Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 25. Juni 2005
Kochlöffel sind meine Lieblingsstöckchen.

Wieder mal eine Ketten-Umfrage, die ich diesmal sehr, sehr gerne beantworte. Es geht ums Kochen und den Kochlöffel haben Mutant und Mequito geworfen, drei gute Gründe mal etwas auszuschweifen.

1. Was fällt dir zu deinem ersten Kochversuch ein?

Grüne Götterspeise. Das Rezept stand auf der Packung und ich konnte schon lesen. Mutter mahnte stets, ich möge nicht mit den Fingern in die warme Götterspeise kommen und auch nicht mit eingespeicheltem Löffel, sonst würde die Speise nicht fest. Kinder belügen ist nicht schön.
Und „Krachelchen“. In Großmutters Küche.

Großmutter machte immer „Krachelchen“, röstete Toastwürfel in schäumender Butter, salzte leicht. Die schwere, schwarze, verbeulte Pfanne erzeugte Schmerzen in den dünnen Kinderarmen, meine Krachelchen waren auch sehr dunkel von der verbrannten Butter, trotzdem schön, mein erstes, selbst zubereitetes, warmes Essen.

2 . Wer hatte größten Einfluss auf deinen Kochstil?

Zweifelsohne mein Lehrherr, nennen wir ihn Monsieur, er hasste jede Art von Öffentlichkeit und so werde ich seinen Namen im Internet respektvoll verschweigen.
Ende der Achtziger. Die Küche in Deutschland war immernoch auf „Nouvelle Cuisine“, Monsieur war das nicht genug, er kochte euro-asiatisch, er trat den jämmerlichen Frankreichgläubigen mit ihren fitzeligen Miniaturen jeden Tag in den Arsch. Miso, Wasabi, Uhlua, Mai-Mai, bei Monsieur gab es alles und zehn Jahre früher. Der Mann war Gott und alles blickte in seine Küche, in dieser Zeit. Nach einer achtwöchigen (!) Probezeit („ich trau Dir nicht Paulsen, mach doch noch mal eine Woche“), war ich aufgenommen, Lehrling, in den heiligen Hallen des Monsieur. Er wuchtete ein halbes Kilo Bewerbungen auf den Tisch, sagte: “Die sind von dieser Woche, (Kunstpause) du kannst anfangen.“
Er war der König, seine Lehrlinge waren Königskinder! Schon nach einem halben Jahr, es war das härteste meines Lebens, stand ich in der Küchenordnung über jedem ausgebildeten Koch, er verzieh jedem Witzigmann-Schüler alles, uns Lehrlingen nichts. Er schleifte uns durch eine Ausbildung, die an Härte und Menschlichkeit nichts fehlen ließ.

Sein Einsatz für die Kulinarik war gänzlich und bedingungslos. Und er war Künstler, er selbst würde sich nie so beschreiben, aber Kochen, das war für Ihn ein dringend zu erlernendes Handwerk, nur um dann alles in Frage zu stellen und neu zu arrangieren. Wir durften in unserer Mittagspause, sämtlich Produkte aus den Schränken zerren, für hunderte von Mark mixen und kneten. Abends betrat Monsieur das Schlachtfeld, baute sich am Pass auf und ließ servieren. Desaströs, eine Geldvernichtungsmaschine, ihm war es egal, manche Kreation schaffte es auf die abendliche Karte. Ein Adelsschlag.

Der mir nie gelang.
Gegen Ende des ersten Lehrjahrs war ich frustriert und arbeitete fast jeden Mittag an meinen Kreationen, frei nach Loriot, es muss gehen, andere tun es ja auch. Meine, wie ich fand, bisher beeindruckenste Erfindung, war ein Möhren-Ingwer-Eis. Also irgendwie doch bahnbrechend sensationell! Monsieur verzog das Gesicht, sah mich an und sprach sein Urteil: „Sag mal, was soll denn das? Sind wir hier eine ausgelagerte Produktionsstätte für Babynahrung? Schmeiß das weg!“ Und im Weggehen, verärgert: „ich bin doch nicht Herr Hipp“.

