Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 9. Juni 2007
Testesser Paulsen dreht durch: Hauptsache draußen sitzen.

Es geht abwärts mit der Deutschen Gastronomie. Lieblosigkeit, Einfallslosigkeit und Trendhörigkeit, sowie Sparmaßnahmen bezüglich Ware und Personal nehmen in erschreckender Weise zu. Schlecht ausgebildete Köche und ungelerntes Servicepersonal versauen jede Restbemühung der Gastronomen, die beleidigt nachfragen, wer das denn bitteschön alles bezahlen soll. Bezahlt wird und zwar vom Gast. Die Kneipen und Restaurants sind voll, jeden Abend, das Thermometer steigt und jetzt wird es richtig fies, denn wer eine Konzession hat, hat plötzlich „Außenbestuhlung“ und die ist gut belegt.

Schlechte Restaurants gab es schon immer. Die Sommersonne bringt es aber an den Tag, wenn im Biergarten die Kastanien rauschen, wenn Lampignons im Abendlicht funzeln, Plastikgartenstühle knarren und bunte Kerzen auf Wachstischdecken „Romantik“ flüstern, dann gehen den Deutschen die Geschmacksnerven flöten. Hauptsache draußen sitzen. Schlechte Küchenleistungen und mangelhafter Service, sorgen in dunkel-kalten Zeiten noch für ein Stirnrunzeln, am lauen Sommerabend scheint sich jede Kritikfähigkeit des Publikums in Schweiß aufzulösen und auch viel Gastronomen begreifen den lauen Sommerabend als Legitimation ihrer eigenen Überforderung.

Ich gehe aus beruflichen Gründen sehr viel in Restaurants, privat überwiegt die Freude an einem schönen Abend im Restaurant. Ich schreibe auch gerne über meine Besuche. In meinem Blog gibt es die Reihe „Testesser Paulsen berichtet“ und auch bei Qypeschreibe ich fleißig mit. Ich habe es langsam satt. Nehmen wir nur mal die letzte Woche.

Paulaner-Garten, Bremen: der angekündigte „Backhendl-Mittwoch“ entfiel, bereits um 21:15 Uhr waren die Hähnchenteile ausverkauft, es sei „unheimlich viel los“ auf der Terrasse. Schlechte Planung. Dann als Surrogat Haxenfleisch bestellt, das hier mit 200 g Käse überbacken im Pfännchen serviert wird, ganz unten ein matschiges Industrie-Rösti, aufgeweicht von Industrie-Bratensauce. Dazu liebloser, öliger Salat und unendliche Wartezeiten. Das Servicepersonal streitet derweil: Bianca hat an ihren Tischen je zwei Teelichter aufgestellt, was Rafael sehr erregt, weil seine Gäste in Dunkel sitzen.

Ein Tag später, wieder Bremen. Ich sitze im dreijahre einem ambitionierten Restaurantprojekt, zweier jungen Frauen, die sich jeden Donnerstag einen Gastkoch einladen, drei Jahre lang. Mich erwischt ein Koch Namens Jürgen, der zur Vorspeise karamellisierte Spargeltörtchen serviert, in Wahrheit ein süßer Eierstich mit verlorenen Spargelabschnitten. Die Zanderkrusteln dazu, zwei Stück, sind winzige Fischstreifen in ledrig-labberiger Eihülle. Der Hauptgang, eine Perlhuhnbrust mit Safran-Farce ist vom Safran überwürzt, der Gaumen fällt in eine schwere Lähmung. Das ganze auf lahmem Sauerampferpüree und langweiligen Portobello-Pilzen, insgesamt gemahnt der Hauptgang an die industriell gesteuerte Hotelküche der frühen Achtziger („Kochen mit Liebe und Eto“). Gelungen ist das Limonensorbet mit Olivenöl und Fleur de sel à la vanille. Leider total zerlaufen, der Koch entschuldigt sich, er habe für alle Gänge nur die gleichen Teller und die seien jetzt noch warm gewesen vom Spülen. Vier Stunden dauerte übrigens das Servieren des Menüs.

