Reggae-Unkundigen sei an dieser Stelle erklärt, dass Yellowman Albino ist).

PATRICE („this is not a concert, this is a church!“)


(hier mit Silly Walks in Hamburg)

knödelte uns dann in einen wohlverdienten und erfrischenden Nachmittagsschlaf, der Herrn Andropovs Onkel einen lustigen Handytastatur-Abdruck auf die Backe zauberte und verbrauchte Energie zurück brachte. Nach dem Aufstehen machte ich mich auf die Suche nach kaltem Bier, warmes gab es reichlich und schon waren wir wieder fit für den Abend.

GENTLEMAN

lauschten wir aus der Ferne, zwischen der Bühne und uns standen ca. alle Besucher des Festivals, so ungefähr 25.000. Ich liebe Gentleman, aber das hier ist null funky und ich verstehe Menschen nicht die sich absichtlich in solche Konzertsituationen begeben ( Westernhagen, Rolling Stones & Co). (Der Sound war allerdings glasklar, die Verschwörung der Soundfaschisten hatte ganze Arbeit geleistet.)

Letzte Mobilisierung aller Kräfte dann für einen weiteren Dancehall der Luxusklasse. POW POW, SENTINEL und der großartige Reggae-Ambassador MR. DAVID RODIGAN!!!!!!!!

Es ist jedes Jahr eine Freude diesem Mann zu begegnen, der Mann hüpft völlig entfesselt um die Turntables und peitscht das Publikum durch. Rodigan hat Reggae nach Europa gebracht, eine Legende, und die wird gefeiert. Während des gesamten Rodigan-Sets ist kaum ein Ton Musik zu hören, das macht aber nichts, ca. 4000 Menschen schreien einfach nur glückselig und textsicher jeden Tune mit und das ist ein ganz besonderes Erlebnis für mich, jedes Jahr wieder. Nirgendwo, bei keiner Band, bei keinem Soundsystem, bei keinem Konzert das ich je in meinem Leben besucht habe, erlebte ich so eine entfesselte Explosion, so einen armdicken Draht zwischen Publikum und Artist, wie einmal im Jahr, auf dem Summerjam, wenn Sir Rodigan da Rootsman die Turntables dreht.

Der Sonntag ging dann für Sonnenbaden, Schwimmen, Rumgammeln, Abreisen drauf, obwohl noch viele schöne Bands spielten, aber the secret to a long life is knowing when ist time to go. Ein Jahr habe ich jetzt Zeit mich zu erholen, dann muss ich wieder los und nach meinen Bäumen sehen. Und wissen Sie was? Ich freu mich drauf!

................................................links zum Thema

http://www.sillywalks.de/

http://www.babyloncircus.net/

http://www.asiandubfoundation.com/

http://www.culchacandela.de/

http://www.seeed.info/

http://www.skapara.net/

http://www.sergentgarcia.com/

http://www.barringtonlevy.com/

http://www.patriceonline.de/

http://www.journeytojah.com/

http://www.powpow.de/

http://www.sentinelsound.de/

http://www.rodigan.com/

... Link