Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
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Donnerstag, 3. August 2006
Paulsen, tollkühner Wellen-Bezwinger und wiedergeborener König aller Weltmeere, geht baden.
herr paulsen
18:53h
Wiedergeburt, das ist ja so ein Thema für Leute die Schiss vor der eigenen Endlichkeit haben und derartig selbstverliebt sind, dass sie sich nicht vorstellen können, dass sich die Erde auch mal ohne sie dreht. Oder natürlich für kluge Buddhisten mit Durchblick. Ich gehöre momentan keiner dieser beiden Gruppen an, denke aber viel nach in den letzten Tagen. Irgendwas stimmt nicht mit mir. Ich verändere mich. Wir mussten die Arbeitszeiten ändern in unserem Fotokloster, es ist einfach zu heiß. Seitdem stehe ich jeden Morgen um fünf Uhr auf. Macht aber nichts, denn dafür stehe ich jeden Nachmittag, spätestens um fünf Uhr am Meer. Und da passiert es, ich werde ein Anderer. Ich tauche ein, ich schwimme los, mit kräftigen Zügen. Mein Körper, den ich zuhause immer ein bisschen ungelenk, verspannt und dicklich finde, bewegt sich geschmeidig. Meine dünnen Arme schaufeln kraftvoll, elegant durch die Wellen, ich schwimme weit hinaus, ich werde nicht müde und es ist, als hätte ich nie etwas anderes getan. Es ist nicht so, dass ich sonst ein großer Schwimmer wäre. Ich habe seit zwanzig Jahren kein Hallenbad mehr betreten und der Besuch eines Freibades erscheint mir selbst bei größeren Hitzewellen völlig absurd. Muffelig riechende Baggerseen mit Algenbefall animieren mich höchstens zum Grillen am Uferrand. Nein, für mich muss es schon Meer sein. Jeden Tag schwimme ich eine Stunde und erst am Strand bemerke ich, dass ich nichts gedacht habe, in der letzten Stunde, nur bemerkt. Die mir eigene Gedankenrastlosigkeit ertrinkt, während ich weiter schwimme. Die Geräusche des Wassers hören, das weiche Wippen spüren, das Perlen des Wassers durch meine Hände. Unter Wasser ein Geräusch. Das feine Klirren der Ankerketten im entfernten Fischerhafen, wie dünne Glasstäbe die aneinander schlagen. Und wie das Meer riecht, wie das Meer schmeckt! Kein Koch würzt so verschwenderisch wie das Meer und doch so elegant. Tauchen auch, tief eintauchen in die steigende Kühle, dem verschwommenen Grund entgegen. Ich huste viel zuhause, ich rauche ja auch viel. Im Meer habe ich Luft. Heute brandete das Meer den ganzen Tag schon in hellschaumiger Aufregung. Vom Küchenfenster aus konnte ich sehen, wie sich die Wellen bereits auf dem offenen Meer brachen, eine große Freude erfasste mich. Ja, heute war ein roter Tag! Um mich herum nur Wellenberge, kein Horizont mehr zu sehen, überall Wellen, sehr große Wellen und heute mal nicht nur von vorn, nein auch von links und rechts, dazwischen fließende, saugende Wellentäler mit perlend schäumenden Augen. Na, das ist doch voll mein Ding hier, denke ich noch, überprüfe kurz, ob wenigstens der Strand noch da ist und wende mich beruhigt wieder dem Meer zu. Ich habe Sie nicht kommen sehen. Die Mutterwelle. Es kommen ja immer so vier-fünf Babywellen, dann zwei-drei Halbstarke und dann folgt immer die eine, die Mutterwelle. Diese hier, vor mir, ist so groß wie eine Gartenlaube und so breit wie acht Getränkeautomaten nebeneinander. Eine Wand aus graugrünem Wasser, die Luft ist flüssiges Salz. Ich habe Sie nicht kommen sehen, es ist zu spät. Ich könnte tauchen. Tauchen bei