Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 8. Dezember 2006
Max Goldt schenkt mir einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber


(Max Goldt, Foto: Billy&Hells)

Folgende, sehr uralte Geschichte, aus den Tiefen meiner Festplatte widme ich einem meiner Lieblingskommentatoren: Thorsten Lehmgruber, der hier beschreibt, wie er Max Goldt am Büchertisch mit einer Wortschöpfung von mir auf die Nerven ging.

Max Goldt schenkt mir einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber

Vor vielen Jahren, ich war noch ein ganz junger Hase und eben von Berlin nach Hamburg gezogen, kehrte ich nach einer ebenso einsamen wie erfolglosen „ich suche Spaß und neue Freunde“-Tour auf ein letztes Bier in den Golden Pudel Club ein. „Das ist DER Laden in Hamburg, da musst du hin!“ hatten mich meine allwissenden Berliner Freunde zum Abschied verschwörerisch in die Pflicht genommen.

Da war ich nun, Sonntagmorgen halb vier, der Laden halb leer, um mich herum trommelte und basste es ganz fürchterlich, und auch der Umstand von Schorsch Kamerun Höchstselbst ein Bier geöffnet zu bekommen, mochte keine wahre Freude aufkommen lassen. Neben mir, zählte ein auch nicht sehr fröhlich wirkender Herr, konzentriert die Luftblasen seines Bierschaums. Er sah, wie ich fand, dem von mir schon damals sehr verehrten Max Goldt zum verwechseln ähnlich. Weil ich schon viel Bier getrunken hatte und sehr einsam war, tippte ich das fremde Max Goldt Double an: „Guten Morgen, ich bin Herr Paulsen und finde Sie haben eine geradezu bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem von mir sehr verehrten Max Goldt.“ Das höre er oft, sprach das Max Goldt Double, ja ein wahrer Fluch sei das mit der Ähnlichkeit, gerade sei er nach Hamburg gezogen, denn in Berlin, da war es ihm zuletzt ganz und gar unmöglich ungestört Bierblasen zu zählen.

Ganz nüchtern wurde ich plötzlich und eine, mir seit Teenagertagen überwunden geglaubte Aufregung erfasste mich. Ich sprach wirklich mit Max Goldt.
Hier ist nun, zum bessern Verständnis meiner Aufregung, einzufügen, das ich zu jenen Menschen gehöre, die „Familie, Pubertät und Haarwuchs“ für einem Meilenstein lyrischer Sangeskunst halten und auf die ewige Nervfrage: „wie geht’s?“ gerne fröhliche krähen:“ungeduscht, geduzt und ausgebuht!“ Nicht verheimlicht werden, sollen hier auch meine jahrelangen Versuche zu schreiben wie Max Goldt, ich bin nämlich der Meinung, gut kopiert ist besser als selbst gestammelt.

Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wurde es noch ein sehr schöner Morgen mit geistreichen Gesprächen über Berlin, Umzugsunternehmen, den Hanseaten an sich, Beatmusik und Lieblingsessen. Als Max Goldt von meiner Freude am Kochen erfuhr, spekulierte er sogleich auf ein opulentes Mahl. Zum Zwecke der Herbeiführung dieses schönen Abends fischte Max (inzwischen waren wir beim Du angekommen) einen hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber aus seiner Börse. Sorgfältig hatte er die Adressen auf Adressen-Aufkleber-Etikettenbögen gedruckt oder drucken lassen und diese einzeln, sehr ordentlich ausgeschnitten. Soviel Pragmatismus erstaunte und rührte mich.
Als der Michel zur Sonntagsmesse rief, versicherten wir uns unserer gegenseitigen Sympathie und wurden von gnädigen Taxikutschern in unsere jeweiligen, neuen Hamburger Heime gefahren.

Ich habe Max nie angerufen, ich bin ein höflicher Mensch und möchte Ihm weiter Umzüge ersparen. Zuhause aber habe ich die Adresse unter M in mein Adressbuch eingeklebt. Gerne lade ich mir, auch heute noch, am liebsten im Anschluss an eine Max Goldt-Lesung, Freunde ein und protze mit dem hübschen Adressen-Abknibbel-Aufkleber.

