Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 20. Februar 2005
Meine erste ModeNschau

( kleiner Nachschlag zum gestrigen Beitrag. Winter 2003)

Zuerst gibt es Grünkohl und dann gehen wir zur Modeschau. „Es heißt Modenschau.“, korrigiert mich meine Begleiterin. Ich werde zur Feier des Tages in ein schwarzes Hemd eingesperrt, es ist ein seltsames Hemd, die Ärmel sind ausgefranst obwohl das Hemd so neu wie teuer ist. Eine Epaulette ziert die rechte Schulter, links fehlt die Epaulette. Überhaupt ist das ganze Hemd sehr lustig vernäht und auch sehr verknittert, „das gehört so“, sagt meine Begleiterin und nickt den dazugehörigen Anzug ab, „ja sehr schön und merk Dir bitte, es heißt ModeNschau.“

Hemd und Anzug passen nicht zu Grünkohl. Den Gastgebern macht das nichts, wir essen Grünkohl, dann müssen die Kinder ins Bett, wir flüstern in der verrauchten Küche, trinken eisige Schnäpse, sagen Tschüß und fahren zur Modenschau.

Über einen roten Teppich gelangen wir in die große Halle des Backsteingebäudes, der Raum ist von großen Flutlichtscheinwerfen beleuchtet, ach was, illuminiert und ich gehe ein wenig in die Knie. Hunderte von schönen und mittelschönen Menschen in lustig vernähte Mode gewandet, rennen aufgeregt umher, die am grellsten Geschminkten Mädchen sind die Models nachher, erklärt mir meine Begleiterin, und das sie meine Karikatur eines schwulen Modedesigners NICHT lustig findet, weil gerade ein dutzend schwule Modedesigner zu uns rüberschauen. Also lasse ich das, hole mir ein Bier und wundere mich im Stillen weiter.

Viele Frauen tragen die Haare streng nach hinten getackert, nur vorne über der Stirn stehen steinhart aufmüpfige Haartollen ins Flutlicht. Ich muss an Sperma denken und an Mary. „Haben die denn den Film nicht gesehen?“, frage ich meine Begleiterin, die rollt mit den Augen und ich versuche so zu rauchen, wie der glatzköpfige Moderredakteur im Paul Smith-Anzug, hinten auf der Treppe. Die Zigarette halte ich zwischen kleinem Finger und Ringfinger, winkle die Hand leicht an und sauge mit spitzen Lippen, dabei versuche ich arrogant und unbeteiligt zu wirken. Leider ertappt mich meine Begleiterin und ich schäme mich, ihr soviel Kummer zu bereiten.

Dann kommt der Kaiser von Japan. Ein winziges Männlein, er versinkt in einer absurd vergrößerten Persiflage auf die Anzüge der Corleones, riesige blaue Reverslappen und ein sechs Meter langer Samtschal macht ihn zum Halslosen, darüber trägt er einen dreimannzeltgroßen Pelzmantel, die Bodygards neben ihm tragen seine Frau. „Kuck mal, der Kaiser von Japan“ sage ich. Neben mir stöhnt entnervt meine Begleitung, nein, das sind die Eltern von Thai Cong, erfahre ich.

Der Fashionstylist Thai-Cong hat 28 namhafte internationale Fotografen dazu bewegt, seine Eltern (der Vater, 92, Chinese, die Mutter, 56, Vietnamesin) in den neuesten Kreationen von über 30 weltbekannten Modehäuser abzulichten. Die Kleider und Accessoires sind Teile der Kunstwerke: Sie vermitteln nicht mehr nur das Label und ein damit verbundendes Lebensgefühl -- der veränderte Kontext und die Ironie verfremden die Wirkung und Bedeutung der Kleidung in der jeweiligen Inszenierung, erklärt mir meine Begleitung.
Ich bin, gelinde gesagt, schwer beeindruckt.

Da! Es öffnen sich in diesem Moment die Türen zum Showroom, ein imposanter Backsteinschlauch durchzogen von einem eindrucksvollen, fünfzig Meter langen Laufsteg. Wir finden Plätze in der dritten Reihe und ich bin ein wenig enttäuscht, von hier werde ich keine gute Sicht auf schlanke Frauenfüße haben, ich hatte mich so gefreut auf meinen kleinen Fetisch. Ich behalte meine Enttäuschung aber für mich, meine Begleiterin wirkt schon etwas angespannt und ich will Ihr nicht noch mehr Kummer bereiten.

Auf der Bühne zwei Tänzer in Transparentem. Zu donnerndem Minimaltechno waschen sich die beiden gegenseitig die Haare, so sieht das jedenfalls aus. Der Tanz der transparenten Friseure. Ich schweige eisern und nicke meiner Begleitung anerkennend zu. Tolle Show.

Jetzt geht es los. Auf der großen Leinwand erscheinen schemenhafte Figuren die sich durch einen Wald aus Nähten kämpfen, dazu indisch angehauchter drum´n bass, vierzig Models in grünen Kleidern schlendern über den Laufsteg und mir verschlägt es den Atem ob der geballten Symbiose von Schönheit, Musik und Animation. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eigentlich hatte ich mit einem lustigen „ich mach mich lustig über verschwurbelte Designer“-Text fürs Internet gerechnet. Ich merke schnell, das kann ich vergessen. Immer neue Bilder, unglaubliche Kreationen, unglaublich wuchtige Musik, Kraftwerk, Nitin Sahwney, Dubwar, Bad Brains, es hört nicht auf, wird immer besser, immer schneller, laut, grell, schrill. Ich bin fasziniert, meine Begleitung lächelt nachsichtig wissend.

Modenschauen kannte ich von MTV, interessiert haben mich dort vor allem der Kate Moos ihre Knospen. Bisher war es für mich immer wichtig, möglichst gut gekleidet zu sein, ohne dabei lächerlich auszusehen. Das ist mir sicher nicht immer gelungen, gedankenlos gekleidet in irgendwas. Das Mode ein Handwerk ist das Kunst sein kann, eine schöpferische Ausdrucksform, gleichzusetzen mit einer musikalischen Komposition, oder einer schriftstellerischen Arbeit, das war mir bisher entgangen.

Nach soviel Läuterung eines Unwissenden, spüre ich in mir das große Verlangen, das neu erlernte gleich umzusetzen. Ein Nähkurs erscheint mir zu langwierig, aber eine Modelkarierre das wäre doch was. Ein paar Gläser Champagner später starte ich meine Karriere und laufe, wie gesehen, den roten Teppich auf und ab.

Ich werde nicht entdeckt. Na ja, doch, von meiner Begleitung. „Und?“, frage ich. „Nee, das wird nix.“, antwortet sie.

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