Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 13. März 2007
Schlaflos in Barcelona. Kleine Inventur.

Die Zeit rennt. Ein Leben reicht einfach nicht. Ich hoffe die Buddhisten haben Recht, ich benehme mich relativ ordentlich, die Chance als Maulwurf wiedergeboren zu werden, versuche ich so niedrig wie möglich zu halten. Einige Chancen sind vertan. Ich werde keine Ska-Band mehr gründen, das bedauere ich. Ich werde auch kein berühmter DJ mehr, dass wird langsam ein bisschen peinlich mit dem Auflegen in meinem Alter, außerdem habe ich mich mit den Jahren zu einem wahren Musik-Egomanen entwickelt, Null-Toleranz abseits meines edlen, ausgewählten Musikgeschmackes. Gäste des Hauses Paulsen wissen, mit blutenden Ohren, ein Liedchen dazu zu singen.

Menschenscheu bin ich geworden, manchmal muss ich mich innerlich verkleiden um irgendwelche „Events“ zu überstehen. Leider bin ich ein schlechter Schauspieler, ich verstumme und verlasse gedanklich die Veranstaltung, heimlich still und leise. Die Liebste boxt mir dann in die Seite und flüstert: „Paulsen! Reagieren! Da erzählt Dir gerade jemand was.“ Überhaupt. Die Liebste. Sie ist die Liebe meines Lebens. Jetzt auch schon so ein paar Jahre Jahre. So lang erträgt sie den Herrn Paulsen schon, auch dann, wenn ich den Herrn Maulsen gebe, oder wieder mal eine fantastische Idee habe, die in nur 46893 Arbeitsstunden umzusetzen ist und genau diese 46893 Stunden verschwinde ich dann auch in meinem Arbeitszimmer. Wenn ich herauskomme, hört sie sich nochmals 46893 Stunden an, warum die fantastische Idee auf gar keinen Fall umzusetzen ist (tränenreich und wortstark). Danach erklärt sie mir kurz und knapp, wie ich es doch schaffen kann. Und ich schaffe es. Sie erklärt mir leider auch Bügeln, Wäsche waschen und aufhängen, sie erklärt mir die Welt. Gerne mehrmals, sie gibt nie auf. Sie hält mir, ohne je davon zu reden, die Welt vom Hals. Die Liebste spürt mich, weiß wie es mir geht und reagiert, sagt ab, sagt zu, organisiert. Dass wir uns gefunden habe, dass sie mich liebt, das ist das größte Glück meines Lebens. Alles andere wird Nichtig, wenn ich an die Liebste denke.

Ich werde konservativ. Habe gelernt Regeln zu schätzen, Rituale zu mögen. Mein Blick auf die Welt wird immer strenger, mein Blick auf mich selbst wird immer strenger. Ich lasse der Welt immer weniger durchgehen, ich lasse mir immer weniger durchgehen. Ich habe damit meinen Frieden gemacht. Vielleicht ist dass das Schöne am Altern, man muss nicht mehr jeden Scheiß mitzumachen, sich nicht mehr jedem Scheiß aussetzen.

Häuslich bin ich geworden. Entweder schaffe ich es nicht mehr in die Clubs weil ich schon gegen Mitternacht müde bin oder ich finde schlicht niemanden, der mit mir mal kurz durchdrehen will. Haben alle Kinder oder sind trotzdem müde. Die Generation Golf rafft sich höchstens noch zu einer „Depeche Mode-Remember-Night“ auf und da kann ich nicht mal im Wachzustand hin, denn, ich war leider einmal da und da waren Männer, die rosa Pullover über die Schulter geknotet hatten, und Frauen denen der dicke Schmink-Kitt in größeren Partikeln von den erhitzten Wangen flog, während sie sich selbstvergessen zu „Boys say go!“ drehten. Es kommt immer was im Fernsehen.

Es gibt noch soviel zu tun! Ein Leben reicht nicht? Ich hoffe doch, denn: der Baum ist noch nicht gepflanzt. Wir wohnen zur Miete. Und Kinder! Auch noch nicht gezeugt, wir hätten endlich einen Grund zuhause zu bleiben. Vorher und nachher! Schön ist das Leben trotz der vielen, noch unentdeckten Möglichkeiten. Ich bin Freiberufler, ich werde eventuell mit Magengeschwüren sterben (siehe auch: Onlinebanking/Kontenübersicht) aber ich sterbe wenigsten als freier Mann. Als dicker, freier Mann. Ich will unbedingt noch richtig dick werden, durch sensationelles Essen in sensationellen Restaurants. Ich will Gérard Depardieu-dick werden, nicht Wildecker Herzbuben-dick. Die Liebste ist jetzt schon zumindest mit Ersterem einverstanden, sie liebt mich wohl. Und das ist eigentlich der beste Grund auf all die Jahre noch mal mindestens die gleiche Anzahl an Lebensjahren drauf zu legen.

Halbzeit?
Entschuldigung, ich bin noch nicht mal 40. Und wenn schon, warum denn nicht. So Gott will, gehe ich sogar in die Verlängerung! Gründe eine erfolglose Ska-Band, löse Günter Discher ab, höre mir die Musik andere Leute an, lerne wieder zuzuhören, entwickle fantastischen Ideen die sich in weniger als 30 Minuten umsetzen lassen, bemühe mich beim Bügeln, Wäsche waschen und aufhängen, gehe endlich mal Pogo tanzen auf einer „Depeche Mode Remember-Night“ und dann pflanz ich halt den blöden Baum (die Früchte sollten sich allerdings zur Schnapsbrennerei eignen), zahle weiter Miete und probier auch dieses Kinder-Dingens. Ich hol jetzt mal meine Sonnenbrille. Drücken Sie mir die Daumen.