PS:
Das Wort Adressen-Abknibbel-Aufkleber habe ich erfunden. Überraschenderweise macht mir das Rechtschreib,-und Grammatikprogramm meines Computers dazu folgende Vorschläge:

1. Adressen-Abkribbel-Aufkleber
2. Adressen-Abkibbel-Aufkleber
3. Adressen-Abnibbel-Aufkleber

Letzterer ist mein Lieblingsvorschlag, denn er erinnert an ein schönes Dialektwort aus dem Schwäbischen. Stirbt dort ein wenig geliebter Mensch, oder stürzt in dieser Region ein Computer ab, dann erzählen sich die Schwaben:
„der isch abgnibbeld“, bzw. „etz isch dia Scheißkischt scho wieder abgnibbeld“

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Mittwoch, 29. November 2006
Hamburger Literaturpreis 2007 bloggt


Foto: Merlix

Am Montagabend fand im Hamburger Literaturhaus die Verleihung der Hamburger Förderpreise für Literatur und literarische Übersetzungen statt. Ich geh da jedes Jahr hin, man trifft sämtliche Literaturschaffenden der Stadt, sieht neue Talente und alte Freunde, betrinkt sich anschließend gemeinsam und freut oder ärgert sich über die Jury-Entscheidungen. Dieses Jahr war anders. Ich meine damit nicht, dass die bislang von der Kulturbehörde gesponserte Gratis-Wein-Auswahl klanglos durch Gratis-Promo-Starkbierfläschchen einer heimischen Brauerei ersetzt wurde, nein, ich meine: die weltbeste Isa hat einen Preis für Übersetzung gewonnen (Tamar Yellin: "The Genizah at the House of Shepher", aus dem Englischen) und damit der Veranstaltung zur größten Blogger-Dichte in der Geschichte des Hamburger Literaturpreises verholfen. Und ganz nebenbei noch grandios vor Publikum über ihre Übersetzung gesprochen, toll ausgesehen und wunderbar vorgelesen. Hach!

Grade komme ich nachhause und will einen extralangen, ausführlichen Bericht über die Verleihung schreiben, da stelle ich fest dass das andere bereits in einer Weise getan haben, der nichts mehr hinzuzufügen ist. Also mache ich jetzt mal früh Feierabend, lass mir ein Fläschchen von diesem neuen Starkbier schmecken und empfehle ansonsten diese Lektüre:

Über den Abend aus Besuchersicht erzählt Mequito.

Erstmals (!) aus der Innenwelt einer Preisträgerin erzählt Isa im redereihamburgblog.

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Montag, 27. November 2006
Jetzt neu: Uneingeschränkte Solidarität mit den werktätigen Eltern dieser Welt!

Die Sorgen und Nöte der Eltern meiner Generation sind mir fremd. Ich habe ja keine Kinder. Schilderungen des Eltern-Alltags gelangen nur sporadisch an mein Ohr („…aber wenn er einmal lacht, bekommt man alles zurück!“) und manchmal lese ich mit befremdendem Staunen in Blogs vom Scheitern erzieherischer Maßnahmen, das ist alles, das ist nicht meine Welt. Das war nicht meine Welt. Bis zum vergangene Wochenende. Da war ich nämlich Eltern. Drei Tage lang. Leichtfertig hatte ich zugesagt, auf mein zweijähriges Patenkind aufzupassen. Mach ich doch mit Links! Dachte ich.

Freitag

17:00 Uhr
Das Kind freut sich. Lachend ruft es: „Paulsen!“ Süß! Die Babysitterin erklärt mir, der Lüdde sei gewickelt und guter Laune und sie gehe jetzt. Kein Problem, Tschüss. Ich sehe auf meinen Plan. Spielen, steht da. Wir schieben Autos durch ein Plastik-Parkhaus. Aus dem Kind läuft ununterbrochen Schleim. Verschärfte Krustenbildung um die Mundpartie. Ich hole Tempos.
18:00 Uhr
Ich sehe auf meinen Plan. Kochen, steht da. Ich mache Bolognese heiß und koche Spaghetti. Das mag der Lüdde. Hat man mir gesagt. Der Lüdde mag aber nur Nudeln. Ich schneide Nudeln klein. Der Lüdde kann schon selber essen!
18:45 Uhr
Ich krieche unter den Küchentisch und sammle klebrige Nudeln auf. Hat der Kleine überhaupt was gegessen? Windelwechsel. Achduliebegüte. Wie ein Alter!
19:45 Uhr
Ich habs einfach drauf! Kind ist gewaschen, umgezogen, Zähne geputzt und liegt im Bett. Schläft sofort ein. Toll. Ich bin der Größte!
21:00 Uhr
Die Liebste kommt von der Arbeit. Wir essen Spaghetti Bolognese, kucken Fernsehen, dann lese ich noch ein bisschen.
Um 01:00 Uhr erst Licht aus. Riesen Fehler!

