Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Mittwoch, 9. April 2008
Herr Paulsen geht aus: Macht macht Schluss und Peter Hein (Fehlfarben) liest den Malersaal leer
herr paulsen
11:11h
Ein unfassbarer Abend gestern, in zweierlei Hinsicht. Die schlechte Nachricht vorweg: die Moderatoren Amtsberg und Weins eröffneten den gestrigen Macht-Club mit der Ankündigung im Juni sei die Lesereihe beendet. Macht, die Mutter aller Hamburger Lesebühnen, wird nach acht Jahren eingestellt. Zuletzt kämpften die Macht-Macher mit sinkenden Besucherzahlen und dem Absprung des Hauptsponsors, jetzt sind die Gespräche mit Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer über eine weitere Vertragsverlängerung gescheitert, Macht steht ohne Haus da. Eine neue, bezahlbare Bühne, die den bestehenden Ansprüchen und angepeilten Besucherzahlen genügt, konnte trotz intensiver Suche nicht gefunden werden. Die Einstellung der Lesereihe ist eine Katastrophe für die Hamburger Literaturlandschaft. Vor wenigen Wochen erst verabschiedete sich die Lesereihe Transit auf unbestimmte Zeit, jetzt schließt der traditionsreiche Macht-Club. Es bleiben, neben kleineren und unregelmäßigen Lesungen nur noch ungezählte Poetry Slams, unsere eigene Lesereihe Kaffee.Satz.Lesen und das Literaturhaus. Während Transit und wir mit ähnlichen Formaten (allerdings für unterschiedliches Publikum) gemeinsam erfolgreich waren, erfüllt Macht eine wichtige Funktion in der Hamburger Live Literatur. Macht kauft die großen Namen ein, die für Lesungen unseres Kalibers zu teuer sind. Große Namen bietet auch das Hamburger Literaturhaus, der Unterschied ist dennoch groß: Im Literaturhaus werden Autoren verehrt, im Machtclub gefeiert. Beides hat seine Berechtigung, beides sein Publikum. Feierstimmung wollte aber gestern nicht so recht aufkommen. Zuerst las Nils Mohl gewohnt souverän aus seinem Roman Kasse 53. Schön zu erleben, wie es ihm immer wieder gelingt, sein Publikum durch Auftritt, Gestus und Tonfall, nachhaltig zu verunsichert. Ist das wirklich lustig (gemeint)? Darf man lachen? Ja. Sehr sogar. Dann gabs die erste Punk-Legende des Abends, Lee Hollis, Sänger der „Spermbirds“ und der „Steakknifes“. Stockend, atemlos, mit wiegendem Oberkörper und aufeinander gestellten Füßen erzählte Lee Hollis durchaus launig von den Mensche seiner Heimat Alabama und gab Lebenshilfen: „Don´t be an asshole!“. Und dann der Stargast des Abends: Peter Hein. Sänger der legendären „Fehlfarben“ und "Family 5". Deutsches Punk-Urgestein. Dem Mann der dann auf die Bühne schlich, ohne die Anmoderation abzuwarten, sich um seinen Auftrittsapplaus brachte und kopfschüttelnd im Lesesessel Platz nahm, diesem Mann schlug ehrfürchtiger, beinahe greifbarer Respekt entgegen, warmherzig und gespannt begrüßte der Saal den Helden seiner Jugend. Hein, im graublauen Anzug mit lustigem Hemd, raschelte mit einem beängstigen dickem Stapel losen Papiers, schlug die Beine übereinander (rote Socken) und begann seinen Vortrag mit einem schlechtgelaunten Bashing. Hein beschwerte sich, durchaus beleidigt wie es schien, über den S. Fischer Verlag, „diesen großen jüdischen Traditionsverlag“, der sich nun die Blöße gebe dass Tour-Tagebuch dieser entsetzlichen Band „Wir sind Helden“ herauszugeben. Warum dies für Hein scheinbar der Untergang des Abendlandes bedeutet blieb ungeklärt, zumindest waren dies die letzten allgemein verständlichen Worte Heins, der sich daraufhin mit Hochgeschwindigkeit in Bergen von überlangen Sätzen verabschiedete. Tatsächlich konnte man auch bei konzentriertestem Zuhören den Wortwasserfällen nicht folgen, monotone Monologe ohne Halt, von keinerlei Interesse. Dunkel nur kann ich vermuten, dass es im ersten Text um eine Tournee einer Band ging, zumindest kam ein Tourbus darin vor und Bier. Lange zweifelte ich an meinem Verstand. War ich wirklich nicht in der Lage Hein zu folgen? Immer wieder hielt ich mich an einem Wort fest, sprang mit ihm in den Wortfluss, der mich sofort wieder ans Ufer trieb. Ein von mir hoch geschätzter und hochintelligenter Autor beendete dann meine Selbstzweifel, raunte mir vom Nebensitz leise ins Ohr: „Also ich verstehe keiiin Wort!“ Und dann begann der Exodus. Lautstark und in Scharen verabschiedete sich das Publikum ins Foyer, Minuten wurden zu Stunden, Hein, zusammengekauert unter der Leselampe: las. Und las. Und las. Einmal sah er kurz nach oben, blätterte im Papierwust, das verbliebene Publikum nutzte seine Chance und applaudierte wie wild, Hein wars egal. Es folgte der zweite Teil der Lesung, Inhalt keine Ahnung, von ungefähr 100 Besuchen waren zu diesem Zeitpunkt noch 30 im Saal. Unfassbar. Es ist Kunst! Dachte ich für einen Moment. Es ist Punk! Dachte ich für einen Moment. Es ist nicht originell, dachte ich schließlich, Tex Rubinowitz hatte an gleicher Stelle schon einmal überzogen und zwar unterhaltsam, dachte ich, und Comedy Legende Andy Kaufman las schon vor über dreißig Jahren ganze Romane komplett und die Säle leer. Erst später erfuhr ich, dass Peter Hein, ganz Profi, die vereinbarte Lesezeit von 25 Minuten um nur 5 Minuten überzogen hatte. Hein hatte den Saal tatsächlich in nur 30 Minuten gelüftet. Links zum Thema: Macht Nils Mohl Spermbirds Steakknife Fehlfarben Family5 Andy Kaufman Tex Rubinowitz
|
Online for 8139 days
Last update: 04.03.10, 19:50 status
Youre not logged in ... Login
recent updates
Gern gelesen:
Ami
Gern gehört:
Audioporncentral
Gern dabei:
NutriCulinary
|