Wellengang ist was für Grün-Schwimmer, ich tue das einzig richtige. Ich stelle mich der Gefahr. Ich springe seitlich auf die Gartenlaubenwand. Eine gute Entscheidung, sofort werde ich aufs Hausdach gezogen, für einen Moment gibt es wieder einen Horizont, sogar mein Po ist jetzt aus dem Wasser! Tolle Sicht. Nur Kurz, plötzlich bin ich im Inneren der Gartenlaube, Hausbesichtigung, ungefähr zwanzig Sekunden, dann spuckt mich die Gischt am Strand aus. Ich gehe ein bisschen unsicher. Ja, gut, ich wanke. Ich ziehe mir die Badehose wieder hoch und kucke mit brennenden Augen den Strand entlang. Ganz verschwommen sehe ich in der Ferne den Bademeister. Er winkt mir. Meint er mich? Neben dem Bademeister ist frisch beflaggt. Rot. Der kann mich mal, denke ich und kehre selbstverständlich sofort zurück ins Meer. Und es erfasst mich ein Gefühl der Freude, ein tiefer Stolz, als ich erkenne, ich bin nicht allein. Alle anderen Kinder bleiben auch noch im Wasser. ... Link Dienstag, 1. August 2006
„...und Manu Chao der Arsch denkt jetzt, ich bin loco oder leicht zu haben!“ Louisa erzählt.
herr paulsen
18:06h
Wenn Louisa kommt, dann hört es das ganze Dorf. Lousia hupt immer schon unten in der Kurve, bremst den Smart abrupt vor der Toreinfahrt ab und statt zu klingeln brüllt sie: „Oooolllaaaaa!“ über den Zaun. Einmal die Woche kommt Louisa und bringt uns neue Requisiten für die Fotoaufnahmen. Sie bekommt ca. 93 Plastikschlabbertaschen voll Geschirr in ihrem Auto unter, wie sie das macht ist ihr Geheimnis, denn Louisa selbst braucht schon mächtig viel Platz im Kleinwagen. Dann folgt die Begrüßung, der ich stets mit Sorge entgegen sehe. „Poalseeen!“, ruft Louisa, breitet ihre mächtigen Arme aus und mein zarter Körper verschwindet für kurze Zeit in Louisas Dekollete, Louisa riecht nach Zitrone, dann gibt es einen dicken Kuss auf jede Wange. Sie schiebt sich die Sonnenbrille in ihre dunklen Locken, verschwindet zur Hälfte wieder im Smart, der ganze Wagen wackelt, Louisa reicht Tüten raus und gibt Kommandos, wie und wohin alles zu bringen sei. „Poalseeen, be carefull or I have to kill you!“ Während Louisa im Studio auspackt, spricht sie ununterbrochen in einem ganz wunderbaren Englisch. Zu jedem ausgesuchten Stück gibt es eine ausgesprochen lange Geschichte, die Arbeit in unserem Fotokloster ruht für Stunden, wir hören andächtig zu. Louisa ist eine dunkle Schönheit, mit hohen Wangenknochen, wachen, braunen Augen und trotz ihres erheblichen Übergewichtes, sieht Louisa klasse aus. Sie schwitzt auch nie, höchstens Zitronenlimo. Sie lacht sehr viel, eigentlich immer, umso überraschter war ich, als sich heute ihre Miene während des Auspackens verfinsterte. „Manu Chao! Mach das aus!“, schimpft sie und jetzt hör ich es auch, aus den Studiolautsprechen bongobongt es leise. Fragend kucke ich Louisa an, die schüttelt theatralisch die Mähne: „Dark remember!“. Jetzt wollen wir es aber genau wissen. Man muss Louisa nicht lange bitten. Vor ein paar Wochen also, da spielte Manu Chao irgendwo in Barcelona ein Geheimkonzert. Geheimkonzerte macht der dauernd, der wohnt ja hier und Geheimkonzert, das sieht dann so aus: 250 Leute in einem Club in den normalerweise 80 Leute reinpassen und vor der Tür stehen dann noch mal 300 Leute und kucken beleidigt. Also so was von supergeheim! Louisas Freund arbeitet bei einem Radiosender und soll da hin, den Herrn Chao interviewen. Louisa geht es nicht so gut an diesem Abend, die Hitze und dann auch noch „Woman-Problem“ also sie ist ein bisschen wackelig auf den Beinen, kommt aber mit. Uiuiui! Schon während des Konzerts muss Louisa sich mal zwischendurch ein bisschen hinlegen, dreht eine Runde um den Block, es wird nicht besser. Manu Chao spielt sich ins Fieber, „Tres hours!