Samstag

03:30 Uhr
Wo bin ich? Wer bin ich? Die Liebste rüttelt an mir und spricht mehrfach meinen Namen. Gebrüll aus dem Kinderzimmer. Schlaftrunken taumle ich zum Kinderbettchen. Ich sehe auf meinen Plan. Über den Kopf streicheln und Spieluhr an. Mach ich. Kind schläft sofort ein. Ich bin wach.
04:30 Uhr
Ich bin immer noch wach. Gebrüll aus dem Kinderzimmer. Schlaftrunken taumle ich zum Kinderbettchen. Ich sehe auf meinen Plan. Über den Kopf streicheln und Spieluhr an. Mach ich. Kind schläft sofort ein. Ich bin wach.
05:30 Uhr
Ich bin immer noch wach. Gebrüll aus dem Kinderzimmer. Schlaftrunken taumle ich zum Kinderbettchen. Ich sehe auf meinen Plan. Über den Kopf streicheln und Spieluhr an. Mach ich. Kind schläft sofort ein. Ich bin wach.
06:30 Uhr
Ich bin immer noch wach. Gebrüll aus dem Kinderzimmer. Schlaftrunken taumle ich zum Kinderbettchen. Ich sehe auf meinen Plan. Milch servieren, steht da. 100 ml warmes Wasser mit 80 ml Milch vermengen und rein in das Kind. Aus dem Kind läuft ununterbrochen Schleim. Verschärfte Krustenbildung um die Mundpartie. Ich hole Tempos.
07:30 Uhr
Die Liebste muss zur Arbeit. Ich habs gut, ich hab ja nur das Kind! Windelwechsel, Kind anziehen. Body, Hose, Hemd, Strümpfe, Schuhe. Ich bin Schweißgebadet. Ich bin so müde. Wir essen Joghurt. Steht so auf dem Plan. Und Freizeit, steht da. Es dämmert. Ich bin so müde, so unglaublich müde.
10:00 Uhr
Freizeit. Ich wuchte die Kinderkarre auf die Strasse. Wir gehen durch das menschenleere Schanzenviertel, ich, das Kind und andere Eltern. Normale Menschen schlafen noch. Ich lerne: Eltern nicken sich freundlich lächelnd zu, wenn sie einander Begegnen. Wahrscheinlich irgend ein Geheimcode zur Aufmunterung, hey Du bist nicht allein!
10:30 Uhr
Ich versuche, die Kinderkarre ins Café zu bekommen.
10:40 Uhr
Drin! Das Café ist voll mit Eltern. Es wird viel gelächelt. Ich trinke Kaffee, beträufle das Kind mit Kakao und lese Zeitung. Ich würde gerne rauchen, aber die anderen Eltern rauchen alle auch nicht. „Entschuldigung!“, eine Mutter spricht mich an! „Sagen Sie mal, wie machen Sie das? Ich meine, ich hab seit drei Jahren keine Zeitung mehr gelesen zum Kaffee. Ist ihr Sohn immer so lieb?“ - "Och!", mache ich: „ ja klaaaar. Ist ganz normal!“ Der Bub schmiert Schleim und Kakao ans Fenster und ich bin sehr stolz.
11:20 Uhr
Einkaufen im Supermarkt. ALLE Frauen lächeln mir zu. Ich bin zu müde um zurück zu lächeln.
11:35 Uhr
Das Kind ist weg! Panik!
11:36 Uhr
Ich setze das Kind in die Karre und räume alle Nudelpackungen wieder zurück ins Regal.
12:00 Uhr
Wieder zuhause. Ich bin so müde. Wir essen zusammen ein Würstchen und ein halbes Brot. Ich sehe auf meinen Plan. 14:00 Uhr Mittagsschlaf steht da. Das schaff ich nicht mehr. „Bist Du müde?“ frage ich das Kind. Kind verneint. Spielen!
13:00 Uhr
Ich kann nicht mehr. Mittagsschlaf wird heute um eine Stunde vorverlegt, ich muss jetzt dringend schlafen. Kind ausziehen, Windel wechseln, Kind anziehen, ich bin schweißgebadet. Kind ins Bett, Paulsen ins Bett. Ich bete. Nur eine Stunde, bete ich, bitte Gott, ich hab mich lang nicht bei Dir gemeldet, aber ich brauche jetzt eine Stunde, bitte, bitte lieber Gott.
13:30 Uhr
Gott ist tot. Das Kind ruft meinen Namen. Ich schaue auf den Plan. Mist. Schon wieder Freizeit. Kind ausziehen, Kind anziehen, Rucksack packen (Kekse, Rosinen, Saft, Windel, Tempos, Tempos, Tempos). Auf zum Spielplatz. Mit Tempos alle Rutschen abgetrocknet. Kind will nicht rutschen, Kind will Fußball. „Fußball!“ ruft das Kind und weint ein bisschen. Gut, Fußball.
14:00-14:30 Uhr
Das Kind sieht eine halbe Stunde lang drei Halbstarken beim Kicken im Park zu. Mich ignoriert das Kind. Dann: „au Fußball!“. Klar, sage ich, kein Problem, geh einfach hin und dann kannst Du da mitspielen, sage ich. „Paulsen au Fußball!“ sagt das Kind.
14:30-15:00 Uhr
Ich spiele mit Jan, Peter, Henning und meinem Patenkind Fußball. Jan, Peter und Henning lachen mich aus. „Los, schieß den Papa ab!“ feuern Jan, Peter und Henning mein Patenkind an.
15:00 Uhr
Kind weint. Ist mir jetzt egal, ich will nachhause. Ich sehe auf den Plan. Achduscheissedasdarfdochnichtwahrsein. Duschen! Kind ausziehen, duschen. Das Kind liebt duschen. Toll. Das ist ja einfach.
15:30 Uhr
Das Kind will weiter duschen. Es brüllt. Ich nehme das Kind aus der Wanne. Das Kind schreit gellend. Ich versuche: das Kind abzutrocknen. Das Kind wirft sich zu Boden, ein Tollwutanfall, es schreit und weint und versucht dabei seine rechte Hand zu essen.
16:00 Uhr
Das Kind schreit immer noch, Tränen, Rotz und Wasser. Ich muss den Bub doch irgendwie trocken bekommen. Kleiner Ringkampf im Badezimmer. Das Kind hasst mich, ich sehe es in den tränenschillernden Augen, aber wat mut dat mut.
18:00 Uhr
Ich bin ein nervliches Wrack. Ich trinke eine Flasche Bier ohne abzusetzen. Ich würde so gerne eine rauchen. „Spielen!“ ruft das Kind. Der Tag hat 246 Stunden. Wie machen das eigentlich richtige Eltern? Ist mir ein Rätsel.
19:00 Uhr
Die Schwester vom Patenkind kommt nachhause. Tränen der Rührung netzen meine heißen Wangen. Die beiden spielen im Kinderzimmer. Ich rauche drei Zigaretten und trinke noch eine Flasche Bier. Dann mach ich mir eine Flasche Rotwein auf. Ich sitze in der Küche und starre mit glasigen Augen auf den Boden. Da sind noch überall Nudeln.
20:00 Uhr
Irgendwie das Kind gefüttert und zu Bett gebracht. Ich erinnere mich nicht mehr. Die Liebste kommt nachhause. Fischstäbchen für alle!
20:15 – 22:15 Uhr
Die Liebste und die Schwester vom Patenkind und ich kucken Fernsehen: „Frag doch mal die Maus“, eine super Rätselsendung für Groß und Klein. Ich erfahre, dass Wilson Gonzales bei den Wilden Kerlen mitspielt und dass Nina Hagen total toll ist und super geschminkt. Die Schwester vom Patenkind verschwindet im Badezimmer. Als sie wieder rauskommt zieht dunkelroter Lippenstift schwer an den jugendzarten Lippen.
22:15 Uhr
Fernseher aus und sofort ins Bett. Bin ja lernfähig. Todesähnlicher Schlaf.

