Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 28. August 2006
Herr Paulsen geht aus: Kurzschlafphasen-Kampf mit Massive Attack


Schlafsaal mit Nachtbeleuchtung

Drei offenbar wohnungslose Herren mit Alkoholproblem haben es sich mit mehreren Paletten Bier auf dem Bürgersteig vor der Kiez-Tankstelle gemütlich gemacht und beobachten argwöhnische den dunklen Nightliner, der nur mühsam die Kurve kriegt. Der üppig tätowierte Busfahrer kurbelt schwitzend und gerade als er fasst die Biervorräte der wankenden Herrschaften auf dem Trottoire touchiert, beugt sich ein Rotnasiger nach vorn und brüllt durch das geöffnete Fahrerfenster die Bandmitglieder von Massive Attack an: „Heeee, habt Ihr kein Zuhauseee!“

Auch kein Zuhause scheinen die Massen in der Halle des ausverkauften D-Clubs zu haben. Anfang März hatte ich mich glücklicherweise durch einen Schneesturm zum Massive Attack-Sondervorverkauf ins Docks gequält. Es sollte dann nur noch sechs Monate dauern, bis das Konzert tatsächlich ausverkauft war. Und Docks heißt jetzt D-Club, sonst ändert sich nichts. Auch nicht die regelmäßig statt findende Klima-Katastrophe in der Halle. „ Oh, Gott ein Alte-Leute-Konzert!“ flüstert die Liebste und tatsächlich, die Jahrgänge 1969-1975 haben sich bei tropischen Temperaturen eingefunden, geschmackssichere Musik zu hören und mich wundert, mit wem ich alles Jahrgang und Musikvorlieben teile. Eine Stunde warten wir bei 40 Grad und überall entzünden sich kleine, aggressive Zornesfeuer, es geht um die Platzwahl, Rauchverbote, um Körpergrößen, lasst doch mal das Kind nach vorn. Die Stimmung im Saal ist, ich sag mal, unschön.

Da! Gleißendes Licht von der Bühne, ich erblinde sofort und das bleibt den ganzen Abend so. Nur schemenhaft ist die Band zu erkennen, das macht aber nichts, angesichts der Tatsache das Massive Attack in den Neunzigern Konzerte komplett hinter einem schwarzen Vorhang spielten. Opa Paulsen weiß zu berichten, dass damals gegen Ende eines Konzertes, ein Arm durch den Vorhang winkte, man munkelte, es sei der Arm von Tricky gewesen, frenetischer Applaus für einen Arm.

Tricky ist nicht da, vorne stehen Grant Marshall und Robert Del Naja und nuscheln wechselweise in die Mikrophone, die Backingband schüttelt einen monotonen Soundteppich aus, der Bass scheppert. In meinem Auto habe ich eine Anlage die verwandelt ab Lautstärke 9 alle Basswellen in Furzgeräuschen. Der Mischermann vom D-Club hat genau diese Anlage und spielt Lautstärke 12.
Mir brennen die Augen. Ich schließe die Augen und beobachte die Schweißtröpfchen, die zwischen hartem Jeansstoff und heißer Haut an meinen Beinen hinab rinnen. Erstmal in Fahrt, stoppen die Schweißtröpfchen an feinen Beinhaaren, als überlegten sie kurz, schlagen dann eine galante Kurve ein und rinnen weiter. Im Nacken bilden sich auch Schweißtröpfchen. Formel1-Schweißströpfchen, die mir in rasanter Fahrt den Buckel runter rutschen. Massive Attack spielen dazu. Pling.pling.dtsch.dtsch.pfrrr.pffrr. Furzgeräusche. Blut spült unter meiner erhitzten Haut, ich lebe noch, doch der Schlaf greift nach mir, Blood makes noise, ich lausche, bin weit weg und so müde, alles wird ganz schwer, ich möchte....“Alles in Ordnung, geht’s Dir gut?“ Die Liebste sorgt sich seitlich, ich kann nur schwer sprechen, die Augen immer noch geschlossen antworte ich: „Mir ist so langweilig.“ „Na dann lauf doch ein bisschen rum!“, rät die Liebste mütterlich und ich muss sehr lachen.