“ und Louisa hat schlechte Laune. Aber Job ist Job und Louisa will ihren Süßen nicht allein lassen, bei den ganzen dürren, euphorisierten Weibern da in dem Club. Geht dann auch brav noch mit Backstage, eine Kammer in der sich Leergut stapelt und da sitzt auch Manu Chao auf einer Weinkiste und lächelt freundlich. Irgendwer schiebt Louisa nach vorn, hallo ich bin Manu Chao. Das Letzte woran sich Louisa erinnert, ist die Wollmütze von Manu Chao, „ridiculous and unacceptable, I mean it was so hot!“ dann gibt sie Manu Chao die Hand, die ganze Bude dreht sich und Louisa fällt übergangslos in Ohmacht, die Hand von Manu Chao noch in der ihren. „Best part was, I didn´t hear the laughter.“ Louisa erwacht im Hinterhof des Clubs, ihr Süßer wedelt ihr mit einem Konzertplaner Luft zu. Sie will sofort noch mal rein, was klarstellen, aber ihr Süßer verbietet es. Interview war auch nicht mehr, rein ins Taxi und Heim, das ist Liebe, sagt Louisa und: „Manu Chao der Arsch denkt jetzt ich bin loco oder leicht zu haben!“ Pfffft!, macht Louisa, reißt den nächsten Karton auf und sagt: „Seht mal, was für fantastische Unterdecken ich für Euch gefunden habe! „ ... Link Sonntag, 30. Juli 2006
Albondigas & Königsberger Klopse ( kleines kulinarisches Samstagnachtfieber, Rage Hard-Version)
herr paulsen
12:04h
Castelldefels wurde mir im Vorfeld meines Besuches sehr spannend beschrieben! Neben der Chinesen-Mafia gäbe es dort Unmengen von peruanischen und honduranischen Zuhältern und zusätzlich die Option von grobschlächtigen, besoffenen Briten mal so richtig eins aufs Maul zu bekommen. Klarer Fall, da muss ich hin. Es ist Samstagabend, morgen ist mein freier Tag, der Besuch einer organisierten Amüsiermeile verlockend. Eingehend prüfe ich die zahlreichen Bewerber am Wegesrand, studiere Speisekarten, schiele auf die Teller fremder Menschen, hier und da gelingt ein Blick in offene Küchen. Meine Wahl fällt auf das „Rincón de Lola“, ein Restaurant mit Meerblick (um diese Uhrzeit also schwarze Nacht aus der es rhythmisch rauscht) und einer sehr gut besuchten Terrasse. Spanische Großfamilien mit vielen Kindern, neureiche Yachtenbesitzer und junge Paare, eine gute Mischung von Gästen, ich nehme Platz. Zur Zeit kursiert in der Blogwelt so ein Fragebogen-Stöckchen, darin geht es um Bloggen und wieso, weshalb, warum. Eine Frage lautet: „Warum lesen deine Leser dein Blog?“ Ich habe keine Ahnung, ich hoffe meine Leserinnen und Leser fühlen sich unterhalten. Darum ist es auch meine Pflicht, Sie an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, dass Sie jetzt aufhören können diesen Beitrag zu lesen. Es folgt eine weitere, langatmige Beschreibung eines wirklich desaströsen Abends in einem Spanischen Restaurant, das müssen Sie sich nicht antun. Gehen Sie raus in die Welt, zeugen Sie Kinder, klicken Sie wild in meiner Blogroll rum, aber tun Sie sich das nicht an. Ich muss das schreiben, ich platze sonst, Sie müssen das nicht lesen, es ist langweilig. Zwanzig Minuten ignorieren mich die fünf Kellnerinnen und ich bin sofort etwas angespannt. Schließlich erbarmt man sich meiner, „Si?