Sonntag

04:30 Uhr
Toll! Mal richtig ausgeschlafen. Kind brüllt. Erfülle den Plan.
10:00 Uhr
Irgendjemand hat Frühstück gemacht. Brötchen geholt. Den Kleinen gewindelt und angezogen. Ich lebe in einem Dämmerzustand. Sekundenschlaf. Ich falle in mein Mettbrötchen.
12:00 Uhr
Musik. Die Liebste, das Patenkind und die Schwester vom Patenkind hauen auf ein Klavier ein. Dazu singen sie. Jingle Bells. Fröhliche Weihnachten. The Entertainer. Für Elise. Das Klavier steht in meinem Kopf. Notiere: niemals ein Klavier kaufen. Wenigstens spielt niemand Blockflöte.
12:30 Uhr
Die Schwester vom Patenkind packt ihre Blockflöte aus und bläst kräftig hinein. Die Liebste „begleitet“ dazu auf dem Klavier. Mein Patenkind drischt mit einem Spielzeughammer auf ein Xylophon ein. Notiere: überhaupt keine Instrumente kaufen.
13:00 Uhr
Schichtende. Ich darf gehen. Danke! Die Schwester vom Patenkind fragt mich zum Abschied, ob mir dass Spaß gemacht hat, auf mein Patenkind aufzupassen. Ich lüge.
15:00 Uhr
KAFFEE.SATZ.LESEN. Menschen. Musik. Zigaretten. Der Autor Arne Nielsen hat seine Tochter mitgebracht. Er sieht müde aus. Ich schenke Arne Nielsen mein solidarischstes Lächeln.