Tricky ist nicht da, Shara Nelson ist nicht da, Nicolette fehlt, Liz Frazer, Sara Jay, Tracy Thorn, keiner da. Das habe ich auch nicht ernsthaft erwartet, aber als sich die Band langsam in den Hit-Block spielt, fällt auf, wie stark diese großartigen Vocalisten den Sound von Massive Attack geprägt haben. Die weiblichen Stimmen werden allesamt von einer sympathischen Dame vertreten, deren Name ich nicht verstanden habe und deren Interpretation der Songs ungefähr so wirkt, als habe man im Restaurant Pasta mit frischen Trüffeln bestellt (und auch bezahlt) und bekommt statt dessen Meggle-Kräuterbutter serviert. Ich bin genervt. Menschen riechen ja auch bei solchen Temperaturen oft nachteilig. Jetzt kifft mir auch noch jemand in den schwitzigen Nacken. Dauernd berühren mich fremde, nasse Arme. Ich möchte bitte jetzt gehen. Da kommt Horace Andy.

Horace Andy ist für Reggae-Heads eine Legende und es ist einer der größten Verdienste von Massive Attack, ihn Anfang der Neunziger als Gastsänger gebucht und damit einem großen Publikum abseits des Reggaes bekannt gemacht zu haben. Wenn Sie keine Karten mehr für dieses Konzert bekommen haben, nehmen Sie die gesparten 34 Euro und kaufen sie sich davon Horace Andy Platten. Meine Schweißperlen kämpfen jetzt auch mit einer Ganzkörpergänsehaut. Horace Andys unverwechselbare Stimme schafft selbst den Mischermann und alles versinkt in dankbaren, frenetischen Jubel bevor Massive Attack wieder beginnen endlose Soundwälle zu bauen. Also ich geh jetzt. Die Liebste nickt bejahend, wir kämpfen uns durch, beflucht und angepöbelt von schlecht gelaunten Besuchern, erreichen mit letzter Kraft den Club der Enttäuschten im Foyer. Über lauwarmem Bier werden hier fassungslos Köpfe geschüttelt.

„ Das ist Musik zum alleine hören, zum zuhause hören.“ stellt die Liebste fest und da hat sie wohl Recht. Denn eigentlich sind Massive Attack Gott. Gott sei Dank haben wir ein Zuhause. Als wir den D-Club verlassen, hören wir die ersten Töne von „Unfinished Sympathy“. So ist es.

......................................Links zum Thema:

Massive Attack:
http://www.massiveattack.com/

Horace Andy:
http://people.freenet.de/coolascandy/
http://www.roots-archives.com/artist/48
http://www.reggae-reviews.com/horaceandy.html

... Link


Donnerstag, 24. August 2006
The Return of the Schwiegermütterliebling (Poets on the beach)

Zweimal schon schrieb die „Die Zeit“ über mich. Einmal sogar mit Foto. Auf dem Foto sieht man einen jungen Mann mit Ziegenbart (Achtung, Grunge!) der, semi-lustig und auch nicht mehr ganz nüchtern, in die Kamera des „Zeit“-Fotografen schmunzelt. Die Bildunterschrift, die ich abgeschnitten habe, denn da steht mein richtiger Name, lautet:
„S. aus R. mißfielen die Frauen: “Alles Bulimie-Modelle“.“ So feierte ich also 1994 meinen Einstand bei der „Zeit“ mit einer frühen Kritik an Schönheitswahn und falscher Zurückhaltung beim Essen. Um meinen Hals hängt eine eingeschweißte Karte, die mich als Gast der MTV Music Awards in Berlin auszeichnet. Die hatte ich in einem Preisausschreiben gewonnen. Zusammen mit 200 anderen, glücklichen Preisausschreibengewinnern, verbrachte ich damals den Abend im so genannten Jubelgraben, direkt vor der Bühne. Die Veranstalter hatten uns in einem Vorgespräch dazu aufgefordert, während der Übertragung emsig zu klatschen und entfesselte Begeisterung für alle Künstler darzustellen. Damit uns während unserer Mission nicht die Puste ausging, wurden wir alle mit einem Lunchpaket ausgestattet, dessen Inhalt irgendwo zwischen Schulausflug und Vatertagsbesäufnis lag: ein Ballisto-Riegel, ein Apfel, eine Mini-Flasche Tequila. Von Letzterem warfen uns die Ordner in regelmäßigen Abständen Nachschub in den Graben. Als wir spontan eine größere Gruppe bildeten, die lautstark die Moderation von Gastgeber Tom Jones vom Teleprompter an der Hallendecke ablas, immer zehn Sekunden schneller als Tom Jones, wurden die Lieferungen eingestellt und es gab eine Abmahnung. Ansonsten war es sehr langweilig im Jubelgraben. Auf der Bühne gefiel Björk, die in einem gigantischen Ballon-Reifrock auftrat und mir mehrfach zulächelte. Sehr schlecht benahm sich die Keyboarderin von Prince, die während eines spontanen Stagedives, einen von uns mit ihren Stilettos derart verletzte, dass der Unglückliche den Rest der Verleihung im Krankenhaus verfolgen musste. Einäugig. Viel spannender ging es hinter unserem Rücken zu. In der ersten Reihe, die Beine auf unserer Kopfhöhe, saßen Nadja Auermann, Helena Christensen und Linda Evangelista und ignorierten uns. Lediglich ihr Begleiter, Jean Paul Gaultier, langweilte sich ebenfalls, ließ sich irgendwann nach vorne fallen und sprach bäuchlings liegend mit einer Gruppe euphorisierter HfBK-Stundenten. Guter Mann! Leider gab ich dann der „Zeit“ mein erstes Interview.