Na, können Sie noch? Dann weiter, zum Höhepunkt meiner kulinarischen Woche. Zurück in Hamburg arbeiten die Liebste und ich an unserem Projekt. Als wir vor zwei Jahren in diese Gegend zogen, erklärten wir es zu unserem Ziel, jedes Restaurant im Eppendorfer Wegeinmal zu besuchen und an Restaurants ist der Eppendorfer Weg nicht gerade arm. An guten Restaurants schon, wie wir mittlerweile wissen. Gestern liefen wir fassungslos die Strasse hinunter, alle Außenplätze aller Restaurants belegt. Selbst beim Vater von „Gute Zeiten-Schlechte Zeiten“-Starlet und „Let´s Dance“-Tänzerin Susan Sideropoulos ist der üppig illuminierte Straßenanbau voll besetzt. Der Grieche Pierro Sideropoulos führt seit knapp drei Jahrzehnten sein italienisches Remidemi-Restaurant La Casita,das ist Kult, da ist Stimmung. Aber auch: verkochte, matschige Nudeln, die Tomatensauce allesamt viel zu sauer, Fisch in Miniaturportionen und durchgebraten. Entgegen meiner Maxime, jedes Restaurant, bevor ich darüber schreibe, zweimal zu Besuchen, überwog in diesem Fall der Selbstschutz. Aber: Terrazza voll! Sommer, Sonne, Sonnenschein, die Leute ziehn sich alles rein. „Unglaublich, merken die denn nichts?“ fragt sich nicht nur die Liebste.

An diesem Abend landen wir im Casa de Aragon. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen um meine Schwierigkeiten mit der spanischen Küche, nicht wundern, ich trage stets die Hoffnung in mir. 20:00 Uhr. Die improvisierte Gartenlaube ist ausverkauft. Von drinnen holt der überdurchschnittlich freundliche und bemühte Service noch ein Tischchen für uns, Decke, Windlicht, Willkommenssherry mit Olive. Der Sherry korkt. Die Aioli schmeckt nach Magarine. „Nein“ sagt der Serviceleiter, „die schmeckt so komisch wegen der Hitze.“ Beruhigend. Der Vorspeisensalat besteht aus riesigen Salatblättern in Öl. Die Haut der Milchlammkeule wirkt wie weiches Leder, mit Zimt gepudert. Das Fleisch ist butterzart und köstlich. Wäre da nicht diese klumpig, schwere, dicke Häufchen bildende Mehlschwitzenbratensoße und das rohe Gemüse (Broccoli!). Und die Kartoffeln. Öltriefende, ausgebackene Kartoffelscheiben, weich, matschig, geschmacklos. Im Rosado schwimmen Korkstückchen.

Zuhause lesen wir nach. Im eben erschienenen SZENE Hamburg Special „Essen+Trinken“, dem halbjährlich erscheinenden Restaurantführer für die Hansestadt im Zeitschriftenformat. Über das Casa de Aragon weiß der Tester zu berichten von: „…einem gastronomischen Verwöhnprogramm de luxe.“ Hä? Gerügt wird, am Ende der überschwänglichen Lobeshymne lediglich der Salat: „Jungs, Salat ist mehr als Blätter mit Öl.“ Während mein Lieblingsgriecheunbegründeter Weise, aber doch jedes Mal zähneklappernd auf das Erscheinen des Magazins wartet, haben die Betreiber des Casa de Aragon es in 14 Tagen nicht geschafft, die Kritik zu lesen, immer noch werden Blätter in Öl serviert. Oder es ist ihnen schlicht egal. Mit dieser Egal-Haltung stehen sie keineswegs allein da, diese Egal-Haltung resultiert aus dem anhaltenden Gästestrom der Kritiklosen.

Und das ist es, was wir uns alle für diesen Sommer vornehmen sollten. Kritisch zu bleiben, auch wenn der Garten lauschig und die Nacht sternenklar ist. Und Stellung beziehen, darüber schreiben, im eigenen Blog oder bei Qype. Jeder Mensch ist ein Tester, hat seinen persönlichen Geschmack und viele Beiträge schaffen zumindest ein Durchschnitts-Bild eines Restaurants. Bei Qype warnte der Member kleppten übrigens schon am 13.01.2007 nachdrücklich vor der Sauce zum Milchlamm. Ja, lesen sollte man die Sachen auch. Bevor man losgeht.