Bald entspann sich zwischen Monsieur und mir eine genüsslich ausgetragene Hassliebe. Nach einem, sagen wir mal schleppenden, Silvestermenü-Service, wurde es kurz ungemütlich für mich. Monsieur verweigerte meine Neujahrsgrüße, ich ging , feierte bis in den nächsten Tag hinein und erwachte, als das Telefon klingelte. Monsieur am Apparat mit einem speziellen Neujahrsgruß: “Paulsen, ich hätte dich gestern mit einer Rakete abschießen sollen, das wäre eine Erlösung gewesen!“, er vergaß auch nicht, mich darauf hinzuweisen, das ich ein Säufer und ein Hurenbock sei. Ich sah auf die Uhr.
Zwölf Uhr Mittags.
Mein Vorschlag, mir doch einen Urlaubstag abzuziehen, lief ins leere. „Das hab ich schon“

Als ich wieder nüchtern war, revanchierte ich mich. Monsieur liebte den Champagner, überall hatte er in der Küche Gläser mit dem herrlichen Prickel „versteckt“, in Kasserollen und Töpfen, die Landkarte der kücheneigenen Champagne hatte er im Kopf, steuerte bei Bedarf einen der vielen Geheimbunker an, ein Blick nach rechts, ein Blick nach links, schwupps, a votre santé, weiter. Kurz nach Neujahr bin ich dann, kurz vor dem Service mit einer angeritzten, superscharfen Piri-Piri-Pfefferschote rum gegangen und habe die Glasränder damit geputzt. Tränen der Rührung füllten Monsieurs Augen. Schon beim ersten Schluck.

Mit der Zeit wuchsen wir einander richtig ans Herz, der Monsieur und ich, er ließ mich teilhaben an seinem Universum, bestehend aus fünf Meter langen Fischen in Technicolor, mit lustigen Namen und säbelscharfen Zähnen („und im Fisch ist meistens noch ein kleinerer Fisch, quasi umsonst!“), ich durfte mithelfen bei seinem zweiten Buch ( „ich wirke schwul auf dem Titelfoto, und das wollen die auf der Buchmesse drei mal drei Meter groß machen, da geh ich gar nicht hin, da mache ich nicht mit..... Paulsen ! ich hab das gehört, deine rotzfreche Lache“)

Zum Ende meiner Lehrzeit, übergab er mir die Küchenleitung seines Bistros.Der Wehrdienst kam dazwischen, ich verweigerte, wurde Zivildienstleistender. Doch das ist eine andere Geschichte.

Einige Jahre später, mein Vater feierte seinen sechzigsten Geburtstag in Monsieurs Restaurant, erzählte mir Monsieur, bei einem Glas Champagner, in der dunklen, verlassenen Küche, etwas über sich. Beinahe zwanzig Jahre schon lehrte er Generationen von Jungköchen seine Kunst. Sie alle sind verschwunden, in anderen Berufen, haben aufgehört, oder betreiben einfachste Küchen in der Bedeutungslosigkeit. Sein einziger Wunsch, sei es einmal, nur ein einziges Mal, in einer Zeitschrift, den magischen Satz zu lesen : „Der Monsieur-Schüler soundso....“. Immer stünde da der Witzigmann-Schüler, der Müller-Schüler, der Wohlfahrt-Schüler, nie, nie, nie, nicht ein einziges Mal in zwanzig Jahren, der Satz der beginnt mit: „Der Monsieur-Schüler“. Ich begriff. Dieser öffentlichkeitsscheue Kochgott; selbst seinen eigenen Ruhm, wollte er, still und leise, aus der Distanz und wenn schon, durch andere leuchten sehen.
Auch ich koche schon lange nicht mehr in Restaurantküchen, arbeite aber immer noch in kulinarischen Gefilden und das Zeugnis von Monsieur, hat mir Türen geöffnet, die mir vielleicht verschlossen geblieben wären. Seine Leidenschaft war und ist mir Motor, bei allem was ich tue.