Elf Jahre später war ich der „Zeit“ wieder einen Satz wert. Mit fünf anderen Autoren las ich 2005 beim sommerlichen „Poets on the beach“, an der Strandperle in Hamburg. Im Sand saß auch eine Journalistin der „Zeit“, der die ganze Veranstaltung wohl nicht so gut gefiel, am darauf folgenden Donnerstag erschien ein lieblos zusammengeschusterter Veriss der Lesung. Über mich war zu lesen: „...harmlose Geschichten...deren Autor Herr Paulsen jeden Beach-Wettbewerb als sympathischst schwäbelnder Schwiegersohn gewinnen dürfte.“
Ein Skandal! Wie konnte die Wochenzeitung unsere lange Freundschaft derart mit Füßen treten? Dünnhäutig war ich zu jener Zeit und ich schwor, vor Zeugen, nie mehr bei einer Lesung aufzutreten. Wie konsequent ich meinen Vorsatz im vergangen und in diesem Jahr umsetzte, davon zeugen zahlreiche Auftritte bei Lesungen. Bliebe noch „Poets on the beach“! Am kommenden Sonntag ist es wieder soweit und da die Veranstalter um mein Trauma wissen, bin ich vorsichtshalber als „Überraschungsgast“ angekündigt. Na und natürlich gehe ich hin. Im Gepäck habe ich zwei brandneue, harmlose Geschichten, die ich mit gewohnt sympathisch schwäbelnder Stimme vortragen werde. Bringen Sie ihre Schwiegermütter mit und sichern Sie sich die besten Plätze im Jubelgraben!

Poets on the beach
Sonntag, 27.08.2006
18.00 Uhr
mit Dierk Hagedorn, Hartmut Pospiech, Alexander Posch und zwei Überraschungsgästen; Moderation: Friederike Moldenhauer
Elbstrand Oevelgönne
Höhe Schulberg, neben der Strandperle
Eintritt frei
Die Veranstaltung findet leider bei jedem Wetter statt.

... Link


Freitag, 18. August 2006
Bilanz

So, ich mach mir jetzt mal schön eine Flasche Cava auf. Juvé y Camps, Reserva de la Familia, Cosecha 2002, Brut Nature, Flaschen-Nummer: 71432. Ja, ich weiß, es ist hellichter Nachmittag, aber ich habe hier fertig!

Poff.

In 27 Tagen habe ich 187 Rezepte gekocht. Insgesamt haben wir in diesem Zeitraum 235 Bilder fotografiert. Ich bin dafür 18 mal um 5:30 Uhr aufgestanden und weiß jetzt, dass ich mich niemals daran gewöhnen werde. Manchmal wäre ich gerne ein Teppich.

Im Dorf verehrt man mich jetzt als Regen-Gott. Denn während meines Aufenthaltes regnete es insgesamt 46 Stunden und daraus resultierte die Wassermenge, die hier sonst während des gesamten Sommers, in sechs Monaten, nieder geht. Die 157 Dorfbewohner erklären sich das mit meiner Anwesenheit. Da haben sie Recht, siehe die Kurzurlaube 2002 und 2004.