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Dienstag, 21. November 2006
4 Autoren, 500 Beine und Lalah live. KAFFEE.SATZ.LESEN 34 im November

Nein, novemberkuschelig wird sie nicht, die 34. Ausgabe von KAFFEE.SATZ.LESEN am nächsten Sonntag. Denn die geladenen Autoren gehören allesamt zu den kompromisslosesten Schreibern neuerer Literatur, sind strenge Dramaturgen unbequemer Themen mit einer klaren, direkten Sprache. Nach seinem viel gelobten Debüt „Donny hat ein neues Auto und fährt etwas zu schnell“ stellt Arne Nielsen seinen neuen Erzählband „Buddeln, 1-3“ vor. Ein Panoptikum des alltäglichen Wahnsinns voller grotesker Begebenheiten und untergründiger Gewalt. Um Leben und Tod geht es in Matias Grzegorczyks Roman „Wenn Du schläfts“, einem subtilen Krankenhaus-Thriller, der schlaflos macht. DJ Scheisse feuert fiese Bösartigkeiten schneller ab, als es, zumindest Pinnebergern, lieb sein kann und wurde damit zu einer Hauptfigur des Hamburger Poetry Slams. Der Solinger Autor Glumm aka 500Beine erzählt vom„räudigen Leben, der Wucht und dem Nimbus“ und der Dichter Casjen Ohnesorge beschäftigt sich in seinen Texten mit den Tücken der Sprache und der eigenen Gefühlswelt. Außerdem stellt die Hamburger Sängerin und Musikerin Lalah ihr jetzt erschienenes Debut-Album „Ich wär soweit“ bei KAFFEE.SATZ.LESEN vor.

KAFFEE.SATZ.LESEN 34
Sonntag, 26. November 2006, 16:00 Uhr
Baderanstalt
Hammer Steindamm 62
neben S-Bahn Hasselbrook
im Hinterhof, 5. Stock

mit

Arne Nielsen

Matias Grzegorczyk

Glumm aka 500 Beine

DJ Scheiße

Casjen Ohnesorge

Lalah

und einer Fotoausstellung von
Kerstin Schlitter

Die Gäste im November:

Arne Nielsen *1971


(Foto: Arne Nielsen)

in Dänemark geboren. Er machte eine Ausbildung zum Herrenschneider und studierte Wirtschaftswissenschaften. Danach arbeitete er u.a. als Tankwart, Vertreter und Konsulatsbeamter. Arne Nielsen lebt mit seiner Familie in Hamburg. Er schreibt.bizarre Storys über die Randerscheinungen des Lebens: Nach seinem vielgelobten Debüt „Donny hat ein neues Auto und fährt etwas zu schnell“ beweist Arne Nielsen erneut, dass er zu den eigenwilligsten Stimmen der jungen deutschen Literatur zählt. Mit skurrilem Humor beschreibt er, wie verborgene Laster und Geheimnisse an die Oberfläche treten und sichtbar werden. Seine Storys sind schnell, pointiert und schöpfen ihre beunruhigende Spannung aus dem, was sie andeuten oder verschweigen. „Buddeln, 1-3“ (2006 Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München) ist ein Panoptikum des alltäglichen Wahnsinns, voller grotesker Begebenheiten und untergründiger Gewalt.

Matias Grzegorczyk *1965


(Foto:Grzegorczyk)

wurde 1965 in Wiesbaden geboren. Nach einer Fotografenlehre in Kiel, studierte er Kommunikations-Design in Mainz und arbeitete anschließend als Texter für namhafte Agenturen in Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg. Zurzeit ist er freiberuflich tätig, unter anderem als Dozent der Texterschmiede Hamburg und am Institut für Design Hamburg. Im Jahr 2002 wurde er mit dem Literaturpreis der Stadt Hamburg ausgezeichnet. Matias Grzegorczyk ist Mitglied im Forum Hamburger Autoren. Sein im Herbst erschienener Roman „Wenn Du schläfst“ (tisch7-Verlag, Köln) ist ein subtiler Krankenhaus-Thriller über den Kampf zweier Männer, die in ihren Betten nebeneinander liegen und sich belauern. Einem Kampf auf Leben und Tod. Matias Grzegorczyk legt ein Debüt vor, das mehr ist als spannungsgeladene literarische Unterhaltung. Ganz nebenbei zeigt uns der Autor, wie sehr wir als Kranke ausgeliefert sind. Ein Konflikt, dem niemand ausweichen kann.