“ Äh, ein Bier und die Karte bitte. Beides pfeffert die junge Servicefachkraft auf den Tisch, das Bier schwappt über und nässt die Papiertischdecke ein. Ich nehme meinen Arm aus der Lache und bitte um einen Aschenbecher. Augen rollend wirft sie mit das Gewünschte hin. Ich habe es aufgegeben, hier in der Gegend irgendetwas Experimentelles zu bestellen, es geht hier nur noch um Schadenseingrenzung und ich bestelle nur noch Dinge, von denen ich glaube, dass man da am wenigsten falsch machen kann. Muscheln. T-Bone-Steak. Wein. Der Wein ist ein Problem. Nur große Flaschen, keine offenen Weine. Ist mir egal, ich bestelle eine Flasche Rosé, ich ahne, ich werde es brauchen. 11 Euro kostet die Flasche, das sind zwei Gläser Wein in Hamburg, also ab dafür. Den Probeschluck schenkt die junge Frau ins Wasserglas ein. Ist mir egal. Schmeckt ordentlich. Ich fülle selbst um. Muscheln. Mit Sauce, fragt mich die Kellnerin. Ich bin etwas irritiert, natürlich, mit was denn sonst. Tomaten, frage ich, die Kellnerin schüttelt den Kopf und sagt: Sauce. Weißwein, frage ich, die Kellnerin schüttelt den Kopf und sagt: Sauce. Ich gebe auf, ja, Sauce. Hätte ich geschwiegen! Drei Minuten später serviert man mir das ekelhafteste Gericht, das ich je hier aß und ich habe hier schon oft sehr schlecht gegessen. Die Muscheln sind überdeckt mit einem schlammfarbenen Schleim, einer mit Mehl angedickten, graubraunen Rinderbrühe, salzig, fast schon breiig. Das ist so abartig, dass ich beschließe, es muss sich hierbei um eine mir unbekannte, landestypische Zubereitungsart für Muscheln handeln, denn das hier sieht nach Vorsatz aus. Ich versuche mich zu beruhigen und vergleiche meine Situation mit der eines spanischen Gastes, der in Deutschland seine geliebten Albondigas bestellt und mehlschwitzige Königsberger Klopse bekommt. Das T-Bone Steak heißt T-Bone Steak wegen seines t-förmigen Knochens. Das hier auf meinem Teller ist ein furzeliges Mini-Steak unbekannten Zuschnitts, es ist durchgebraten, zäh, trocken und ungewürzt. Wie alles auf dem Teller. Die Paprikaschoten aus dem Ofen sind nicht gehäutet, ich nehme selbst die Zellophan-Haut ab. Die Pommes sind fett-triefende, leichenblasse Stäbe, innen roh. Ich verlange Salz und Pfeffer. Man wirft mir zwei Plastikflaschen mit Streulöchern zu. Das Salz ist verklebt, da kommt nichts raus. Der Pfeffer ist grauer Staub, da kommt aber glücklicherweise auch nichts raus. Es ergreift mich ein mächtiger, unheiliger Zorn. Ich verstehe nicht, wie die Menschen um mich herum diese Scheiße kritiklos in sich hineinfressen können, ich versteh diese ganze katalanische Auffassung von Gastfreundschaft und Kulinarik nicht. Die Kochkunst, die Freude am Essen, am Genuss sind mir heilig, das ist mein Leben, das ist mein Beruf, meine Passion. Hier servieren allerorts unfreundliche, arrogante Hackfressen erbärmliches Essen, ohne Respekt vor dem Produkt, ohne Respekt vor dem Gast. Dieses Land macht aus mir den dauernörgelnden Deutschen, der ich nicht bin, der ich nicht sein will, denn ich bin von Grund auf begeisterungsfähig, ich liebe Superlative und empfehle lieber als zu verreißen. Terminado, fragt die Kellnerin, die Rechnung über 40 Euro hat sie schon in der Hand. Ja. Fertig. Es ist eine dünne Linie zwischen Stolz und Arroganz. Ich bin der festen Überzeugung, dass es, über alle Sprachbarrieren hinweg, möglich ist, seine Identität zu wahren, Traditionen zu pflegen und trotzdem weltoffen und gastfreundlich zu sein. Es sei denn, man hat Minderwertigkeitskomplexe. ... Link Freitag, 28. Juli 2006