Ich war 21 mal in Sitges, 1 mal in Castelldefels und 1 mal in Barcelona. In Barcelona habe ich mir eine Jacke gekauft, es regnete. Ich habe bei meinen abendlichen Ausflügen 19 mal in Restaurants gegessen. Davon 11 mal sehr schlecht, 5 mal ordentlich, 2 mal gut und 1 mal sehr gut, also einmalig gut. Bruha. Ich bin davon 2 mal unmittelbar erkrankt und hatte 4 mal Mordgedanken in denen Servicefachkräfte und Köche eine wichtige Rolle spielten.

Ich habe pro Tag im Schnitt 45 Minuten in der Blogwelt verbracht. Dabei habe ich festgestellt, dass die Blogwelt, auf Montage, zu einem Stück Heimat wird. Tröstliches Lesefutter für den einsamen Gastarbeiter. Danke. In dieser Zeit selbst 10 Blogeinträge im Quiosco veröffentlicht. Die Liebste fasste 8 dieser 10 Beiträge mit folgenden Worten zusammen: „Kannst Du auch mal wieder über was anderes schreiben als über schlechtes Essen und Weltmusik?“ Ich hoffe.
Apropos Weltmusik. Diese schicken Mestizio-Bands, die ich im Kiosk ab und zu empfehle, die hört hier kein Mensch. Nur Schnulzen & Disco, das ist der Wahrheit.

Ich habe im Schnitt 20 Mails pro Tag erhalten. 270 mal wollte die Volksbank meine Kontodaten, dabei bin ich gar nicht bei der Volksbank. Insgesamt 35 mal wies man mich daraufhin, dass meine Nachbarin sich nackt und tabulos im Internet präsentiert. Verleumdung! Frau Wattenmang ist eine freundliche, unbescholtene Rentnerin, die oft für uns die Post entgegen nimmt und die Liebste neulich im Treppenhaus mit der Nachfrage überraschte, ich ginge ja sowieso nur sehr unregelmäßig zur Arbeit und jetzt sei ich ganz verschwunden, ob den alles in Ordnung sei? So rührend wie fürsorglich!

Mein Spanisch hat sich sehr verbessert. Ich kann 4 neue Sätze:

Creo que aquí hay un error.
Que mal tiempo hace hoy!
Donde está el socorrista?
La comida está fria y salada.

Jetzt noch 1 mal schlafen und dann können die mich hier alle mindestens 2-3 mal am...äh...dann schließt El Quiosco erstmal wieder und der Kiosk kehrt zurück. Ich mach 3 Kreuze. Prost!

... Link


Sonntag, 13. August 2006
Das Küchenwunder von Sitges, plötzlicher Wintereinbruch & warum wir Montag tanzen gehen.

Es regnet. Ein glitzernder Teppich aus Wasser fließt gurgelnd die abschüssigen Strassen hinunter, zurück ins Meer. Hinter den großen Fenstern sitzen wir, warm und weich auf rotem Leder, unter einem Kronleuchter aus Glühlampen an metallenen Duschschläuchen. Die Stimme von Horace Andy wispert durch die Blätter der Speisekarte, die feinen Loops von Massive Attack wehen durch leere Weingläser, das passt, wir sitzen im „Mezzanine“. Unser Kellner sieht aus wie ein in Würde gealterter Tim Curry, Frank-N-Furter trägt das ergraute Haar kurz geschnitten, einladend zeigt er ins Restaurant, natürlich hat er noch einen Tisch für Brad und Janet, nicht reserviert, kein Problem, er lächelt: „jetzt noch nicht.“