Vor zwei Jahren wurde ich in einer Zeitschrift vorgestellt, mit Foto, gleich auf Seite zwei, dort wo jeden Monat freie Mitarbeiter vorgestellt werden. Die Redaktion bat mich, doch ein paar Sätze zu meiner Person zu schicken.
Ich setzte mich an den Computer und schrieb:

“ Ich bin ein Schüler von Monsieur...“

3. Gibt es ein altes Foto als Beweis für frühes kulinarisches Interesse?

Sie meinen das Foto wo ich, sieben Jahre alt, in der elterlichen Küche stehe, in voller Kochmontur, eingekleidet für den Schulumzug beim Heimatfest („und jetzt, da kommen sie unsere fleißigen Schüler, gewandet in Kostüme die an Zünfte und Handwerk unserer schönen Stadt erinnern! Ein Applaus für unsere Kleinsten, die sich so auf diesen Tag gefreut haben!“). In der Hand halte ich einen schweinchenrosafarbenen Pudding namens „errötendes Mädchen“.
Leider ist mein Scanner kaputt.


(Illustration: Leon, 7 Jahre)

4. Leidest du an irgendeiner Art von kulinarischer Phobie?

Pferdefleisch. Erinnert mich an Tod und Verwesung. Der süßliche Geschmack erinnert mich an Leichengeruch. Einmal aß ich im Mercado in Hamburg an einem Stand eine Wurst. Beim ersten Bissen fiel mir der süßliche Geschmack auf. Mein Blick wanderte zum Schild des Wurststandes. Pferdewurst. Ich hätte fast in den Mülleimer gekotzt.

5.1 Welches Hilfsmittel in der Küche schätzt du am meisten?

Scharfe Messer. Scharfe Messer. Scharfe Messer. Und meinen geliebten Pürierstab. Und scharfe Messer.

5.2. Welches Hilfsmittel war der größte Reinfall?

Eieruhren. Kann man bitte aufhören mir lustige Eieruhren zu schenken? Ich kann nämlich die normale Uhr lesen und es stimmt auch alles mit meinem Gefühl. Danke.

6. Nenne eine seltsame oder verrückte Essenszusammenstellung, die du wirklich magst - und wahrscheinlich niemand sonst!

Auch die seltsamste oder verrückteste Kreation ist nichts wert, wenn sie nur mir schmeckt. Oder wie Monsieur es auszudrücken pflegte: „Das ist total am Gast vorbei gekocht“.

7. Auf welche drei Zutaten kannst du nicht verzichten?


Salz. Olivenöl. Knoblauch.

8. Dein Lieblingseis?

Karamel-Eis und Waldmeister-Softeis.

9. Was wirst du nie essen?

Pferdewurst.

10. Dein Spezialgericht?

Zur Zeit: Thunfischfilet kurz und scharf in Zitronenpfeffer anbraten, sofort in den Gefrierschrank um den Garprozess schnell zu stoppen. Dann in dünne Scheiben geschnitten, dazu Erbsen-Wasabi-Schaum, grobes Meersalz und Rote Bete-Sprossen. (Ich würde das gerne mal für Monsieur kochen.)

11. Welche Frage fehlt hier?

Macht Kochen glücklich?

Definitiv. Ich könnte nicht leben ohne Kochen & Essen. Ein ganzes Universum für alle Sinne, einer der schnellsten Wege Glück zu spüren. Dabei ist es ganz egal ob es sich dabei um Kartoffeln mit Butter und Salz handelt oder um Thunfisch mit Wasabischaum. Und es mag jetzt pathetisch klingen, aber ich empfinde es auch als großes Glück, andere Menschen mit kulinarischen Genüssen glücklich zu machen. Ich koche seit Jahren nicht mehr in Restaurants. Meine Rezepte finden sich in diversen Zeitschriften. Der Gedanke, dass Menschen zuhause, mit den von mir erdachten Rezepten einen schönen Abend haben, ein Fest feiern und wiederum ihre Gäste glücklich machen, das ist für mich das größte Glück.

Der Kochlöffel geht, und auch Mutant forderte schon dazu auf, an: Andropovs Onkel.

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