Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 24. Februar 2009
Riesenstöckchen: 15 Alben die das Leben veränderten

Peter Jepsen warf mir ein Stöckchen zu, das ihn via Facebook erreichte und gab die Aufgabe an mich weiter. Erst hab ich mich gefreut. Schönes Stöckchen. Dachte ich.

Think of 15 albums, CDs, LPs (if you’re over 40) that had such a profound effect on you they changed your life. Dig into your soul. Music that brought you to life when you heard it. Royally affected you, kicked you in the wasu, literally socked you in the gut, is what I mean. Then when you finish, tag 15 others, including me. Make sure you copy and paste this part so they know the drill. Get the idea now? Good. Tag, you’re it!

Erstmal bin ich noch (!) keine 40 und besitze trotzdem LPs. Zweitens liebe ich Musik und nach einem (ersten) Abend auf schmerzenden Knien vor meiner Plattensammlung, dämmerte mir die Gewaltigkeit der Aufgabe. Schon am zweiten Abend hatte ich 35 Alben ausgefiltert. Die ich heute noch mal auf 15 reduziert habe. Unter Qualen!

Es fehlen also wesentliche Herzens- und Lieblingsalben, ganze Musikrichtungen bleiben ungenannt, denn die Frage ist ja schlicht die nach 15 Alben die: DAS LEBEN VERÄNDERTEN.

1. Die Beatles – Revolver, 1966

Die Beatles spielen seit ich atme. Meine Mutter spielte ihre Beatles-Platten ständig als ich klein war. Ich wuchs auf in einer Kommune, mit meiner Mutter, George, Paul, John, Ringo und meinem Vater.
Vor ein paar Jahren saßen Mutter und ich nach Großmutters Beerdigung am Abend zusammen, wir unterhielten uns über anstehende Erbstreitigkeiten, ganz schlimm. Ich sagte: „Mutsch, wenn Du mal stirbst, ich will nix, nur die Beatles-Platten.“
„Junge! Da musst du doch nicht warten bis ich tot bin“ rief sie, stürmte ins Wohnzimmer und vererbte mir alle Beatles-Platten, dazu vieles von Zappa, Johnny Cash, Harry Belafonte, Led Zeppelin, Creedence Clearwater Revival, Steppenwolf und ca. fünfzig sehr lustige Singles (Bonanza, Máh-ná-mah-ná, La bambola). Noch vor dem White Album, liebe ich besonders das psychedelische „Revolver“ Album der Beatles, dass ich in der, oben zu bestaunenden, hübschen Original-Leser-Ausgabe der Zeitschrift HÖRZU besitze.

2. ABBA - The Visitors, 1981

Meine erste, selbstgekaufte Schallplatte. Ich weiß leider nicht mehr, warum meine Wahl auf diese Platte fiel, zuhause hörte niemand ABBA und ich kannte die Band auch nicht. Ich erinnere mich aber gut an die Zeit mit dieser Platte, dem letzten ABBA-Album, danach trennte sich die Band. Ich war 12 Jahre alt und übersetzte die Platte, dank beigelegter Texte, in monatelanger Arbeit, mit einem Wörterbuch, tastete mich Wort für Wort vor, seitenlange Notizen, die irgendwann Sinn ergab. Oder auch nicht. Schönes Album, sehr melancholisch, ich kann noch heute jeden Ton und jedes Wort hören, ohne die Platte überhaupt aufzulegen.

3. The Sex Pistols - Never mind the Bollocks, here´s the Sex Pistols, 1977

Ich möchte nicht langweilen, aber es wurde nach Alben gefragt, die das Lebens veränderten und bei mir waren das, gähn, auch die Sex Pistols. Nach persönlichen musikalischen Irrungen und Wirrungen (NDW) erreichte das berühmte Album unsere Internats-Anstalt im schwäbischen Moor mit einer leichten Verspätung von nur sieben Jahren, 1984. Ich war 15 trug neben Kajal-verkrusteten Augen auch eine vollreife Pubertät mit mir rum und hatte den Soundtrack zur Zerstörung der Welt gefunden. Lustig, wenn ich das Album heute höre, ist es viel harmloser als in der Erinnerung, überraschend musikalisch. Wir dachten damals ernsthaft: härter geht’s nicht.