Es ist 21 Uhr, außer unserem ist nur ein großer Tisch belegt, mehrere attraktive Frauen mit vielen, gut gelaunten Kindern und am Kopf der Tafel ein König der das Leben liebt. Tim Curry bringt den Wein, sein Kollege nimmt die Menü-Wünsche entgegen. Die Karte ist viersprachig, ich bestelle auf Catalan, weil es so schön klingt. Auch auf Französisch klänge es sehr verheißungsvoll, nur auf Englisch klingen alle Speisen, als bestelle man in einer Pommesbude. Arme Engländer. Es tauchen Fragen auf, bezüglich der Bestellung und schon ist Schluss mit Sprachwunder Paulsen, „do you speak english?“, fragt der Kellner und ich nicke dankbar. Die Blutwurst-Tarte mit karamellisierten Äpfeln und einem Mille-Feuille von hauchdünnen, rohen Birnenscheiben mit Gänseleber beendet auf spektakuläre Art die wochenlange, kulinarische Finsternis. Ob es geschmeckt habe, fragt Tim Curry siegessicher lächelnd, er weiß, dass hier ein Küchenwunder passiert. Der Rindertatar ist fein gewürzt, die Pommes Frites dünn und kross. Die Scheiben von der Lammkeule schmelzen in einer kräftigen Rosmarin-Jus, begleitet von einem tadelosen, cremigen Kartoffelgratin der alten Schule.

Es wird viel geküsst im Mezzanine, euphorisch begrüßt Tim Curry seine Gäste. Das Restaurant füllt sich mit Gruppen und Paaren, allesamt gut gekleidete, äußerst gepflegten Männer mit muskulösen Körpern, die kaum reinpassen in die feinen Stoffe, die mehr zeigen als verhüllen. Irgendwann ist auch die Empore gefüllt, ich zähle nach, 48 Sitzplätze und zwei Kellner. Leicht, fast tänzelnde fließt der Service, keine Hektik, freundlich, zügig und entspannt umsorgen die beiden Ihre Gäste. Es ist immer schön, Menschen zuzusehen, die Spaß bei der Arbeit haben. Am Nebentisch wird ein kleiner Kuchen mit Geburtstagskerze aufgetragen, der König und sein Hofstaat singen einem sichtlich verzweifelten Teenager ein Geburtstagsständchen. Das Mädchen möchte am Liebsten verschwinden unter dem Tisch, so läuft das aber nicht, nicht im Mezzanine. Kaum ist die letzte Strophe gesungen, brandet im ganzen Lokal, zeitgleich und unabgesprochen, tosender Applaus auf. Gänsehaut und was für eine schöne Geschichte hat das Mädchen später mal zu erzählen, von ihrem vierzehnten Geburtstag, den sie in Sitges erlebte, klatschend gefeiert von nahezu vierzig begeisterten Schwulen außer Rand und Band.

Das Dessert ist göttlich, der luftige Schneeball aus Frischkäsemousse auf Erdbeerpürree, ebenso die gut gekühlte, zartbittere, zart-schmelzenden Schokoladen-Terrine auf Vanillecreme. „Schreib das auf, das bist du deinen Lesern schuldig“, sagt die Liebste, anspielende auf die zahllosen kulinarischen Klageschriften mit denen ich meinen Blog in den letzten Wochen bewölkte. Außerdem muss ich der Liebsten jetzt jedes Mal einen Euro zahlen, wenn ich über die kulinarische Ödnis Kataloniens wehklage. Heute macht sie keinen Pfennig!

Tim Curry vertröstet zwei glatzköpfige Briten mit Wodka-Lemon und der Aussicht auf einen baldigst freien Tisch, da helfen wir doch gerne. Kaffee noch und einen Digestif, ob denn „Apple“ gut wäre? Ja, ein Apfelbrand, das wäre was, denke ich und nicke kräftig. Es kommt dann etwas Klares, was schmeckt wie „Berentzen-knackiger Spaß im Glas“, oder zumindest stelle ich mir das so vor. Macht ja nix, rein damit und auf Wiedersehen. Ganz sicher. Die Briten halten vorfreudig Händchen und Tim Curry winkt uns freundlich nach.