Próxima parada: Wahnsinn
herr paulsen
17:05h
Es ist ein Kampf, Mann gegen Natur. Und es gibt nur Verlierer. Für meine Arbeit brauche ich beste Produkte und ich bin es gewohnt, Nahrungsmitteln vor der Kamera ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, ihr Leben zu verlängern. Hier aber gibt es nur Matsch und Gammel, auf den Märkten, in den Shoppingcentern. Ein süßlicher Geruch der Verwesung führt einen in die Gemüseabteilung, aus trüben Augen starren kiemenverschleimte Fische mit ledriger Haut aus dem Eis, nur Fleisch scheint ewig zu leben unter straffen Plastikhauben. Einige Gemüse erwecken im Laden durchaus noch den Eindruck am Leben zu sein, spätestens am Set aber geben sie auf, müde welken die erschöpften Kräuter, Tomaten offenbaren ihre matschige Seite, gestern erbrach eine Melone ihr Innerstes in meine Küche. Es ist sehr schwierig unter diesen Bedingungen Meilensteine der Foodfotografie zu produzieren, wir haben hier ein Problem. Schuld? Ach, was ist schon Schuld, wer ist schon schuld. Tagsüber haben wir hier 38 Grad, Nachts 35 Grad, was soll denn da noch wachsen, wer will denn da noch Kühlketten aufrecht erhalten. Die Lösung unseres Problems liegt im, mittlerweile viel beschriebenen, Örtchen Sitges. Dort unterhält der Gemüsehändler des Teufel einen Laden, unbeeindruckt von den Umständen, gibt es dort alles (allein neun Sorten Tomaten) und alles in bester Qualität. Der Gemüsehändler des Teufels hat sogar so exotische Dinge wie Bachkresse, Zuckerschoten, Feldsalat, während sonst überall nur die lebensnotwendigsten Gemüse (Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln) vergammeln. Und so kommt es, dass ich alle zwei Tage meinen Feierabend in seinem Laden verbringe. Schweigend kassiert der Gemüsehändler des Teufels, die Ware lässt er sich feist grinsend in Gold aufwiegen. Gestern dann, ich stehe gerade an der Kasse, der Gemüsehändler des Teufels packt orangefarbenen Paprika, Rauke, Frisée, Erbsenschoten und zwei Forellen-Birnen in meinen Korb und sagt: „macht acht Kilo Gold“, da beginnt bei mir eine dreistufige Super-Verblüffung. Verblüfft sehe ich zunächst in meinen Geldbeute, er ist leer. Ich bitte den Gemüsehändler des Teufels, die Sachen für mich aufzubewahren, ich hole nur schnell Geld vom Bankomaten. Er lächelt, er weiß, ich komme wieder. Verblüffung Nummer zwei dann auf der Strasse, ich habe auch keine Bankkarten. Hastig öffne ich das Münzenfach, da sind vierzig Cent drin. Verblüffung Nummer drei, als mir dämmert, ich habe nicht mal die 1,30 Euro für die Rückfahrt mit der Bahn. Ich bin pleite in Sitges und habe keine Ahnung, wie ich nachhause kommen soll. Und: ich brauche morgen die Ware! Die Optionen Trampen und Schnorren verwerfe ich. Schwarzfahren! Schwarzfahren geht aber nicht. Da sind so Drehkreuze am Bahnsteig, zusätzlich bewacht von einem griesgrämigen Bahnhofswärter. Der wacht und wechselt notfalls großes Geld, ha ha. Der ältere Herr lässt seufzend die Glasreinflasche sinken, den Fensterlappen faltet er in Zeitlupe zusammen, langsam öffnet er die Fahrertür. Irgendwann fährt er tatsächlich los, er fährt mit 20 km/h durch Sitges. Ich kann das Tachometer von der Rückbank aus genau sehen: 20! Der ältere Herr brummelt dabei unentwegt vor sich hin, manchmal ist kurz eine Melodie zu erkennen, dann wieder brummelt es monoton. Stöhnend lasse ich mich in den Sitz fallen und schließe die Augen. Ich fühle mich wie Feldsalat in einem spanischen Supermarkt. Da! Die Autobahn, er beschleunigt. 