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Donnerstag, 7. Juni 2007
Mindestenshaltbar 0306: Vom Meer

Die neue Ausgabe von mindestenshaltbar ist online. Diesmal mit Texten zum Thema Meer von: Frau Klugscheisser, Modeste, Maximilian "Merlix" Buddenbohm, Grete, Moni, Don Dahlmann, Pia Januszek, Isabo, Titania Carthaga, Ally Klein und mir.
Es freut mich besonders, dass ich diese Ausgabe komplett fotografisch bebildern durfte. Ich hoffe es gefällt, lesenswert ist das „magazin für meinungen“ allemal wieder:

mindestenshaltbar.net

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Mittwoch, 6. Juni 2007
Gastspiel zum Saisonende: KAFFEE.SATZ.LESEN auf der literatur-altonale


Flyer:Stil.3

Zum Ende der Saison, bevor wir bis September in die Sommerpause gehen, gibt es kommenden Sonntag noch eine weitere Ausgabe von KAFFEE.SATZ.LESEN. Eingeladen hat die literaturaltonale und wir sind zu Gast im Hafenklang Exil in Altona. Dort empfehlen wir als Sommerlektüre noch einmal unsere aktuelle Anthologie und konnten für die Lesung spannende Gäste gewinnen, die neue Texte lesen werden.

literatur-altonale präsentiert:
KAFFEE.SATZ.LESEN 41 - „die Anthologie auf der altonale“
mit
Ina Bruchlos | Nils Mohl
Andreas Münzner | Sascha Piroth | Alexander Rösler

Sonntag 10.06.2007
Hafenklang Exil
Große Bergstrasse (ehemaliges Karstadt-Gebäude)

Beginn: 15.00 Uhr (Achtung:pünktlich und eine Stunde früher als gewohnt!)
Eintritt: 5 Euro

Es lesen:

Ina Bruchlos *1966
Wer kennt sie nicht, die Verkäufer, die so tun, als wollten sie helfen und alles nur noch schwieriger machen, die Telefonate mit der Mutter, die sich Eselsbrücken schafft, die keine sind. Es geht um Gesellschaftsspiele, in denen am Ende niemand mehr weiß, was er am Anfang raten sollte, und die Frage, warum Künstler eigentlich nie lächeln. In Bruchlos’ Texten geht es um die Grenzen der Kommunikation, um die Sprache in ihrer ganzen Missverständlichkeit.
Ina Bruchlos lebt seit 97 in Hamburg und studierte Freie Kunst an der HfbK Hamburg. Sie arbeitet in den Bereichen Malerei und Literatur. 2005 veröffentlichte sie im Nachttischbuchverlag den Erzählband: „Nennt mich nicht Polke“ und 2006 „Mittwochskartoffeln“. 2002 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Literatur.

Nils Mohl *1971
lebt in Hamburg. Dorothea Dieckmann meint: "Nils Mohl beherrscht den Ton, und nicht nur einen. Seine Geschichten sind schnell, präzise, leicht surreal und sehr sinnlich." Dem ist nichts hinzuzufügen.

http://www.nilsmohl.de/

Andreas Münzner *1967
in Mount Kisco (USA) geboren, wuchs in der Schweiz auf und lebt heute in Hamburg. Er arbeitet als freier Autor und Übersetzer. Sein Roman „Die Höhe der Alpen“ erschien 2002 im rowohlt Verlag und wurde unter anderem mit dem Literaturförderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung und dem Irmgard Heilmann-Preis ausgezeichnet. 2004 hat er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur, dem Wettbewerb um den Bachmannpreis in Klagenfurt, teilgenommen, im November 2005 wurde ihm der Ernst-Meister-Förderpreis für Lyrik der Stadt Hagen verliehen. Im September 2005 erschien „Geographien“ in der Verlagsbuchhandlung Liebeskind, eine Sammlung aus Prosaminiaturen, „in der die Entfernungen zwischen Orten geringer werden und die Abstände zwischen den Menschen größer“ (aus der Verlagsvorschau).