Im Taxi durch die regengraue Nacht, helter-skelter auf der Küstenstrasse, da leuchtet es schon von Weitem, ganz fremd und viel heller also sonst, mein kleines Dörfchen. Fiesta Major, das große Dorffest beginnt heute. Vor Tagen schon konnte man eine Eintrittskarte für das große Essen auf dem Bahnhofsvorplatz bestellen, ich verzichtete, die Zweisamkeit mit der Liebsten im Sinn und siehe da, es war keine schlechte Entscheidung. Unter grellem Flutlicht sitzen die Dorfbewohner an langen, feuchten Holztischen, von regenschweren Party-Girlanden tropft es in gemischte Salate die in Aluschalen schwimmen. Stimmung? Super! Ein Meer von Coca Cola Plastikbechern wird beständig gefüllt mit Wein, Bier, Cava und leichtem Sprühregen, ein wunderbarer Fatalismus und viel Alkohol hat die Gutwetter-verwöhnten Dorfbewohner ausharren lassen, denn gleich kommt die Band! Erstmal aber gibt es eine Tomboal auf der großen Bühne. Per Flüstertüte werden die glücklichen Gewinner ausgerufen, emsig beklatscht von der weinseligen Dorfjugend, nehmen sie noch mehr Wein als Gewinn entgegen. Den Hauptpreis, ein luftgetrocknetes Bein vom Schwein hat der Ortsvorsteher gewonnen, wieder wird geklatscht, man muss auch gönnen können. Dann baut endlich die Band auf. Stundenlang, wie uns scheint, Nässe und Kälte kriecht uns durch die luftige Sommerkleidung, es ist Winter geworden und wir frieren bei 20 Grad im feinen Sprühregen. Wir geben auf, das letzte Bier nehme ich als Wegzehrung mit hinauf in unsere Casita.

Und dort hatten wir dann doch noch was von der Band. Die fangen nämlich hier spät an, hören dafür aber nicht mehr auf. Bis um 6 Uhr in der Früh waberten die Bässe den Berg hinauf, krochen durch den Spalt der leicht geöffneten Verandatür, schlüpften unters feine Laken und kitzelten uns in den Ohren.
Heute ist Ruhetag. Kirche und so. Für Montagnacht hat sich dann allerdings ein DJ auf dem Dorfplatz angekündigt, der legt gerne mal bis 9:00 Uhr auf, hat man mir erzählt und Dienstag ist ja dann auch Feiertag. Wir werden vorschlafen. Die sollen uns kennen lernen!

... Link


Dienstag, 8. August 2006
Verliebt am Strand. (Still crazy after all this years)

„Boah, Alta, ick dreh durch, jetz kiek doch ma, nee wat ne Pracht, Hamma, dit jibts doch garnich!“ Opa Paulsen geiert von seiner Zehn-Euro-die Stunde-Strandliege („brauch ich für mein Rücken!“) der Damenwelt nach. Was ihn gerade derart in Verzückung versetzt, dass er sogar berlinert, sind drei sonnengebräunte, barbusige Spanierinnen auf dem Weg zur Strandbar. Wenn es bei Opa Paulsen so ein bisschen anzüglich wird, berlinert er. Keine Ahnung warum. Vor geschätzten tausend Jahren lebte er mal ne zeitlang in Berlin, war nicht seine beste Zeit, sagt er selber, aber wenn es so knickknackzickzacknasiewissenschon wird, berlinert Opa Paulsen. Meistens auch noch falsch. Er nervt.
„ Die sind doch gemacht! Dit is doch niemals die Natur! Paulsen, jetz kiek doch ma, dit is doch nicht echt! Ich sach ma, zwanzig Euro, dat die nich echt sind.“
„Ist mal gut jetzt Opa Paulsen, ich möchte gerne lesen.“, sage ich möglichst bestimmt. „Aaach! Der feine Herr will lesen! Vielleicht nachher noch mal ein bisschen bekloppt durch die Wellen hüpfen bei Rot? Jedem das seine, sag ich immer, ich genieße jetzt jedenfalls noch ein bisschen die Aussicht!“, mault Opa Paulsen und schiebt die blickdichte Sonnenbrille in Position. Ich möchte wirklich lesen. Das vorletzte Buch von Gunter Gerlach (der Mann schreibt schnelle als ich lesen kann), „Ich bin nicht“, wie immer sensationell geschrieben, aber ich verstehe das Buch nicht, die Handlung ist mir irgendwann abhanden gekommen und außerdem quatscht Opa Paulsen ständig rein. Jetzt schon wieder: „Hach, Kinners, war dat herrlich früher, an jedem Strand ne Braut!“.

