Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 9. Dezember 2008
riddim special: Bob Marley. Fakten statt Mythos

Och nö, ne? Wer bitte braucht denn eine Hochglanz-Sonderausgabe des Reggae-Magazins riddim zu Leben und Werk Bob Marleys?

Ich zum Beispiel. Schon die Kombination von riddim und Bob Marley führt unweigerlich zum Zwangskauf, ich bin Leser der Zeitschrift riddim, deren Autoren es an Sorgfalt und Enthusiasmus nie mangeln lassen und ich halte das Œuvre Bob Marleys für ein wichtiges, musikalisches Kulturgut. Das bereits in Vergessenheit gerät, zumindest im eigenen Land, wie Mel Cooke gleich zu Anfang des Heftes berichtet. Auf Jamaika tönen, immer seltener, die immergleichen vier-fünf leicht verdaulichen Songs aus den Boxenbergen.

In Deutschland hingegen gilt Marley unter Musikfreunden ohne direkte Reggae-Ausrichtung als tot gespielte Karibik-Folklore. Hier resultiert die Abneigung eher aus Unwissenheit, als aus Übersättigung, hinter dem ewigen „No Woman no cry“, "I shot the sheriff" und dem in den Achtzigern erfolgreich wiederbelebten „Iron Lion Zion“ verbirgt sich ein gigantischer Backkatalog der besten und einflussreichsten Reggae Songs unserer Zeit. Vielleicht ist es ja doch Zeit für dieses Heft das seit Anfang Dezember am Kiosk liegt, wenn gleich natürlich nur Fans und Fachleute zugreifen werden, anderen Menschen ist der Heftpreis von 7,90 € erstmal nicht einfach zu zumuten.
Dabei stimmt der Gegenwert!

Während das „Warmup“ noch etwas geschwätzig daherkommt , mit kurzen Erinnerungen und Döntjes verschiedenster Wegbegleiter, gelingt es der riddim Redaktion im weiteren Verlauf ihr Versprechen einzulösen „die Mythen und Legenden weitgehend zu umschiffen in dem wir hauptsächlich mit Autoren gearbeitet haben, die ihn kennen gelernt und /oder mit Leuten gesprochen haben, die zu seinem engsten Freundeskreis gehörten“.

Die Liste der Beiträger ist tatsächlich interessant, den Anfang bei den Langstrecken macht der von mir sehr verehrte Helmut Philipps, dessen Buch über Reggae in Deutschland ich hier besprochen habe. Mit „To the rescue here I am“ hat Philipps einen Artikel geschrieben, der nicht nur für Fans und Fachleute relevant sein dürfte, ich hoffe auf einen Online-Veröffentlichung. Philipps nähert sich Marley abseits des Bildes eines „ niemals alternden, immer kickenden, ewig kiffenden, Dreadlocks schleudernden, Mysterien beladenen Rastamann“. Gleich zu Beginn des Artikels nennt Philipps die Sachlage beim Namen „Eine Benutzeroberfläche für Jedermann“ sei Marley geworden, ein „Hochglanz-Mythos überhöht bis ins Absurde“, findet auch deutliche Worte für die Witwe auf den Dollarbergen, die sich Queen nennt und Frau war von einem, der niemals König sein wollte. Phillips erzählt Marleys Kurzbiographie anhand von Fakten und rückt an mancher Stelle die Dinge gerade, zum Beispiel die Mythologisierung Marleys als Rastafari Leader, „…gemessen an seinem Gesamtwerk scheint das Verhältnis zu Rastafari jedoch überbewertet“. Der eher politisch geprägte Poet, Sänger und Visionär sagte selbst einmal: „This is not religion this is life!“

Die Zeitzeugen die später im Heft zu Wort kommen, verstärken den Eindruck vom Mensch Marley, der zum Beispiel das Alkoholverbot für Rastas umging indem er Bier trank und diesen scheinbaren Verstoß auch wissenschaftlich entkräften konnte „…herbs and hops have de same roots.“ ("Hops & Herbs in Heidelberg" von Hermann Moter). Mel Cooke berichtet von Marleys ausgeprägtem Geschäftssinn, erklärt den globalen „Tuff Gong“ und sinniert über Marleys Klamotten, ein schöner Mix. Roger Steffens erzählt die Geschichte der Wailers.

In einer eigenen Geschichte erzählt Beverley Kelso ihre Geschichte der Wailers, jene Frau die heute als die vergessene Stimme der Wailers gilt. Spannend!
David Katz beleuchtet das Verhältnis zwischen Marley und Lee Scratch Perry. Lesenswert auch das Interview mit Marley Biograph Stephen Davis, Publizist Jeff Walker und dem Filmemacher Carl Colby. Ein Gipfeltreffen der Erinnerung, das den Anschlag auf Bob Marley 1976 kritisch beleuchtet und vom anschließenden, legendären "Smile Jamaica" Konzert erzählt.

Vivien Goldmann und Chris Salewicz (Autor des Buches Rude Boy) werfen in zwei Beiträgen einen Blick auf das gewalttätige Jamaika von gestern und heute, Goldmann erzählt von Marleys Jahren im Londoner Exil. Roger Steffens war mit Bob Marley auf Tour und, und, und…

…wir sind gerade mal auf Seite 69 des 122 seitigen Sonderheftes. Natürlich kommt die Marley Familie zu Ehren, die Söhne, Rita Marley und auch die in Jamaika geborene Cindy Breakspeare, hellhäutige Muse und Geliebte Bob Marleys und Mutter des von mir sehr verehrten Damian Marley, dessen letztes Hamburg-Konzert ich hier besprach.

Auf der beigelegt DVD befinden sich drei gefilmte, sehr alte, nie gesehene Interviews die Roger Steffens mit den Wailers, Peter Tosh und Judy Mowatt geführt hat, sowie ein Mitschnitt eines Vortrages von Fully Fullwood & Junior Marvin ("Tosh meets Marley") an der Reggae University beim Rototom Sunsplash 2008. Nicht uninteressant sind auch die Platten & DVD Besprechungen und Reviews am Ende des Heftes, die im endlosen Strom obskurer Marley-Veröffentlichungen Orientierung bieten.

Es ist der riddim Redaktion ein schöner Wurf gelungen, wer keine Lust hat sich in die zahlreichen Marley Biographie zu vertiefen, wird hier gut und spannend unterhalten und ist schnell und mythenfrei informiert.

Links zum Thema:

http://www.riddim.de/

http://web.bobmarley.com/index.jsp

http://www.myspace.com/bobmarley

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