Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 4. August 2008
Herr Paulsen geht aus: Polo Players Night 2008, Kampen, Sylt

Herr Loco hat zu seinem Geburtstag auf die Insel geladen, am Vorabend der Feierlichkeiten speisen wir gemeinsam im bescheidenen Feriendomizil der Familie Loco. Natürlich wird selbst gekocht, schön oldschool, gebratene Jakobsmuscheln auf Gurkensalat mit Senf-Créme Fraîche, danach gebratener Fisch auf Spaghetti aglio olio. So manche kühl betaute Flasche Rosé wird geöffnet. Zum Kaffee dann der Plan, man könne doch im vornehmen Kampen noch schön das Tanzbein schwingen, fremde Welten entdecken.
Super Idee, erstmal.

Pony Club Kampen

Der Pony Club Kampen ist der älteste Club Deutschlands, im eleganten Ambiente feiern seit 45 Jahren überwiegend Reiche und Prominente. Und an diesem Abend auch die besten Polo-Spieler der Welt. Der Club hat, anlässlich der German Polo Masters Sylt 2008, zur nächtlichen Sause geladen, wir stehen nicht auf der Gästeliste. Die Gästeliste ist umfangreich, dick wie ein Versandhaus-Katalog, trotzdem sind wir uns ziemlich sicher: wir stehen nicht drauf. Während ich noch überlege, wie wir an der menschlichen Schrankwand hinter dem Klemmbrett vorbei kommen könnten (reden? rennen?), betritt Frau Loco bereits zügig den Club im Windschatten eines Gläser-Lieferanten. Die Liebste, Herr Loco und ich hinterher, geschäftiger Blick, einen imaginären Kaugummi kauend. Wir sind drin.

Die drei Fotografen, die im Eingangsbereich rumlungern, sehen nur kurz zu uns herüber, lassen enttäuscht die Kameras wieder sinken. Wir sind früh dran, es findet sich sogar noch ein Plätzchen an der Außen-Bar des Clubs. Bevor wir unsere Bestellung aufgeben können, verunsichert uns der Barkeeper mit der Aussage wir gehörten doch „sicher auch zur Polo Players Night“. Wir verneinen, falsche Antwort, ich kann es in den Augen des Barkeepers sehen, aber drin ist drin und wir zahlen einfach unsere Drinks selber, statt den Sponsoren auf der Tasche zu liegen.

Die Kampener Gesellschaft ist in Lauerstellung. Blicke flirren durch die warme Sommernacht, auffällig unauffällig sehen sich die Gäste untereinander um, werde ich gesehen, sieht mich jemand, bin ich wer, wer bin ich eigentlich? Kollektiv zucken die Barbesucher immer dann zusammen, wenn vom Eingangsbereich her das Blitzlicht der Paparazzi aufflammt. Wer mag das sein? Wer da? Wer kommt? Alle Köpfe drehen sich zum Eingang. Aber unauffällig!

Dicke Zigarren glimmen, Champagnerflaschen und dicke Herren drängeln sich an der Theke, dünne Damen lachen zu laut, Haare wirbeln in Parfümwolken, Bäuche spannen, Kleider rutschen, das eigene Aussehen wird regelmäßig in der Spiegelung des nächsten Sektkühlers überprüft. Mir wird plötzlich ganz heiß. Es fällt mir auf, dass ich wahrscheinlich der einzige Mensch in diesem Club bin, der komplett in H&M gekleidet ist. Anzug, Hemd, alles H&M. Ich flüstere meine Bedenken der Liebsten ins Ohr. Die Liebste beschwichtigt: das ginge schon mal, wenn man die Günstig-Klamotte mit einem wertigen Accessoire kombinieren und somit aufwerten würde. Heimlich suche ich mein wertiges Accessoire, dann frage ich noch mal nach. Nein, die Liebste bestätigt, ich habe tatsächlich kein aufwertendes Accessoire. Mist.

Mitternacht! Stevie Wonder schnulzt „Happy Birthday“ und ich bin begeistert. Die wissen hier das Freund Loco heute Geburtstag hat! Leider muss er sich seinen Geburtstag mit einem argentinischen Polo-Spieler teilen, der jetzt von seinen Team-Kollegen ins Blitzlicht geschultert wird. Wir stoßen im Schatten mit Champagner an. Uns ist langweilig. Aus dem Bauch des Clubs dröhnt drohend Dutz-Batz-House. Zahlen! Wir könnten ja zum Tanzen noch ins Rote Kliff gehen.

Rotes Kliff

Die Sylter Disco-Legende „Rotes Kliff“ besticht zunächst durch klaustrophobische Enge im holzgetäfelten Mini-Club mit extrem niedriger Decke. Erinnerungen an die depressiven Landdiskotheken meiner verzweifelten Jugend in der oberschwäbischen Provinz werden wach. Der überwiegende Teil der rund zweihundert volltrunkenen Pennäler im Club trägt aufgeföhnte Gel-Frisuren für die es eigentlich auf jedem anständigen Schulhof erstmal mit Schmackes auf die Lippe gäbe. Dünne Ärmchen recken sich aus gestärkten van Laack-Hemden zur Decke, volltrunken grölen erhitze Milchgesichter zum Elektrobrei von Schlager-Fake Alexander Marcus (alias DJ Felix Rennefeld) :

Heute hauen wir richtig auf die Pauke
Und der ganze Ärger bleibt zuhause
Wir wandern von der Oder bis zum Rhein
Es ist angezapft, komm schenk was ein!

Wir singen 1, 2, 3
Oh du wunderschöne Loreley
Endlich geht's nach vorne
Schwarz-rot-gold
Das sind unsere Farben
Der Wagen rollt

Da rollt also wieder was in Deutschland und hier ganz besonders der Rubel. Am Nebentisch teilen sich Söhne erfolgreicher Eltern eine Sechsliterflasche „Grey Goose“ Vodka für 1.400 Euro. Erste Alkoholausfälle schlafen in dunklen Ecken ihren Rausch aus, an einer Eisenstange hängend entdeckt ein volltrunkener Bub seine Sexualität. Nicht schön. Aber unterhaltsam. Die eigene Fassungslosigkeit ist zwar nicht abendfüllend, macht aber durchaus ein Stündchen Spaß. Und die Musik! Die armen Kinder hören genau die Musik, die wir uns schon in den Achtzigern zu hören weigerten. Die dumpfsten und grausamsten Popsongs, aus diesem an dumpfen und grausamen Popsongs reichen Jahrzehnt, quellen aus den Boxen, verziert mit frisch hinzugefügten dumpfen Technobordüren.

Schon um zwei Uhr beenden wir unser „Big Night Out“ in Kampen, es gibt vor dem Roten Kliff Club noch eine wirklich ausgezeichnete Rostbratwurst vom Grill und wir fahren mit dem guten Gefühl nachhause, in Zukunft nichts verpasst zu haben.

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