Sascha Piroth *1971
lebt in Hamburg, er ist Graphiker, Texter, Illustrator und Autor. Und Fotograf. Und bildender Künstler. Und Schauspieler. Und so wird seine Lesung wohl wieder eine theatrale Odyssee mitten durch unsere Kindheit, durch ferne wie innere Landstriche, durch Traum und Alptraum werden. Eines zumindest schwant uns: öde wird das nicht.

http://www.weissepixel.de/

Alexander Rösler *1965
in Kassel geboren, studierte in Berlin Medizin. Als Assistenzarzt arbeitete er in Marburg, Chicago, Basel und Frankfurt. Schon vor seiner Habilitation in Hamburg schrieb Roesler. Unterstützung fand er durch das Hessische Literaturforum und einen Stipendiumsaufenthalt im Kloster Cismar. Seine so kurzen wie komischen Alltagsbetrachtungen sind immer treffend und auf den Punkt geschrieben. Er veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und einen Roman: "Man sieht sich", Arena Verlag, 2000. "Neues vom Taugenichts", erscheint 2008 ebenfalls im Arena Verlag.

DIE ANTHOLOGIE:

KAFFEE.SATZ.LESEN 13 - 31

Der Hamburger Sonntagssalon für neue Literatur.

KAFFEE.SATZ.LESEN 13-31, die Anthologie?19 Nachmittage | 60 Autoren | 67 Erzählungen, mairischVerlag Hamburg, 2006 / 368 Seiten / 15,90 €
ISBN 3-938539-05-4

19 Nachmittage | 60 Autoren | 67 Erzählungen mit

Sven Amtsberg | Natalie Balkow | Sigrid Behrens | Katharina "Lyssa" Borchert | Ina Bruchlos | Mirco Buchwitz | Jan Christophersen | Reverend Ch. Dabeler | Don Dahlmann | Jan Deichner | Kerstin Döring | Katrin Dorn | John von Düffel | Konstanze Ehrhardt | Gunter Gerlach | Michael Hasenfuß | Eric Hegmann | Sven Heine | Finn-Ole Heinrich | Nils Heinrich | Almut Klotz | Torsten M. Krogh (aka Bud Rose) | Mareike Krügel | Benjamin Maack | Jeffrey McDaniel | June Melby | Andreas Melchner | Jörg Meyerhoff | Nils Mohl | Andreas Münzner | Arne Nielsen | Jürgen Noltensmeier | Sebastian Orlac | Stevan Paul | Sascha Piroth | Alexander Posch | Peter Praschl | Arne Rautenberg | Charlotte Richter-Peill | Annette Riestenpatt | Alexander Rösler | Angela Rotermund | Tex Rubinowitz | Martin Schäfer | Roberta Schneider | Xochil A. Schütz | Annette Schwarz | Christoph Simon | Wiebke Spannuth-Maginess | Janna Steenfatt | Andreas Udluft | Anne-Ev Ustorf | Birgit Utz | Johanna Wack | Michael Weins | Alicja Wendt | Mek Wito | Maite Woköck | Klaus Cäsar Zehrer | Enno Zweyner

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Donnerstag, 31. Mai 2007
Lilly!


Dein Onkel Paulsen, noch im Schlafanzug, die Nasenhupe drückend, 31.05.2007

Liebe Lilly,

herzlich willkommen! Schön dass Du endlich da bist. Das wurd ja auch Zeit. Wir haben schon gewartet. Als Du dann heute Nacht um 5:15 Uhr angekommen bist, da hab ich natürlich geschlafen, so ein Mist. Aber weißt Du, so als mittlerweile zweifacher Onkel und in meinem Alter, da braucht man einfach seinen Schlaf. Heute Morgen habe ich dann Deine SMS gelesen, mir einen Kaffee gebrüht und mich still gefreut an meinem Schreibtisch.

Ich kann es kaum erwarten Dich zu sehen! Bestimmt gibts bald ein Foto von Dir im Blog Deiner Mutter. Ich kuck da jetzt mal alle 15 Minuten.