DJ Scheiße * 1966


(Foto: DJ Scheiße)

Lassen wir den Autor selbst sprechen:
„Vorweg Folgendes: DJ Scheiße stammt nicht aus Pinneberg. Er wurde 1966 in Hamburg geboren und wuchs in Wilstedt, bei Tangstedt, bei Norderstedt, bei Hamburg auf. Zwangsläufig traf er auf den Pinneberger, immer dort, wo die A23 in die A 7 einfließt, und, logischerweise auch danach. Da kann man nichts machen. Nichtsdestotrotz sorgte die „Begegnung mit dem natürlichen Feind“ dafür, dass der gebürtige Diplom-Soziologe sich der subjektiven Alltagsanalyse hingab und arglosen Barbesuchern die Ergebnisse vorlas. Dazu nahm unser kleiner konfliktscheuer Freund einen Namen an, von dem er annahm, dass er über jede Kritik erhaben sei. Es kam, wie es kommen musste: Man schickte DJ Scheiße zum Slam. Dort fallen Wesen wie er nicht weiter auf und werden mit Requisiten aus der Ramschkiste ruhig gestellt. „Immer noch besser als Bausenator“, sagt er.“

Glumm *1960

seinen Lesern ist Glumm unter dem Namen 500 Beine bekannt. Auf der gleichnamigen Internetseite 500Beine veröffentlicht er seine Erzählungen aus der Solinger Halbwelt. Lakonisch, genau beobachtet, mit genialem Sprachgefühl und feiner Komik schreibt Glumm von Gescheiterten, Gestrandeten und übersehenen Helden. Oder wie er selbst sagt: „Geschichten vom räudigen Leben, der Wucht und dem Nimbus“. Immer dabei: die Gräfin („Notier mich nicht immer!“) und ein Hund Namens Frau Moll.

Lalah


(Foto: Dörte Benzner)

a.k.a. Dörte Benzner ist Komponistin, Sängerin, Schlagzeugerin und an guten Tagen Poetin. In ihrem Hamburger Studio Raffinade nimmt sie ihre Songs auf und fährt zwischendurch immer wieder zum Komponieren nach Dänemark oder gestaltet Cover für Mangas, wenn sie Geld braucht. Sie machte Festival- und Club-Touren durch Deutschland und Österreich mit Hippiehaus, spielte live auf dem South By Southwest Festival in Austin und beim CMJ Music Marathon in New York und trat live und solo mit MD-Player bei Poetry Slams in Harlem und als Special Guest beim legendären Friday Night Slam im Nuyorican auf. Drei Jahren arbeitete sie an ihrem Solo-Album, bei KAFFEE.SATZ.LESEN stellt sie nun ihr Debut “Ich wär soweit” vor. Ihre Musik atmet Geschichten, fühlt Grooves, vereint minimalistischen oldschool Elektro mit ihrer melancholischen, lässigen, jazz-gefärbten Stimme und macht warm und sexy. Es finden sich neben den von ihr produzierten und programmierten Nummern Remixe von J.F. Sebastian (Black Cherries) und auch live von der Jazz-Band Johnny Liebling im Hamburger Soundgarden Studio eingespielte Songs. Coproduziert wurde die Platte von Chris v. Rautenkranz (u.a. Blumfeld, Tocotronic).
Infos: Lalah

Casjen Ohnesorge *1980


(Foto Casjen Ohnesorge)

in Hamburg geboren und aufgewachsen. Ende 2005 erhielt er sein Diplom im Fach Europäische Wirtschaft an der Universität Bamberg. Neben dem Studium beschäftigt er sich
seit dem Jahr 2000 mit Dichtung. Mittlerweile trat er erfolgreich auf vielen „Poetry Slams“ auf, beim diesjährigen German International Poetry Slam in München gelangte er ins Halbfinale. Außerdem hat Casjen Ohnesorge zwei Theaterstücke verfasst. Zudem ist für ihn das Leben und Arbeiten in fremden Ländern besonders bereichernd, längere Aufenthalte führten ihn in die USA, nach Frankreich, Singapur, Belarus und in die Ukraine. Erfahrungen die in seine Arbeiten einfließen.

Mehr über die redereihamburg und KAFFEE.SATZ.LESEN gibt es im Internet unter

redereihamburg

redereihamburgblog

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Montag, 20. November 2006
Kneipenschlägerei? Herr Paulsen macht mit!

Ich muss ein bisschen ausholen, denn die Geschichte begann schon vorletzten Samstag. Wir waren verabredete mit Jan und Jens, zwei liebenswerten Freunden aus dem früheren Leben der Liebsten, fröhliche, trinkfeste Nordlichter von beeindruckender Körperstatur. Der Umgang ist rau aber herzlich, es wird viel auf Schultern geschlagen, kumpelhaft geboxt und zu jedem Bier gehört ein Schnaps. Die beiden nennen mich nicht Herr Paulsen sondern Keule. Keule, erklärte mir dazu die Liebste, sei eine freundschaftliche Auszeichnung und seitdem bin ich manchmal Keule.