Da hat er Recht, der Opa Paulsen, ich erinnere mich auch. Im zarten Geflecht pubertärer Knospen verhakt, wurde sich erstmalig und ausschließlich, dafür vehement im Urlaub verliebt. Meine erste Strandbekanntschaft mit verbundener Liebeswallung war Melanie aus Wien. Ich war so fast schon Zwölf, sie war Dreizehn, schwarze Haare, dunkle Augen, volle Lippen, bereits angemalt. So was gab es nicht auf unserer Schule und die korsische Sonne wurde Zeuge meines erfolglosen Werbens. Zum Entsetzen meiner Eltern sprach ich auch drei Wochen nach dem Urlaub noch mit Wiener Akzent und es gab sogar Post aus Wien. Mit Foto! Melanie auf einem Pferd unter einem Schild, auf dem stand: Reiterhof. Melanie war unscharf und trug eine Reiterhaube, wie sie der behinderte Bruder meines Freundes Thomas trug, wegen der spastischen Anfälle, damit er sich nicht den Kopf anhaut, sein Bruder. Ich wurde wankelmütig.

Später erinnere ich noch Katja. Auf der evangelischen Jugendfreizeit in Frankreich. Ich war da mit meinem Freund Achim. Achim und ich hörten ausschließlich „The Cure“ und trugen, unheilbar, Wallendes zu Wallendem. Katja fand das toll und es gehörten uns am letzten Abend der Jugendfreizeit alle Sterne am Himmel und die ganze Nacht, die wir glückselig schweigend auf der Treppe der Jugendherberge verbrachten. Wir waren nicht müde, wir waren verliebt. Der erste Kuss im Morgenrot und Schlafen erst im Bus nachhause. Dabei lief Katja ein Speichelfaden aus dem leicht geöffneten Mund. Das sah so toll aus! Aber: Fernbeziehung, 35 Kilometer trennten uns, einmal fuhr mich aus großem Mitleid noch der Zivi der Kirchengemeinde zu ihr und wartete drei Stunden in einem Café, während wir bei ihr zuhause redeten. Tatsächlich nur das. Zweimal hab ich noch den Zug genommen, doch wir entfremdeten uns. Die Distanz war einfach zu groß.

An die folgenden Urlaubs-Verliebtheiten erinnere ich mich nicht mehr. Keine Gesichter. Keine Namen. Plötzlich alt genug, sich auch zuhause unglücklich zu verlieben.

„So jetz ma schön noch ein Bierchen, auch noch eins Paulsen?“, ich nicke matt, Hauptsache der Alte ist mal drei Minuten weg. Ich sehe in an der Bar stehen, die kalkweißen Stelzen leuchten aus seiner knappen Badehose, „dit is ein Frauenmagnet-Teil!“. Ich kucke ins Buch. Worte. Opa Paulsen ist zurück, drückt mir eine eiskalte Dose in die Hand: „ Macht zwei Euro, Kollege, so und jetzt los, ex und hopp, worauf wartest du eigentlich?“

Ich warte auf sie. In drei Tagen kommt die Liebste. Seit ich das weiß, hat sich das Dorf verändert. Schöner ist es geworden, größer, prächtig. Und ich freue mich darauf, wie ein Entdecker, der Liebsten alles zu zeigen, mit ihr zum Strand zu gehen, verliebt zu sein in sie, an meinem Strand. Natürlich habe ich keine Ahnung wohin ich die Liebste Abends zum Essen ausführen soll, das spielt aber auch keine Rolle mehr. Weil wir zusammen Essen gehen.

„Das mit der Musik, das sollten die aber auch mal sein lassen, oder sich kompetente Beratung suchen“, nölt Opa Paulsen und:„Ach, Tschuldigung, ich seh schon, der Herr denkt wieder!“ Die Musik an unserer Strandbar ist wirklich die Hölle: Oldies bis Ibiza. Doch gerade läuft „Still crazy after all this years“ und ich denke tatsächlich, ich denke, dass es so viele Jahre ja noch gar nicht sind, aber die schönsten meines Lebens, ganz sicher, und ich denke, dass ich immer verliebt bin. An jedem Strand der Welt. In sie.