Bestimmt siehst Du wunderschön aus! In unserer Familie kann man zwei Nasen erben, entweder eine große oder eine kleine Nase. Deine Mutter ist eine attraktive Frau mit schmaler Nase. Ich glaube, da hast Du Glück. Die große Nase, die hab ich und für Dich drück ich die dann immer und mache dazu Hup-Geräusche, das ist die absolute Knaller-Nummer!

Hab einen schönen Geburtstag heute. Ja, ich weiß, die Welt ist anstrengen, viel zu hell und viel zu laut und saukalt. Man gewöhnt sich aber dran und freut sich irgendwann über das Licht und aus dem Lärm kommt manchmal Musik und Deine Eltern wärmen Dich.

Ich muss jetzt los, aber ich denk an Dich und ich wünsche Dir einen gemütlichen Start in ein spannendes Leben! Wir sehen uns bald mal ja?

bis dann, ich freu mich,

Hup-hup!

Dein Onkel Paulsen

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Montag, 28. Mai 2007
Danke!


Toni Mahoni und Band, live bei Kaffee.Satz.Lesen, Foto:mcwinkel

Es ist schwierig, als Veranstalter rückblickend über die eigene Veranstaltung zu schreiben, zu schmal ist der Grat zwischen Selbstkritik und Eigenlob und es sind letztendlich einzig und allein die Künstler, die mit ihren Auftritten eine Veranstaltung zum Leuchten bringen. Darum von mir nur ganz kurz: Ich war sehr glücklich gestern und dankbar. Einen schöneren runden Geburtstag unserer Lesereihe hätte ich mir nicht wünschen können.

Vielen Dank an Susanna Mewe, Sigrid Behrens, Michael Weins, Nils Heinrich sowie Toni Mahoni und seiner Band, Pierre Robert am Piano und Lofi Emulator an der Gitarre. Danke auch an das Publikum und die vielen Blogger, die durch Hinweise auf die Veranstaltung in ihren Blogs dafür sorgten, dass unsere kleine Non-Profit-Veranstaltung trotz Brückentag üppig besucht war.

Wie es so war, ist hier nachzulesen bei:

wirres.net

mcwinkel

Und Fotos sicherlich bald:

Hier

(Wegen Spam-Scheiße hab ich keine Referrer, Hinweise auf weitere Besprechungen und/oder Fotos bitte gerne in den Comments.)

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Sonntag, 27. Mai 2007
Die teuerste Zeitschrift der Welt

Wir Männer haben es schwer. Im Supermarkt immer diese Entscheidung: nehmen wir die Schlange zur jungen, attraktiven Kassiererin, oder entscheiden wir uns für die erfahrene, reifere Kollegin. Ich Idiot habe mich gestern für die erste Variante entscheiden. Packe also meine Wochenendeeinkäufe aufs Band. Einkäufe für ein langes Wochenende, für zwei Personen. Ein bisschen Frühstückskram, Abendessen, bisschen unnötiger Luxus in Form von Schokolade und Eis. Dazu die GALA für die Liebste. Die junge, attraktive Kassiererin zieht die Ware über den Scanner, pieppieppiep…piiiiep! Die GALA streikt und muss händisch eingetippt werden. Flott geht das.
102,56 Euro sagt die Kassiererin. Menno, denke ich, die Kohle fliegt echt zum Fenster raus, denke ich, ziehe das Geld aus dem Portemonnaie. Stutze. Momenteinmal. „Was kostet denn da 100 Euro bitte?“ frage ich einfach mal so. Augenrollend druckt die junge Frau den Bon aus, reißt den Zettel schwer genervt ab und studiert das Kleingedruckte. „Ja gut“ sagt sie, „die GALA kostet ja allein schon 52 Euro“. Sie hält die Hand auf. Ich sag jetzt mal nichts. Die Minuten verstreichen. Hinter mir wird schon gehupt. „Ach!“, ruft die Kassiererin, ein Licht geht auf und ein Sack voll Groschen fällt, „ zweifünfzig und nicht zweiundfünfzig!“. Ich nicke. Da hab ich mal echt Geld gespart.

