Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 12. Mai 2005
Testesser Paulsen berichtet: hin & veg!

Kinder essen tote Tiere! Mitten in Deutschland!

Haha. Recht hat er aber, der Josef Haderer, der einst diese Zeitungs-Schlagzeile für einen seiner Cartoons erdachte. Jetzt gibt es aber viele Kinder, die ticken anders, die möchten keine Tiere essen und wenn man eine Weile auf der Schlagzeile rumkaut, lässt man gerne mal das nächste Imbissbüdchen aus. So als Fleischfresser.

Ich bin auch so einer. Ich halte dünne Scheiben vom Sirloin-Steak (medium-rare) gebraten, mit grobem Meersalz und frisch geschrotetem Pfeffer bestreut für ein Grundrecht und nehme für die beste grobe Bratwurst kilometerlange Umwege in kauf. Ein perfektes Wiener Schnitzel ist für mich die essbare Version von „Freude schöner Götterfunken“ (alle Menschen werden Brüder, wo sich sanft Panade wellt) und Grillhähnchen mit knuspriger Paprika-Haut muss ich schnell einatmen, zu groß die Gefahr der Vogel könnte sich doch noch in die Lüfte schwingen.

Seit Jahren plagt mich aber das schlechte Gewissen. Es ist nicht wegen der süßen Tiere, es ist mehr der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, der mich zum Hobby-Vegetarier gemacht hat. Ich kann prima und kreativ ohne Fleisch kochen, ich habe das gelernt, das ist nicht das Problem. Mein Thema ist die Fleischsimulation, die Ersatzdroge, das Fleisch gewordene Placebo. Nach ersten Versuchen mit Tofu (quarkähnlicher Käse aus den Eiweißstoffen der Sojabohne) plagten mich Hungergefühle und Verlustängste. Dranbleiben Paulsen, dachte ich mir und habe dann sogar mal einen Tofu-Burger entwickelt der täuschend echt eine Art Fleischgeschmack simulierte. Das Geheimnis waren der Majoran und fein zerstäubte Röstzwiebeln, sowie die üppige Zugabe von Rauchsalz. Ich schickte das Rezept damals sogar an die größten Burgerketten der Welt um reich zu werden. Keine Antwort. Die Welt war noch nicht bereit. Aber ich war es und mit scharfen Asia-Pasten und augennässenden Gewürzmischungen erreichte ich gute Ergebnisse. Man schmeckte den Tofu nicht mehr, hatte aber irgendwas zwischen den Zähnen das nicht Fleisch war.

Als ich Seitan entdeckte, das sind diese grauen in Folie eingeschweißte Klumpen, ganz hinten im Kühlregal des Bioladens, das brach eine neue Dekade an! Seitan (Aus Weizeneiweiß (Gluten), Sojasauce, Kombualgen und Ingwer hergestelltes Fleischimitat), hatte ich zwar nicht erfunden, sondern buddhistische Mönche um 1900 rum, aber es öffnete mir die Tür zu vorgegaukelter Fleischeslust. Das beginnt beim Preis. 250 g Seitan kostet doppelt so viel wie 250 g Schweinenacken aus dem Supermarkt. Aber Seitan ist ein wahrer Allrounder, die Glutenpracht kann man in lustige Formen schneiden, braten, schmoren, grillen. Seitdem koche ich gerne mal ein schönes Seitangulasch, der Seitan-Döner ist auch sehr beliebt, nicht zu vergessen der Seitan „Wiener Art“ mit Gurkensalat.

Derart gesättigt verlor ich schon bald mein tief empfundenes Mitleid gegenüber Vegetariern und nur manchmal, wenn ich am Würstchenstand stehe, oder am Hot Dog Stand, oder beim Burger-Brater, da seufze ich und gedenke den fleischlos Glücklichen und ihrem schrecklich entbehrungsreichen Leben.

Nun wird mir aber seit ein paar Wochen, in unmmittelbarer Nähe zu meiner Wohnung, diese letzte Bastion der Fleischglückseligkeit streitig gemacht. Es hat nämlich ein vegetarischer Imbiss aufgemacht. Ein fleischloser Skandal. „hin&veg!“, heißt der Laden, steht natürlich in der Schanze und da gibt es alles was Spaß macht nun auch für Vegetarier. Also Burger, Hot Dogs, Currywurst. Dazu Bio-Pommes. Nachdem ich das lustige Namensspiel verdaut hatte, machte ich eine Tage dauernde Testreihe, die ich heute mit der Königsdisziplin, der Currywurst, abschloss.

Die schlechte Nachricht: das ist natürlich keine Currywurst. Die gute Nachricht: schmeckt aber prima. Alles. Fleischhaltige Hot Dog-Würstchen z.B. können sich unter dicken KetchupSenfMayo-Schlieren, meterdickem Röstzwiebelbelag und süß-sauren Gurkenlappen geschmacklich ja sowieso nicht mehr behaupten. Da kann der Seitan-Hot-Dog im „hin&veg!“ locker mithalten. Selbe Geschichte beim Burger: weiches, warmes Brötchen, drei Saucen, Salat, Tomate, Gurke, wen interessiert da noch der braune Lappen in der Mitte.

Currywurst war schwierig, gebe ich zu. Zähe Pelle (heißt das in dem Fall überhaupt noch Pelle?), innen würzige Wolle. Mit ordentlich Curryketchup ging es aber schon wieder, die Pommes waren krachend-klasse. Das ganze zu zivilen Mittagstisch- und Imbiss-Preisen, zum Mitnehmen oder da essen und nebenbei die gesamte linke Presse lesen. In den nächsten Wochen probiere ich mich durch die Tagesgerichte, Pastavariationen und Salate. Die gibt es aber ähnlich überall, darum geht es ja auch nicht und so kann ich jetzt schon loben: eine echte Alternative, sehr lecker und ein großer Spaß für alle Kinder.

hin&veg!
Schulterblatt 16
Schanzenviertel, Hamburg

http://www.hinundveg.de/

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