Und vorletzten Samstag also stehen Jan, Jens und Keule am Tresen einer Kiez-Kneipe auf St.Pauli, fröhlich verhaften wir alkoholische Gedecke und freuen uns des Lebens. Friedliebend sind meine imposanten Begleiter, nichts bringt die Jungs aus der Ruhe, blöd nur wenn einer "einen Spruch“ macht. „Deine Mudder“ oder so, oder zugehörige Frauen anbaggern, auch ganz schlecht. Sollte man nicht machen. Dann wird es schnell finster, da sind die Herren empfindlich. Naja, jedenfalls wir stehen da, Typ kommt, macht dummerweise einen Spruch. Jan und Jens stehen auch gleich auf und schubsen den Typ hin und her. Der schlackert so ein bisschen mit den Armen, nützt nix, er bereut auch schon heftig. Aber, ist nun mal Gesetz: keine Sprüche! Leider sind auch die Freunde vom Sprücheklopfer nicht sehr schlau und mischen sich ein. Jens hat eben den Kopf vom Typ unter seinem linken Arm, dreht sich zu mir und sagt: „Keule, Du gehst jetzt mal raus, das is hier nix für Künstler!“ Ich sehe noch wie Jan an der Musikbox steht und zusieht, wie sich ein Freund vom Sprücheklopfer mehrfach derbe den Kopf an der Musikbox stößt und verlasse das Lokal.

Durch die geöffnete Kneipentür kann ich sehen, wie sich drin eine gewaltige Eigendynamik entwickelt. Alle gegen alle. Nur ich darf nicht mitmachen. Was soll das überhaupt heißen, „Künstler“ ? Ich habe mit zehn Jahren den gelben Gurt in Judo gemacht! Ich habe mich schon mehrfach im Leben geprügelt! Zuletzt vor zwanzig Jahren. Jetzt, so denke ich, ist eine gute Möglichkeit, sich mal wieder selbst zu spüren, ein männlicher Faustkampf, jawohl! Außerdem, ich kann doch die Jungs nicht alleine lassen! Ich balle die Fäustchen und geh rein.

Eine Woche später. Ich sitze auf der Geburtstagsfeier von Jens. Die Küche ist gut gefüllt mit vielen, robusten Männerschränken, es gibt Bier und Schnaps, der Kneipen-Kampf der vergangenen Woche wird zur allgemeinen Belustigung noch mal genau durchgegangen.
Jens erzählt: „ …und als dann Keule rein kam, das war echt das Beste, die Gesichter hättet ihr sehen sollen!“

„Nee, Scheiße war das, ich will Euch zu Hilfe kommen und da war schon alles vorbei, in dem Moment.“ sage ich.

Jens und Jan sehen sich belustigt an, schauen dann zu mir:
„Sach ma, Keule, kann das sein, dass du nicht mehr weißt was du gemacht hast?“

„Doch natürlich, ich komm rein, will grade loslegen, da steht ihr alle nur noch so blöd rum, grinst mich an, Kampf zu Ende.“

„Keule, Du hast den Kampf beendet.“

„Ich hab…, hä, wie, was?“

„Ja, Keule, du da so reingestürmt, Hände in die Hüften und losgebrüllt: Heee! Hallo Leute, Leute, Leute hört doch mal zu! Das kann man doch auch alles mit Worten regeln!“

Die Schrankwände lachen und ich bekomme einen Belobigungsschnaps für meinen gewaltfreien Kampf.

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Donnerstag, 16. November 2006
Greisenzeitgeistreise mit den TEMPO-Zombies