4. Bruce Springsteen – Nebraska, 1982

Mein Freund Bruce, der ein paar Schlafsäle weiter wohnte, war musikalisch auch ein Stückchen weiter und besaß dieses Album. Ich bin nie Springsteen-Fan geworden. Wahrscheinlich weil Springsteen nie wieder so ein geiles Album gemacht hat. Hypnotische, staubige Tracks, minimalistisch-nervöser Country, schleppender Blues. Mir öffnete sich ein Universum. Mit Bruce bin ich nach meinem unrühmlichen Abgang aus dem Deutschen Bildungswesen drei Woche in einem Mietwagen durch die Südstaaten gefahren, von Festival zu Festival, durch Bars und Clubs, Nashville, Memphis, New Orleans die Sümpfe, tief ins Herz von Blues und Zydeco. Ende der Neunzigern haben Bruce und ich manchmal unter dem Namen „Jackpot and Cottenfield“ auf St. Pauli Country-Platten aufgelegt. Dieses Album ist der Anfang unserer Freundschaft die nun schon 27 Jahre andauert.

5. Play Loud – The B52´s, 1979

Alles kam mit unfassbarer Verspätung bei uns an. Ich war zehn Jahre alt als das Album erschien. Ich bekam die Platte zum 18ten Geburtstag. Wir haben uns furchtbar betrunken, danach Vollgas Ausdruckstanz galore. Noch heute kann ich zu den B52´s nicht würdevoll das Tanzbein schwingen, ich verwandele mich sofort in einen epileptischen Anfall.
It´s my party and I dance like I want to! Kasperfritzenmusik. Es gab auch in Süddeutschen Kleinstädten mittlerweile Jugendkultur, die B52´s einten auf dem Dancefloor Grufties, Red Skins, Punks und Rockabillys. Schöne Party. Erstaunlich wie frisch das Album noch heute klingt.

6. Black Celebration - Depeche Mode, 1986

Ich gestehe: ich bin ein-zwei Jahre meines Lebens als David Gahan-Look-a-like durch die Welt gelaufen, ordentlich Gel rein und Haare hoch „Junge da bekommst Du später mal ordentlich Geheimratsecken" mahnte Mutter. Jetzt kämme ich wieder mehr nach unten. Ich besitze die Platten der Band bis 1990, danach war irgendwie Schluss, danach kamen Nirvana. Das Konzert der Black Celebration Tour am 2. Mai 1986 in der Stuttgarter Schleyer Halle war mein erstes große Konzert, in meinem Tagebuch von damals (es gab noch keine Blogs liebe Kinder, wir mussten alles in kleine Bücher schreiben und Sachen ausschneiden und einkleben, so ging damals Copy-Paste, gelesen hat das damals aber auch schon nur selten jemand), findet sich ein gänsehäutig schlecht geschriebener Bericht über sagenhafte zwölf Seiten, üppig geschmückt mit Fotos aus Musikzeitschriften, aber auch jenes schöne Foto vom jungen Paulsen als Gahan-Klon:

7. Forces of Victory – Linton Kwesi Johnson, 1979

Hatte ich schon erwähnt, dass alles unfassbar spät bei uns ankam? Ach hatte ich schon, dann ist ja gut! Linton Kwesi Johnson kam auch sehr spät bei uns an. Die dritte Ska-Welle schwappte ins Schwäbische, wir lebten im Epizentrum, unfassbar viel deutscher Ska kam damals aus dem Süden der Republik: No Sports, Skaos, Moskovskaya! Wir immer schön mit Pork Pie Hat und schwarzen Hosenträgern zum weißen Hemd rumgehüpft, die Depeche Mode Frisur konnte man direkt behalten. Zum Runterkommen (später: chillen) hatte irgendwann jemand mal eine Kassette von Linton Kewsi Johnson mitgebracht. Boah! Dick. Dub! Ich habe Mr. Johnson damals live in Ulm erlebt, mit der Dennis Bovell Band , in irgendeiner leeren US-Army-Kantine, meine Güte manchmal trau ich meiner eigenen Erinnerung nicht, aber doch, so wars. Soviel Würde. Soviel zu sagen. Diese Stimme! Berichte aus einer Welt weit weg von meiner. Ich verstand nicht mal die Hälfte der Lyrics und war doch stark berührt. In das Forces of Victory-Album habe ich mich seinerzeit versenkt. Ich denke das war der Grundstein für meine große Liebe zum Reggae, zum Dub, zum Rocksteady und natürlich immer noch zum Ska.

