Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 6. August 2008
Internet killed the Kochzeitschrift?

Von einem Spiegel-Artikel befeuert, trieb es auch in diesem Jahr eine schon leicht ergraute Sau durchs Online-Sommerloch: löst das Internet, lösen Blogs die klassischen Printmedien ab und wie viel journalistische Seriosität steckt in Blogs?

Ich halte mittlerweile die Gewichtigkeit von Blogs für überschätzt, ich habe erst sehr spät begriffen, dass es da ein großes Problem gibt: wer soll dass alles lesen? Es fehlt schlicht die Lebenszeit um die wunderbare Vielfalt der Blogwelt zu genießen. Blogs zu lesen, selbst zu bloggen, Comments zu schreiben, Comments zu beantworten und ganz nebenbei noch den Lebensunterhalt zu verdienen und echtes Leben zu leben, da gerät zumindest mein Zeitkonto schnell in die roten Zahlen.

Langfristig wird sich im Netz das durchsetzen und erfolgreich sein, was sich in allen Medien (Print, Radio, TV) durchgesetzt hat: Massengeschmack, daraus resultierendes Mittelmaß und sorgfältig aufbereitete Special Interest-Inhalte.

Eine Bedrohung der Printmedien und des klassischen Journalismus ist durchaus gegeben, wenn die Zeitkonten der Leser künftig immer öfter online geplündert werden. Das ist jedoch kein Grund zur Panik, viele Zeitungen haben schon den Sprung ins Netz geschafft und viele Redaktionen könnten ruhiger schlafen, wenn sie die Bedrängung als Chance verstünden, ihr Produkt noch begehrenswerter zu machen. Einen Vorteil gibt es zudem gratis: es liest sich wahnsinnig unbequem vor dem Bildschirm.

Ausgenommen von diesem Chancenreichtum scheint mir aber das Sujet der Kochzeitschriften, hier wird schon lange gestorben und die Krise war zunächst auch hausgemacht. Immer mehr Kochzeitschriften bestückten ihre Hefte mit günstigen, im Ausland eingekauften Foto,- und Rezeptstrecken, man bediente sich eines umfangreichen Archivs oder druckte aus Kochbüchern nach. Gesichtslosigkeit, Leserschwund und Austauschbarkeit waren (und sind) Resultat dieser Sparpolitik. Aber selbst Zeitschriften mit eigener (teurer) Koch,- und Foto-Produktion geraten zunehmend in Bedrängnis. Auch bei den, mit viel journalistischer Sorgfalt und Kompetenz gestalteten Food-Magazinen, die neben den Rezeptstrecken zusätzlich einen hohen Anteil an Lesestrecken vorzuweisen haben, brökelt es leise.
Wie kommt das?

Ich befürchte, hier kommt das Web ins Spiel. Das vermeintliche Special Interest „Kochen“, ist Volkssport, ein durch Kochzeitschriften jahrelang geschultes Heer an Hobbyköchen hat sich selbstständig gemacht, die eigene Kochkunst online öffentlich zu machen. Gigantische Rezeptdatenbänke sind entstanden (googeln Sie doch mal Schweinebraten), kein Mensch braucht ernsthaft noch ein monatliches Rezeptheft mit 40-80 Rezepten von denen dann über die Hälfte nicht dem eigenen Geschmack entsprechen und nur ein Bruchteil tatsächlich nachgekocht wird. Da befragt der Hungrige heute zuerst seinen Magen und dann das Internet.

Und was ist mit den schönen Bildern? Und den Ernährungstipps? Das war doch echter Mehrwert!
Mehrwert den es jetzt umsonst im Internet gibt. Kochplattformen wie Küchengötter (GU Verlag), Essen & Trinken (G&J Verlag), Starcookers (RTL) haben nicht nur schöne Fotos und Tipps, sie bieten sogar Kochanleitungen in bewegten Bildern, und sind deutliches Zeichen verlegerischer Mühen, den Kochressort komplett ins Internet zu verlegen. Anders als bei anderen Zeitschriftenformaten ist der Sprung ins Netz hier aber nicht zweites Standbein sondern alleinige Zukunft, die rasant zunehmende Professionalisierung privat gepflegter Internetseiten und Blogs zum Thema Kochen macht diesen Schritt zwingend.

Koch,- und Wein-Blogs sind sehr erfolgreiche Format innerhalb der Blogwelt, gern und viel gelesen, akribisch gepflegt und immer häufiger mit brillantem Layout, wertiger Fotografie und Texten die zumindest von Kennerschaft und Begeisterung zeugen. Das gilt für deutschsprachige Food-Blogs und wer der englischen Sprache mächtig ist, dem eröffnet sich ein kulinarisches Universum. Neben Rezepturen gibt es Kochbuchkritiken,Restaurantkritiken, Produkttests und Nachrichten aus der kulinarischen Welt schneller als es ein monatliches Kochmagazin (mit einem Produktionsvorlauf von 1-3 Monaten) jemals hinbekäme. Während bei Themen wie z. B. Politik und Kultur der News-Zeitwettlauf zwischen Blogger und Print-Journalist öfter mal zugunsten des Bloggers ausfällt, ist das bei kulinarischen Themen die Regel.

Nicht unerheblich ist der psychologische Effekt von Kochblogs. Statt von einer gesichtslosen Redaktion was vorgekocht zu bekommen, kocht man hier die Rezepte von "Freunden" nach, Menschen die man aus der Community "kennt", Menschen die auch Kinder haben und keinen Profibackofen und keine Kochausbildung. Diese virtuelle Gleichgesinntheit schafft Vertrauen, in die Rezepturen des Anderen, ins eigene Können.

Sind Kochzeitschriften also tatsächlich die ersten „Print-Opfer“ des Internets? Und wie sähe für Sie eine Kochzeitschrift aus, die sie noch vor dem Bildschirm hervorlocken könnte?