30. 40. Jaaaa!...40. Der ältere Herr fährt mit Tempo 40 auf der Autobahn. Ich verliere die Beherrschung über meine Zunge, es bricht aus mir heraus: „Boaaahhh, ein bisschen schneller können Sie jetzt aber schon fahren, meine Güte, Alter, das gibt’s doch alles gar nicht, Kacke!“ Der alte Herr kennt das ja mit dem "Vor sich hin brummeln" von sich selbst und beachtet mich gar nicht. Mir ist, als habe er jetzt tatsächlich ein Liedchen auf den Lippen. 30 Minuten dauert die Fahrt, die sonst in 20 Minuten zu schaffen ist und ich habe Zeit, darüber nachzudenken, warum denn mein Geldbeutel eigentlich leer ist. Mir dämmert was und zwar die eigene Blödheit. Vor zwei Tagen war ich nach der Arbeit am Strand, vorher habe ich alle Karten und das meiste Geld herausgenommen, 5 Euro nahm ich mit, für ein Bier an der Strandbar. Es waren dann wohl doch zwei Bier. Und wenn jetzt irgendein unsympathischer Klugscheißer in den Comments anmerken möchte, ich hätte doch einfach nur fünf Euro mitnehmen und den Geldbeutel zuhause lassen können, dann drohe ich jetzt schon mal mit, mit, mit...Nichtbeachtung. Schweiß gebadet erreichen wir mein bescheidenes Casita, „Momentido!“, rufe ich dem älteren Herrn zu, öffne das Gatter, die Wohnungstür, stürze hinein und bemerke: ich habe keine Ahnung wo ich Geld und Karte vorgestern hin gesteckt habe. Erstmal werfe ich wahllos Hemden, T-Shirts und Hosen in die Luft, das nütz nichts, hilft mir aber beim Denken. Draußen hupt der ältere Herr. Jetzt hat er es eilig. Im Kleiderberg dann tatsächlich die Erkenntnis: Geld und Karte befinden sich in meinem Sakko, dem einzigen Kleidungsstück dass gerade nicht auf dem Fußboden liegt. 18 Euro bezahle ich für die 30 minütige Fahrt. Ja, genau, gut aufgepasst, das gibt es auch für 1,30 Euro und in sechs Minuten, mit der Bahn. Und die fährt, in genau drei Minuten nach Sitges. Ich renne den Berg hinunter zum Bahnhof. In meinem Dorf gibt es weder Drehkreuze noch Bahnhofswärter, alle haben hier Mitleid mit uns, die Flucht aus dem Dorf ist immer gratis. Da es pfeifft, der Zug kommt, alles wird gut! Próxima parada: Sitges. Gerne hätte ich das Gesicht des älteren Herrn gesehen, als ich in Sitges aus dem Bahnhof komme, der ist aber wohl noch eine Weile unterwegs. Der Gemüsehändler des Teufels lächelt wissend als ich die Ware abhole. Nach soviel Ärger, denke ich mir, habe ich mir ein Abendessen verdient. Mit Tüten beladen nehme ich an einem kleinen Tisch vor dem „Cap de la Villa“ platz und bestelle eine Pizza Caprixosa. Zugegebenermaßen, eine der besten Pizzen meines Lebens. Ein fast weißer, knuspriger Teig, hauchdünn, belegt mit Sobrasada, luftgetrocknetem Schinken, fetten Oliven, milden Anchovis und würzigem Büffelmozarella. Ach herrlich, so wurde alles noch gut. Das kann doch nicht sein, dass alles noch gut wurde? Plötzlich fällt etwas in mein Weinglas. Und noch was und noch was und auch auf die Pizza fällt was, es fällt was, was es eigentlich gar nicht geben darf, nicht geben kann hier, nicht jetzt jedenfalls, es fällt Regen. Es regnet. Es regnet in mein Abendessen. ... Link Montag, 24. Juli 2006