8. Licensed to Ill – Beastie Boys, 1986

Ja, gähn, aber das war und ist schon ein gewaltiges Album. Adam Horowitz war damals 21! Unfassbar. Der erste Hip Hop auf meinen Plattenspieler, dann Nachsitzen bei Grandmaster Flash, dann Run DMC, EPMD, De La Soul, Stetsasonic, Public Enemy…und dann ging das in Deutschland los. Die Fantastischen Vier vorweg, später, viel später, Frankfurt mit dem Rödelheim Hartreim Projekt hinterher und dann ist Hamburg explodierte. Kurz dachte ich mal, Hip Hop wäre die Musik meines Lebens. Es ist eine lebenslange Freundschaft daraus geworden.

9. Les Rita Mitsouko – The No Comprendo, 1986

Die Entdeckung der Welt. „Andy“ und „C´est comme ça“ vom Album waren massive Hits bei uns unten im Süden. Die Musik war aufregend, anders als alles was ich/wir bis dahin kannte(n). Es gab dann auch so ein kurze Frankreich-Phase mit Les Négresses Vertes, den Lolitas (Françoise Cactus) und Bérurier Noir. Die Franzosen waren einfach wesentlich vielschichtiger, die konnten Punk, Hip Hop, Jazz und Ska und Walzer und Chanson und Reggae und alles innerhalb eines Stückes. Les Rita Mitsouko liebe ich bis heute, zuletzt besonders das wunderschöne Chanson-Album „Live avec l'Orchestre Lamoureux" (2004) mit dem wuchtigen, mitreissenden Cover von Charles Trenets „Où sont-ils donc ?“ Rita Mitsoukos Partner, der wunderbare Frédéric Chichin starb leider im November 2007. Die Franzosen waren der Schlüssel zur Entdeckung musikalischer Welt, jenseits von Deutschland, Großbritannien und den USA.

10. Hair - Phillip Boa, 1989

Boa gehört zu den ganz wenigen Künstlern, die mich nun schon sehr lange begleiten und von denen ich tatsächlich jedes Album besitze. Ich kriege nicht genug von den schröddeligen Gitarren, den treibenden Drums, Boas brüchiger Stimme und Pia Lunds wolkenweichen Gesang.
Hair (1989), Hispañola (1990) und Helios (1991) sind die drei Meisterwerke aus Boas umfangreichem Backkatalog, für mich schlicht das Beste was deutsche populäre Musik je hervorgebracht hat. Am 6. März stellt der fleißige Musikarbeiter Boa sein neues Album „Dimonds Fall“ live in der Markthalle in Hamburg vor, sein bestes Album seit Helios und mein sechzehntes Boa-Konzert. Wie immer gehe ich alleine hin.

11. Red Hot Chili Peppers – Blood Sugar Sex Magic, 1991

Dann kam Grunge. Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden, Mudhoney, Faith no more, The Breeders.…heute weiß ich: ich habe damals zum letztes Mal so konsequent Party gemacht wie man das nur in ganz jungen Jahren macht, Grunge war meine Abschlussparty. Ich mache auch heute noch Party, gehe gerne auf Konzerte, tanze manchmal sogar noch in den Clubs, aber es war nie wieder so selbstverständlich, so intensiv, so egal. Blood. Sugar. Sex. Magic. Und da war dieses unfassbar sensationelle Doppel-Album, spektakulär, für die Ewigkeit gemacht, für mich eines der zehn besten Rockalben ever, ich hab das damals ca. 3000 Mal gehört und dabei den Funk entdeckt.