... Link


Montag, 7. August 2006
Herr Paulsen schreibt einen Brief. Heute: an die DHL

Potztausend DHL,

das ist schon krass, wie Ihr so rubbeldiekatz Sendungen durch die ganze Welt schickt! Zum Beispiel unsere Fotos. Zum Beispiel nach Buenos Aires. Dabei sitzt unser Kunde eigentlich in England. Ja gut, der Ort dort fängt auch mit B an, da kann man schon mal durcheinander kommen, wo wir doch die Sendung vergangenen Montag zu allem Übel auch noch in Barcelona aufgegeben haben. Fängt ja auch mit B an, Barcelona. Da soll noch einer durchblicken, schon klar. Habt Ihr ja auch gleich gemerkt, Euren Irrtum, aber, ist klar, der Container war schon versiegelt, kein rankommen, also Buenos Aires.
Mittwoch war die Sendung dann in Madrid, das haben wir im Internet gesehen. Toll, die Fotos kommen richtig rum. Warum die Sendung sich dann aber zwei Tage in Franfurt von der Reise erholen musste, das haben wir nicht so richtig verstanden. Donnerstag hat dann dauernd das Telefon in unserem Fotokloster geklingelt. Erst war der Kunde dran, wo denn die Bilder blieben. Die waren sauer! Wir haben dann dem Kunden den Link geschickt, wo man sehen kann, dass die Bilder in Frankfurt Urlaub machen. Die Kunden waren aber immer noch sauer, weil die Fotos eigentlich spätestens nächsten Mittwoch in China sein müssen. So zum Drucken. China? Kennt Ihr nicht? Doch, da habt Ihr mal einen Werbespot gedreht mit den Gottschalk-Brüdern, die standen da vor einer riesigen Mauer und das hat Euch echt eine Stange Geld gekostet. Mauer? Berlin? Nee, aber stimmt, fängt ja auch mit B an.
Dann hat schon wieder das Telefon gebimmelt und hey, Ihr habt angerufen! Endlich habt Ihr in Frankfurt den Container aufbekommen! Leider waren unsere Fotos gar nicht drin. Und Ihr wisst jetzt auch nicht mehr so genau wo die sind. Na sauber.
Wir haben die Fotos Freitag noch mal losgeschickt, sind aber schon gespannt wo Ihr die erste Sendung findet. Bahrain? Budapest? Bamberg? Bristol? Bristol wäre ganz toll,

verrät Euch,

Euer Paulsen von der Post

PS: Heute ist Montag und eben erfahren wir, die Fotos sind gefunden und jetzt in England. Nach nur einer Woche! Leider liegen die jetzt irgendwo in den Midlands. Warm, warm, wärmer. Es bleibt spannend.

... Link


Sonntag, 6. August 2006
Sensation: Foodstyling-Legende Nigel Reblochon startet Podcast!

Ich bin Foodstylist. Ich schreibe aber höchst selten und nur unverbindlich angedeutet, über meine Arbeit. Wir Foodstylisten sind große Schweiger oder wahlweise komplett durchgedreht. Umso sensationeller, dass nun erstmals einer der ganz großen Genies unseres Handwerks an die Öffentlichkeit geht, das Schweigen bricht. Gestern Nacht kam die Mail aus Hamburg und ich konnte es nicht glauben: Nigel Reblochon startet einen Podcast Namens food stylee teevee. Ich meine: hallo?
Nigel Reblochon ist eine Legende!

Der Sohn einer schottischen Bergarbeiterin und eines nicht näher bekannten Vaters (vielleicht mit südafrikanischem Geburtsort und französischer
Abstammung, alles Spekulation!)wurde in Neuseeland im Jahre 1966 geboren. Daher auch der seltsame Akzent der sich wie eine Mischung aus Queens English und down under mit Afrikaanseinschlag anhört. Schon früh war er auf seinem Zenith angelangt, und stylte das Food für fast alle Rob Reiner Filme der 80er. Ohne klassische
Ausbildung! Seine Wurstbrote für den Film Spinal Tap sind legendär. Er konnte den Erfolg jedoch nicht lange halten (aushalten?) und verschwand Anfang der Neunziger aus Hollywood, von der Weltkarte. Von 75 Zigaretten am Tag war die Rede und einer Spendenleber.

Vergessen haben wir jungen Foodstylisten ihn nie, seine Leitsätze, wie: „Bevor sie eine Suppe fotografieren, werfen sie einen Stein hinein“, prägen meine Arbeit noch heute. Jetzt ist er wieder da und schenkt uns nach all den Jahren der Unsicherheit einen Podcast!

Genial, wie der Meister in Folge eins den Prozess der kreativen Rezeptfindung übermittelt und in Folge zwei freimütig sein fantastisches Rezept für „Noodles aglio e olio“ verrät. Und das ganz ohne Kameramann!

Nigel Reblochon

... Link