Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 22. Januar 2005
Herr Paulsens erbauliche Sonntagspredigt. Folge III.: Autonomer Kampf im Schanzenviertel

(Immer Sonntags macht sich Herr Paulsen an dieser Stelle Gedanken über die Unzulänglichkeiten der Welt. Morgen wird Uroma 101 Jahre alt, darum wird heute vorab gepredigt.)

Neulich besuchten mich meine, im wörtlichen Sinne, reizenden Eltern in Hamburg um mal nach dem Rechten zu sehen. Das ihr Sohn im Schanzenviertel wohnte, das wussten sie aus „Spiegel-TV-Reportage“, war extrem gefährlich. Mutter mahnte bei ihren sonntäglichen Anruf aus der Provinz, die Gefahren der offenen Drogenszene an und beschwor mich, niemals die „Rote Flora“ aufzusuchen, bei meinem Faible für den linksradikalen Untergrund, könne ich da schnell in schlechte Kreise geraten. Mein angebliches „Faible für den linksradikalen Untergrund“, bezog sie auf einen, Jahre zurückliegenden, Besuch einer 1.Mai-Demonstration in Berlin, Kreuzberg. Als merkbefreiter Tourist war ich damals dort in einen Kessel geraten und verbrachte drei Stunden, blind vom Tränengas im Hausflur einer netten türkischen Familie. Fürsorgliche schwäbische Autonome wuschen mir später die dicken Augen mit Wasser aus der Schwanenhals-Petflasche und gaben rührende Tipps: „du, wenn du jetz naus gosch, no net renne, koi Panik, dia Wasserwerfer sin viel langsamer wie du.“

Soviel Engagement rührte mich und ich blieb der autonomen Idee immer sehr verbunden. Mit den Jahren bin ich älter geworden, etwas weiser vielleicht, müde auch, Politikverdrossen sowieso. Nimmermüde sind jungen Autonomen aus der Nachbarschaft. Nimmermüde werden sie, Bettlaken mit lustigen Aufschriften zu bemalen. „Wohnst Du schon, oder fährst Du noch?“. „Alles umsonst für alle!“ fordern die ausrangierten Tücher zwischen Schmutzflecken und getrockneten Körperflüssigkeiten. Bettlägerige Schenkelklopfer der ansonsten humorbefreiten Brigaden. Informativ auch die Schaufenster des Infoladens mit Fotos von Polizeispitzeln und Aufrufen zu immer neuen Demos gegen alles Mögliche. Tief verwurzelt sind ihre Gedanken und Ideen im Viertel, bis in die Köpfe der Kinder reichen die ausgerufenen Parolen. Neulich zum Beispiel traf einen Freund von mir fast der Schlag, als er seine sechsjährige Tochter von der geschiedenen Mutter abholte, die, sagen wir mal höflich, sehr alternativ lebt. „Gegen Gesetzte, für mehr Bauwagenplätze!“ forderte seine Tochter lautstark auf dem gutbürgerlichen Kinderspielplatz. Oder am Martinstag! Da traf ich auf einen Laternenumzug. Sie erinnern sich? „Ich geh mit meiner Laterne, rabimmel rabammel rabum.“ Die laternenbestückten Zwerge im Schanzenviertel brüllten lautstark: „Bullen verpisst Euch, keiner vermisst Euch!“. Die Kindergärtnerinnen lächelten dazu gequält, die zwei Polizisten die den Umzug begleiteten schwitzten tatenlos.

Momentan haben die Autonomen echt viel zu tun. Der Wasserturm im Schanzenpark soll zu einem Mövenpick Hotel umgebaut werden. Ist so schön nah am Messezentrum gelegen.
Das bedeutet das Aus für unser schönes Naherholungsgebiet. Im Viertel leben viele sozial schwache Menschen, denen der Schanzenpark Garten, Balkon und Sportplatz in einem ist. Da wird im Sommer gegrillt, getrommel, gesonnt, zu Livemusik und Ghettoblaster, die Digeridoos heulen, der Blunt knistert, es ist ein schönes Leben! Den ganzen kurzen Hamburger Sommer über gibt es Open-Air Kino, Konzerte, Festivals, Kinderzirkus, Kultur eben für alle.

All das wird nicht mehr stattfinden. Das bestreitet Mövenpick. Das glaubt kein Mensch der noch alle Tassen im Schrank hat. Und darum gibt’s Rabatz. Meine Wohnung steht seit Wochen unter Polizeischutz. Ich parke jetzt in einem anderen Viertel weil bei mir vorm Haus die Wasserwerfer parken. 100 Polizisten bewachen Tag und Nacht den Park und die Baustelle. (Was das kostet ! , ruft empört der kleine Mann von der Strasse).

Die Autonomen haben neue Bettlaken bemalt, demonstrieren und informieren. Problem dabei: interessiert keine Sau. Ein Großteil der Hamburger Presse hat sich eingeschossen: knapp 1000 Demonstranten sind keine Meinung, bei 1,7 Millionen Hamburgern. Das sind die üblichen Krawallmacher, das ist nicht Volkes stimme, kucken sie sich doch nur mal an, wer da so demonstriert! Und irgendwo ist das beinahe richtig, denn es sind nicht die türkischen Großfamilien, die sozial schwachen Unterschichtler mit Kind & Kegel die da auf die Strasse gehen. Es sind Autonome, die zum Teil vermummt, für alle auf die Strasse gehen. Da gibt es dann Platzverweise, Keilerei, nächtelanges Fang-mich-doch mit der frustrierten Staatsmacht. Was dabei rauskommt und das ist das zweite Problem: Nichts!

Nichts! Der prima Standort, das Geld, es wird kommen das Hotel im Schanzenpark. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass SPD und GAL, damals noch in Amt und Würden in Hamburg, für den Hotelbau waren und sich mit einem Euro Kaufpreis und einer Million Euro-Spende für den Stadtteil zufrieden gaben. Die Tinte unter den Verträgen ist staubtrocken, die Bauarbeiten haben mit Verzögerung begonnen, politisch ist da nix mehr zu machen. Die autonomen Schanzenspiele laufen weiter. Chaotisch in der Planung, weltfremd in der Zielsetzung. Und was die Sprecher der Autonomen Fraktion so im Radio ablassen, ist manchmal mehr als peinlich.

Trotzdem gehört ihnen meine ganze Sympathie, denn es ist schön, das sie dafür sorgen, das der kleine, wichtige Park in unserem Viertel, den Mövenpickeln nicht kampflos und selbstverständlich überlassen wird.

Ich bin zu sehr Realist für den Scheiß, zu alt vielleicht und auch ein bisschen zu ängstlich um heute Abend da raus zu gehen.
Für nix und wieder nix.
.............................................ratsch!

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