12. Mojo Club – dancefloor jazz vol.10 love power, 2001

Ich hatte schon während meiner Zeit in Berlin angefangen Jazz zu hören, ich habe Berlin gehasst, damals, diese Baustelle, die unfreundlichen Insulaner die ihrem Inselstatus hinterher weinten, der eiskalte Scheißwind aus Russland die ganze Zeit, die Gewalt, das war echt heftig damals. Ich hab nur gearbeitet, keine Freunde, keine Frauen, keine Freizeit. Nachts bin ich alleine in Jazzclubs, das war das Gegenmittel gegen den hässlichen Rotz in dem ich sonst schwamm, die Menschen waren schön, bewegten sich sexy und selbstbewusst zur eleganten Musik. Ich war fett, stank nach Küche und saß immer ganz hinten.
1995 kam ich nach Hamburg und alles wurde sehr, sehr gut. Und der Mojo Club war Hamburg und ich war drin und ich war schnell nicht mehr alleine, und schlank, und zum ersten Mal in meinem Leben wirklich glücklich. Diesen Wendepunkt in meinem Leben verbinde ich noch heute mit dem Mojo Club, mit einzelnen Songs sogar. Die Compilation von 2001 kam zwar sehr viel später, ist mir bis heute die Liebste der tollen Reihe, ein dickes Doppelalbum voll bestem Jazz, Funk und Soul.

13. Groove Armada - goodbye country (hello nightclub), 2001

Groove Armada hatten alles. Den Funk, ordentlich knisternden Electro, viel Jazz, eine Prise Dub. Sensationelle Band. Ihr 2001er Album war für mich der Abschied aus der DJ Kanzel, der letzte fette Nightlife-Track. Von 1997 bis 2001 hatte ich nächtelang mit glühenden Bäckchen Platten in den unbekanntesten Trinkstuben der Hansestadt aufgelegt, bis sich die Wirte erbarmten: „Komm, lass ma, da kommt jetzt keiner mehr.“ Hello nightclub war also für mich eher goodbye nightclub. Es sollte aber was ganz Großes noch kommen. Die Singleauskopplung „Superstylin´“ (ich kriege gerade im Moment wo ich das höre Gänsehaut!) führte mich direkt in die nächste Dancehall.

14. Silly Walks Movement – Song of Melody 2002

Ende der 90er bin ich schon ab und zu auf Dancehalls, damals noch im Keller der Roten Flora, 2000 der erste Summerjam in Köln am Fühlinger See, das erste Seeed-Album, Gentleman, Jan Delay, Reggae in Deutschland explodierte. Und Hamburg stellte eines der besten Soundsystems der Republik. Silly Walks Movements erstes Album ist Geschichte. Obwohl ich damals selbst schon nicht mehr auflegte, legte ich wert auf guten Stil und kaufte im Hamburger Selecta Shop unzählige 45 Singles-Pressungen. Die ich dann alle mühsam für unterwegs digitalisieren musste. 2002 war der erste Sommer in dem ich beinahe auschließlich, durchgehend Reggae gehört habe.

15. Gentleman - Journey to Jah, 2002

Dieses Album gehört in meinen Ohren zu den wichtigsten Reggae Alben aller Zeiten, in Augenhöhe mit Bob Marleys „Exodus“ oder Peter Toshs „Equal Rights“. Ein reiches Meisterwerk von großer Dichte und Musikalität, wortgewaltig, lyrisch und spirituell. Das wird auch auf Jamaica selbst so gesehen. Dem „Germaican“ Gentleman aus Köln ist mit diesem, seinem zweiten Album wahrscheinlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere, das macht aber nichts, ein solcher Meilenstein gelingt nur wenigen Künstlern und nur einmal im Leben. Mit diesem Album wurde er zu einem der größten Reggaekünstler unserer Zeit.
Für mich war „Journey to Jah“ die Initialzündung mich intensiver mit Reggae, Rocksteady, Dancehall auseinander zu setzen. Es ist mit den Jahren eine große Leidenschaft draus geworden. Die Reise dauert an, geht weiter…

Wer mag ist herzlich eingeladen, das Stöckchen aufzugreifen, höflich darum bitten möchte ich am liebsten, so denn Zeit und Lust dazu:

Schöne Töne
Rare
Popkulturjunkie
Eat