Die teuerste Zeitschrift der Welt ist übrigens widererwartend nicht die GALA im WALMART, sondern die Zeitschrift RICH. Die wird in Deutschland am 8. September 2007 erscheinen und kostet erstmal nix. Teuer wird es trotzdem, denn die Zeitschrift gibt es nicht im Handel. Die bekommt man ungefragt von der RICH Germany AG zugeschickt. Wenn man Millionär ist. 100.000 Menschen mit einem Vermögen von mehr als 1 Million Dollar bekommen das Heft zweimal gratis, dann kann ein Jahresabo für günstige 80 Euro abgeschlossen werden. Dieser Betrag sei lediglich als Wertschätzung für die Arbeit der Redaktion zu verstehen, so der Verlag. Chefredakteur wird Christian Müller, ehemaliger Chefredakteur der "SFT", Co-Chefredakteur wird Andreas Wrede, der zuvor für "Max" und "GQ" tätig war. Ein Wiedersehen gibt es mit Helmut Thoma! „Wir freuen uns, dass wir mit Helmut Thoma einen der renommiertesten Medienmanager Europas als Berater und Gesellschafter gewinnen konnten. Gemeinsam mit ihm werden wir mit dem Statusmagazin "Rich" ein ganz neues Zeitschriftensegment begründen“, so Herausgeber Christian Geltenpoth.

Wie das Magazin aber an die Adressen seiner Leser kommen will ist unklar. Vielleicht systematische Postsichtungen in verdächtigen Stadtvierteln! Klappte unlängst in Hamburg schon prima. Vielleicht weiß ja auch Herr Schäuble Rat!

Mehr Infos bei dwdl-das medienmagazin:

http://www.dwdl.de/article/news_10853,00.html

http://www.dwdl.de/article/news_10942,00.html

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Samstag, 26. Mai 2007
„Ich zieh mich dann mal aus.“ - DJ Paulsens letzter Auftritt.

Die Wahl eines Hochzeits-DJs gehört zu den größeren Herausforderungen die das Leben für einen Mann bereit hält. Wenn man dann noch, wie ich, den eigenen Musikgeschmack für den ausgesuchtesten der Welt hält und selbst auf eine DJ-Laufbahn zurückblickt, ist das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Freudlos war die Suche. Mit dem ersten Bewerber lieferte ich mir ein halbstündiges Namedropping obskurer, musikalischer Eintagsfliegen, der Verlierer rächte sich mit einem unbezahlbaren Preisangebot, satt vierstellig plus Technik. Ich durfte mir Sätze anhören wie: „Nein, die Achtziger sind erstmal kein Problem, sondern ein Jahrzehnt.“
Der Hochzeits-DJ den wir jetzt gefunden haben, der trägt gefärbte Strähnchen im Haar und spricht wie Dieter Bohlen, versprach aber das Mikrophon nicht anzurühren. Zwei Stunden hörte er sich meine Erläuterungen zur Geschichte der Populärmusik an, rollte gemeinsam mit der Liebsten die Augen und zuckte nur kurz, als wir ihm unsere schwarze Liste überreichten:
„Wie auch kein U2?“
„Kein U2.“
„Aber die alten Sachen von denen?“
„Die gerade nicht!“
Ich hab ein bisschen Angst, die Liebste sagt aber, sie und der DJ würden das schon machen und ich solle jetzt mal Ruhe geben. Der DJ lobte die Liebste für ihren Sachverstand.

Jahrelang legte ich Platten in den unbekanntesten Trinkstuben der Hansestadt auf, bis sich die Wirte erbarmten: „Komm, lass ma, da kommt jetzt keiner mehr.“ Langsam dämmerte mir damals, dass mein Musikgeschmack eher in die Einsamkeit als auf den Dancefloor führt und ich zog mich beleidigt aus dem Nachtleben zurück. Meinen letzten Auftritt als DJ hatte ich 2004. Ich folgte der Einladung einen Abend lang die Lesereihe Transit zu beschallen. Ich mag die Leute die das machen und ich mag das Konzept von Transit. Dort ist der DJ Künstler, genau wie die auftretenden Autoren auch. Es wird großen Wert auf individuelles und thematisches Auflegen gelegt und das Publikum macht mit, egal ob Country, Electro, Punk, es wird fröhlich zugehört. Das nur zu meiner Entschuldigung.

