Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Freitag, 1. April 2005
Diesmal noch nicht.

Sie würden es nicht bemerken. Alles was Sie sehen würden, wäre ein äußerlich sehr gefasster, ja, locker das Flugzeug erklimmender Typ, der sich easy going in den Sitz wirft, sich ganz beiläufig anschnallt, seine Zeitung herausholt und zu lesen beginnt. Sie werden nicht bemerken, wie sich das Zeitungspapier unter meinen Fingern langsam zu wellen beginnt und die Panikwellen die meinen Körper durchrollen, wenn das Flugzeug über die Rollbahn rollt, schneller wird und abhebt, die sind auch nicht zu sehen.

Ich bereite mich auf jeden Flug gewissenhaft vor. Denn ich werde sterben. Ich bin davon überzeugt, dass ich sterben werde, jedes Mal, wenn ich ein Flugzeug betrete, gehe ich mit der Überzeugung an Bord, das mein Leben in den nächsten Stunden enden wird. Ich verabschiede mich herzlichst von meinen Lieben, am Vorabend gehe ich gerne noch gut und teuer essen, denn ich werde am nächsten Tag sterben.

Beim Check-in beobachte ich die Mitreisenden. Kinder sind gut, viele Kinder erhöhen meine Chance zu überleben, ich denke dann immer, das kann das Schicksal nicht bringen, die haben doch noch nichts erlebt und soviel vor. Prominente Mitflieger sind schwierig. Würde Robbie Williams oder Madonna zum Beispiel mitfliegen, müsste ich mir ernsthaft überlegen, gar nicht einzusteigen, weil es das Schicksal geil findet, wirklich berühmte Musiker in der Blüte ihres Lebens vom Himmel zu holen. Ich fliege aber meistens nur mit B und C-Prominenz wie Ralph Morgenstern, Michael Schanze und Jenny Elvers-Hagen oder Schauspielern wo immer niemand den Namen weiß. Die sind dem Schicksal herzlich egal und wirken sich positiv auf meine Überlebenschancen aus.

Wenn das Flugzeug startet, starre ich in meine Zeitung. Ich lese nicht wirklich. Ich lese einzelne Wörter immer wieder, während der Schub mich in den Sitz presst. Wenn das Flugzeug aufsteigt und die erste Kurve macht, wellen sich die Ränder meiner Zeitung. Ist die Flughöhe erreicht, geht die Atemnot langsam zurück, ich kann jetzt ganze Sätze am Stück lesen. Inhalte wiedergeben ist schwierig.

Wenn das Essen kommt, bin ich sehr dankbar. Essen kann ich, hab ich gelernt. Köstlich mundet das kalte, zähe Brötchen, die steinharte Butter, die 60 g paniertes Hähnchenbrustfilet mit eisgekühltem Kartoffelsalat, der bröselig-trockene Muffin. Ich bin beschäftigt und habe einige Minuten Pause, mir zu überlegen, warum Tonnen von Metall fliegen können, ob der Pilot streit mit seiner Frau hatte, eine schlechte Nacht, eine zu gute und lange Nacht. Auch mache ich mir eine innerliche Kosten-Nutzen-Rechnung. Zwei Wochen Urlaub mit der Liebsten, dafür sterbe ich lieber, als für irgendein Zwei-Tage-Fotoshooting für einen Kunden. Das wäre wirklich ärgerlich. So was denke ich, bevor ich sterben werde. Bei der Landung. Das Flugzeug wird aufsetzen, die Vorderachse brechen, wir werden nicht schlingern, nein, wir werden uns überschlagen, die Nase touchiert die Landebahn, der Rumpf hebt sich, das Flugzeug überschlägt sich, mein Leben verglüht im Feuerball.

Nach der Landung steige ich ganz souverän aus und sehe dankbar den Kindern an den Gepäckbändern beim Toben zu. Diesmal hatte ich einfach nur unverschämtes Glück. Ich nehme mir vor, in den nächsten Tagen ein gute Zeit zu haben, denn es sind meine letzten Tage auf Erden, denn ich werde sterben. Beim Rückflug. Garantiert.

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