Muschelkaugummi, Ingo Oschmann & ein spätes Glück
herr paulsen
23:39h
Mpffh, macht der Kellner. Baby-squit, sage ich. Ich spreche nicht mehr Spanisch, für wenn denn. Mpffh, macht der Kellner. Ja, sage ich, und die Muscheln und ein Bier. Ich sitze vor dem Chiringuito, einer blau-weiß gestrichenen Hütte auf der Promenade von Sitges. Morgen beginnt die Arbeit und die Einheimischen rieten mir zum Kauf eines Sonnenhutes. Den habe ich gerade gekauft und jetzt plagt mich ein Hüngerchen. Zwei Minuten nach Bestellung steht das Bestellte vor mir. Die Muscheln betrachte ich lange. Mutter hat immer gesagt, Muscheln gehen gar nicht, da bekommt man Gelbsucht von. War ja eine andere Generation. In der Lehre habe ich gelernt, Muscheln gehen wohl, aber nur in Monaten die mit r enden. Jetzt ist Juli, aber die netten spanischen Studenten neben mir saßen bei meiner Ankunft zwischen animierenden Muschelschalenbergen und waren eher braun gebrannt als gelb gekränkt. Ich starre auf den Muschelteller. Mutter muss keine Angst haben. Die Muscheln wurden schon morgens gekocht und gerade eben noch mal in der Mikrowelle erhitzt. Da lebt nix mehr. Doch, da, es bewegt sich was! Zwischen den zähen Muschelkaugummis sitzen drei schillernde Scheißhausfliegen und saugen an den Bärten der ungeputzten Meerestiere. Endlich! Nicht mehr alleine essen, ich sitze an einem Vierertisch. Mir ist sofort sehr schlecht (Gelbsucht?) und ich schiebe die Muscheln weg. Trotzdem gut, dass ich die Muscheln bestellt habe, sie dienen als fesselnde Freizeitbeschäftigung für die Fliegen und die frittierten Baby-Calamares gehören mir allein. Ich kann so nicht arbeiten. Außerdem fährt die Bahn in mein Geisterdorf erst in einer Stunde. Ich kehre im La Croqueta ein, mitten auf dem Kiez von Sitges, von dort hat man eine sehr gute Sicht. Im loungigen Laden mit 70er-Tapeten in Orange entdecke ich belegte Schnittchen. Tapas-Schnittchen, oder so. Sieht alles wahnsinnig gut aus. Die Bedienung begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln und vor Schreck versuche ich gleich wieder Spanisch zu sprechen. Ich bestelle ein Bier und deute mit den Fingern auf die Köstlichkeiten hinter den blank geputzten Büffet-Fenstern. Das und das und das. Die Bedienung lächelt mich über die Bar hin wieder ganz bezaubernd an und reicht mir einen Teller mit einer Minikrokette. Danke sage ich, koste die Krokette und male ausladende Zeichen äußerster Zufriedenheit in die Luft. Ich hätte aber lieber: das und das und das. Die Bedienung hält mir immer noch den Teller hin und ich begreife. Laaangsssaammm. Die Bedienung bestärkt mich in meinem Findungsprozess und gibt wichtige Hinweise. Mit ihrer Hand fährt sie zwischen den Schnittchen, der Bar und meinem Bauchnabel hin und her. Ha! Die Fenster sind gar nicht blank geputzt, da sind gar keine Fenster. Wir lachen gemeinsam ein bisschen blöd rum, dann greife ich zu. Auf einem kross gerösteten Brot liegen zwei winzige, scharfe Paprikawürste mit geschmorter, grüner Paprika. Perfekt. Der zweite Happen ist aus ungeröstetem Toast, bestrichen mit Ziegenfrischkäse, darauf zwei hauchdünne Scheiben gepfefferter, luftgetrockneter Speck, das ganze mit feinen Gänseleberhobeln bestreut. Das ist das Beste was