Ich also mit zwanzig Kilo Rocksteady-Platten bewaffnet den Laden bespielt. Kein dummes Gefrage, dankbare Kopfnicker. Herrlich. Plötzlich stand sie vor mir. Eine hübsche, sich aber offensichtlich im Drogenrausch befindliche, junge Frau. Ob ich schon wüsste, dass Hamburg im Bombenhagel Bin Ladens brennen wird? Ich zuckte mit den Achseln und studiere angestrengt die Plattenrillen der nächsten Scheibe. "Ich zieh mich dann mal aus." sagt sie plötzlich und zog sich aus. Schmuddeliges T-Shirt, schwarzer Spitzen-BH, raus aus den Klamotten. Sie stützte sich auf den DJ-Pult, ihre kleinen Brüste schwebten über dem Plattenteller, direkt vor meiner Nase. "Und?" fragte sie und blies sich dabei eine blonde Locke aus dem Gesicht.
Ich bin sehr gut erzogen, höflich, zurückhaltend zu mir unbekannten Damen und von schamhafter Schüchternheit. Ich errötete also gebührlich aus Gründen, stand da wie ein Schuljunge der noch nie eine weibliche Brust gesehen hatte, hob anerkennend den Daumen in die Höhe und drehte mich schnell wieder um, versank angestrengt in den Tiefen meines Plattenkoffers. Es nützte nichts.

"Jetzt Du!" sagte sie, "los, T-Shirt aus!". Ich schüttelte den Kopf, und erzürnte damit die Barbusige. Sie trat zwei Schritte zurück, zeigte mit dem Finger auf mich und brüllte: "das Arschloch will sich nicht ausziehen, immer muss ich mich ausziehen, Scheißmänner, alles Scheißmänner, der Arsch hier weigert sich!"
Gerade als ich zu kollabieren drohte, näherten sich zwei kopfschüttelnde Bekannte der Dame, halfen ihr, sich wieder anzuziehen und führten sie auf ein Mineralwasser an die Bar. Zehn Minuten später war sie wieder zurück. Und hatte einen Musikwunsch. Ich war froh, dass sie diesmal angezogen blieb. Nur so ist es eigentlich zu erklären, dass ich doch tatsächlich ihre mitgebrachte CD in den Player steckte. Um weiter Szenen zu vermeiden. Weil "The Streets" doch ganz ordentliche Musik ist. Schon nach wenigen Takten hakte die CD und sprang. Die Besucher der Veranstaltung sahen mich ein zweites Mal an diesem Abend mit großen Augen an. "Deine CD springt." sage ich und legte schnell eine Platte auf.
"Nein, die CD ist in Ordnung, Du bist nur so ein Scheiß-DJ." stellt meine neue Bekannte fest, forderte ihren Silberling zurück und ging.

Gerne möchte ich an dieser Stelle noch von einem DJ berichten dessen Lösung der Publikumswunsch-Problematik, nun ja, zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Andy, ein ganzkörpertätowierter Mensch der nur aus Knochen, Adern und Sehnen besteht, kaum mehr Zähne im Mund hat und damals halbnackt im BP1 auflegte. An guten Abenden trug er eine Hose oder ein Hemd, selten beides gleichzeitig. Permanent beschimpfte er alle Gäst als Arschwichser und Schleimmösen, verteilte großzügig Obszönitäten und fiel auch schon mal besoffen von der Kanzel. Dazu spielte er Elvis, Motorhead, Sex Pistols, Johnny Cash, Exploited und so. Einmal reichte ihm eine Studentin im selbst gewebten Wallawalla-Kleid eine CD von "Wir sind Helden" und bat ihn, doch bitte "Denkmal" zu spielen. Er beugte sich zu ihr vor, brüllte: "Hast Du heute Geburtstag?".
Sie so: "nee".
Er so: "dann verpiss Dich."

Nicht sehr nett, zeugt aber von Charakter und Spielfreude. DJ Andy bespielt übrigens grundsätzlich keine Hochzeiten. Ich begrüße das. Glaub ich.

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