Ein Trauerspiel was Benjamin von Stuckrad-Barre und Moritz von Uslar am Montag im ausverkauften Malersaal des Hamburger Schauspielhauses aufführten. Angereist waren die beiden um das Werbetrömmelchen zu schlagen, für das, vielleicht am 1. Dezember erscheinende, Jubiläumsheft der vor zehn Jahren verstorbenen Zeitgeist-Postille TEMPO. Der damalige Chefredakteur Markus Peichl bastelt derzeit mit großen Teilen des alten Redaktionsstabs an einer einmaligen Wiederbelebung des Heftes. Schade, dass er Stuckrad-Barre und Uslar an diesem Abend freigab. Die lasen ein „Best of Tempo“ und mit fortlaufender Dauer auch den Malersaal leer.
Los ging es mit einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung von TEMPO-Schlagzeilen, ein Kalauer-Kabinett der Unlustigkeit. Wie relevant ein 1988 geschriebener Artikel über die 68er heute ist, das fragten sich dann die ersten Flüchtenden. 2006 ist dazu jedenfalls alles gesagt, gelesen und gesehen, Schnee von gestern, nicht mal als vergnügliche Geschichtsstunde taugte das Altpapier. Auch der uralte Beitrag über den Aufstieg des Bildchefs Kai Diekmann lässt jeden gähnen, der sich auch nur ein bisschen für die Deutsche Medienlandschaft interessiert.
Doch es wurde schlimmer. In großen Teilen wurde eine Liste der nervigsten 100 Deutschen vorgelesen. Und da schimmerte hervor, für was TEMPO auch stand. Für die Geburtsstunde der Popliteratur, für das salonfähig gewordene Motiv, alle und alles immer ganz lustig ganz scheiße zu finden. Die maulstarken Krakeeler beömmelten sich über ihre Zeitgenossen, „bruhaha“ lachten die Leser damals über soviel anarchisches Zeitverständnis. Hier und heute im Malersaal macht es wenig Sinn, Roberto Blanco als Vorzeigeneger der Deutschen zu titulieren, das mag mal ein Tabubruch gewesen sein, jetzt ist das so unterhaltsam wie ein echauffierender Artikel über die Unpünktlichkeit der Bahn oder die immer früher auftauchenden Weihnachtsgebäcke. Na gut, sie haben es erfunden, it´s all about Selbstfeierei.100 Altherrenwitze in lähmenden 20 Minuten. Aber die Auswahl der Herren Stuckrad-Barre und Uslar war konsequent. Wer verbal auf Menschen einschlägt die sowieso schon am Boden liegen, der macht auch bei den Toten nicht halt und so wurden an diesem Abend auch Hannelore Kohl („sieht aus wie schlechtes LSD“) und der Verleger Rudolf Augstein („ich bin klein, hässlich und reich“) postum beleidigt und verunglimpft.

„Höhöhö“ und „hohoho“ machte das verbliebene Publikum, dieses Lachen hinter vorgehaltener Hand, dieses „boah, ganz schön frech, hihi!“ Und das war dann auch die einzige Überraschung des Abends, dass sich weder die Herrschaften auf der Bühne, noch ihr Publikum, in ihrem Humorverständnis auch nur einen Schritt weiter entwickelt zu haben schienen, in all den Jahren. Bleibt zu hoffen, dass sich die derzeitige TEMPO-Redaktion wenigstens neu erfindet. Ansonsten, auch nicht schlimm, bekommt das Publikum im Dezember eben die Zeitschrift, die es versteht und verdient.

Nach „100 Zeilen Hass“ von Maxim Biller, über den damals 31 jährigen Ulrich Tukur, verließ auch ich die Veranstaltung. Nicht aus Protest, sondern schlicht aus Langeweile. Im Foyer, dem bierseligen Flüchtlingscamp der Gelangweilten, erntete ich großen Applaus, man lobte, wie lange ich doch durchgehalten hätte. Ein Spätgeborener fragte mich, ob es vielleicht unterhaltsamer sei, wenn man das alles selbst erlebt und mitbekommen hätte. Ich verneinte. Dann erst recht nicht.

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Samstag, 11. November 2006
Jetzt neu: der redereihamburg-Blog

Knapp 140 Autoren, Poeten, Slamer, Bands und Musiker sind in den vergangenen drei Jahren bei unserer Lesereihe KAFFEE.SATZ.LESEN aufgetreten. Und obwohl KSL in Hamburg beheimatet ist, kommen unsere Gäste aus dem gesamten, deutschsprachigen Raum und treten deutschlandweit auf. Für all jene Menschen, die sich für gute Literatur und Musik interessieren gibt es jetzt den redereihamburgblog. Dort finden sich immer aktuell Hinweise und Empfehlungen zu Lesungen, Auftritten und Tourneen aller Gäste unserer Lesereihe, sowie Hinweise auf neue Buchveröffentlichungen unserer Autoren.

Während sich unsere Seite redereihamburg.de auf die Ankündigung kommender KSL-Lesungen und dem Archivieren von Texten unserer Gäste beschränkt, ist der redereihamburgblog immer tagesaktuell und über die Grenzen Hamburgs hinaus relevant. Zusätzlich gib es News rund um die Lesereihe, eine Bildgalerie, Podcasts von den Lesungen und Livemitschnitte sind geplant.

http://redereihamburg.wordpress.com/

Wir freuen uns über Besucher und Verlinkungen und wünschen viel Spaß bei den Begegnungen mit bislang knapp 140 Autoren, Poeten, Slamer, Bands und Musikern. Wo auch immer.

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