ich in den letzten Monaten gegessen habe, ein großes Glück in einer kleinen Portion. Drittens folgt ein Mini-Burger aus Kalbfleisch, mit geschmorter Tomate und einem perfekt gegarten Wachtelei-Spiegelei. Wo bin ich? Ich genieße und habe ein bisschen Angst vor der Rechnung. In Hamburg würde man für diesen Teller so um die 18 Euro zahlen, in München 26 Euro. Wat mut dat mut, die Rechnung bitte. Diese kommt auf einem Teller mit Serviette und beigelegter Visitenkarte der kleinen Bar. Ich hebe die Rechnung hoch und kucke wahrscheinlich wirklich saublöd. 5,65 Euro. Noch blöder habe ich dann nur später noch mal gekuckt, als ich raus fand, dass die Bar zu einer Kette gehört. ... Link Sonntag, 23. Juli 2006
El quiosco regresar con Radio Malanga
herr paulsen
11:38h
El quiosco ist zurück. Erneut treffen sich für vier Wochen die Freunde des europäischen Gedankens unter katalanischer Sonne: ein deutsches Team, das in Spanien Kochbücher für den englischsprachigen Raum produziert. Dabei hören wir natürlich Globalisierungsgegner-Musik. Radio Malanga zum Beispiel. Ehrlich gesagt höre ich schon seit Wochen ausschließlich Radio Malanga, aus Barcelona, dem kreativen Zentrum der spanischen Musiklandschaft. Diese Band hat mit ihrem Debutalbum „Yoff Tongor“ einen Meilenstein im barcelonesischen Soundkosmos geschaffen. Die Zutaten sind typisch für die Musik dieser Stadt: Latin trifft auf Reggae, Funk, Electro und Hip-Hop und aus der eleganten Verknüpfung von Tradition und Moderne entstehen eigenständige Musikstile, die „música bastarda“ und der politisch geprägte „Mestizo“. Radio Malanga setzen den Schwerpunkt auf Funk und Jazz (Pa´la Playa, Acerefunky), kombiniert mit geschmeidigestem Rap, an mancher Stelle wähnt man gar den entspannten MC Solaar zurück (Tallat). Ein paar dicke Reggaestücke finden sich auch (Charito Va, Vacilalo), ein entspanntes Brasil-Instrumental (Ta Luego) und, kein Scherz, eine umwerfende, osteuropäisch angehauchte Polka mit spanischem Gesang (El Culebrón). Unbedingt lohnt die Anschaffung der Erstausgabe mit Video und Bonustracks, darunter die zwei schönsten Songs des Albums: „La Vida te da y te quita“ (die Sängerin ist starke Raucherin und das ist prima) und die derzeit offizielle Barcelona-Hymne, die funky Liebeserklärung „Barceloneta“. Radio Malanga haben ein sehr europäisches, sehr eingängiges Album geschaffen und das ist in diesem Fall durchaus positiv zu verstehen. Ideal für Einsteiger in die Welt des Mestizo, ein Sommerfest das nicht überfordert, sondern mit Lichtgeschwindigkeit glücklich macht. http://www.radiomalanga.com/ ... Link Mittwoch, 12. Juli 2006
Der Stint erscheint und der Fischmensch fährt nach Bremen
herr paulsen
08:05h
Die Literaturzeitschrift STINT ist soeben erschienen, Thema der 36. Ausgabe: Tiere. Erfreulicher Weise haben die Herausgeber meinen Text "Ich bin der Fischmensch" mit ins Buch genommen (der STINT erscheint in Buchform) und als wäre das noch nicht genug der Ehre, bin auch ich zur Premiere-Lesung nach Bremen eingeladen. Zusammen mit anderen Autoren dieser Ausgabe lese ich am kommenden Samstag, 15. Juli 2006, 20:00 Uhr Wenn also Bremer Blogger Lust hätten, dort mit mir ein-drei Nervositäts-Bierchen zu trinken, tät ich mich freuen. Alle Autoren, Infos zu STINT unter: http://www.stint.de/ ... Link ... Nächste Seite
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