Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Mittwoch, 26. September 2007
Der Kiosk in Frankreich (5): "Das Wesentliche ist das Produkt". Ein Besuch bei Küchenminimalist Laurent Poulet
herr paulsen
12:05h
Wir sind schon seit ein paar Tagen hier in Saint-Jean-Cap-Ferrat an der Côte Azur, immer wieder schleiche ich um dieses Restaurant, das hier nicht hinzugehören scheint. Kubistische Bauweise, viel Glas, Stahl und Beton, die Kellner in steifen, schwarzen Uniformen. Moderne Skulpturen rahmen die Terrasse mit Blick übers Meer auf Monaco: eine dicke Nackte, eine stählerne Bulldogge mit poliertem Geschlecht. „La Table du Cap“ heißt das Restaurant, den Namen des Kochs, Laurent Poulet, habe ich noch nie gehört. Google gibt nur spärlich Antwort, die Homepage hat etwas rührend altmodisch-artifizielles, Loungemusik erklingt. Wir haben ja Urlaub, wir haben ja sonst nichts vor, die Neugier siegt. Wirklich ausschlaggebend ist aber der Umstand, dass der junge Laurent Poulet schon einige beeindruckende Stationen einer Kochkarriere hinter sich gebracht hat, unter anderem Schüler von Alain Ducasse war. Wir bestellen das „Menu der Sinne“, ein unbeschriebenes Blatt in der Speisekarte, keinerlei Informationen, Blindflug. Wir wollen ganz schnell vergessen, dass wir das Amuse Geule auf einem Bilderrahmen serviert bekamen, denn das sollte dann auch die einzige Geschmacksentgleisung des Abends sein. Eine zarte Entenbrustscheibe, geröstetes Brot, Oliventapenade und würzige Kirschtomaten mit grobem Meersalz bilden den, noch recht gewöhnlichen aber schmackhaften Auftakt, zu einem Menü wie ich es noch nie gegessen habe. Schon der erste Gang lässt erahnen, wohin die kulinarische Reise führt. Eine schwarz geröstete, ganze Auberginenhälfte mit Meersalz und Olivenöl zum auslöffeln. Die zweite Vorspeise besteht aus drei Grundprodukten: mild gegarter Fenchel, grüner Spargel und Orangenfilets, dazu serviert Poulet eine Tomatenvinaigrette mit Mandeln. Das ist derartig simpel und doch sensationell. Es stimmt einfach alles: der Eigengeschmack der Produkte, die Garzeit, die Kombination und die zurückhaltende Würzung. Das Doradenfilet ist knusprig auf der Haut gebraten, nur mit Salz gewürzt, serviert auf einem schneeweißen rahmigen Pürree aus getrocknetem Kabeljau (Brandade), dazu winzige Fenchelwürfel in bitterscharfem Olivenöl gar gezogen. Sechs Zutaten, ein Universum. Noch raffinierter ist das Filet vom St. Peters-Fisch, der in einer winzigen Kokotte am Tisch serviert wird. Im Feigenblatt gegart, butterzart. Dazu zwei geröstete Kartoffelhälften, die intensiv nach Kartoffel schmecken und zwei Esslöffel einer tiefroten, würzigen Feigen-Reduktion. Alles hier ist auf das wesentliche reduziert, mit einem berechtigten Vertrauen in die verwendeten Produkte. Absolut minimalistisch, überraschend, und für mich der Höhepunkt des Menüs, ist der Hauptgang. Ein natürlich perfekt gebratenes Stück Kalbsrücken mit einer Vanilleschote gespickt, dazu Vanille-Jus und, sensationell, ofengetrockneten Bundmöhren! Die runzeligen Möhrchen haben durch das Trocknen nicht nur ihren Eigengeschmack intensiviert sondern eine deutliche Aprikosennote gewonnen, die perfekt mit der Vanillejus harmoniert und einen schönen Kontrast zum kräftigen Fleisch bildet. Das ist intelligente Küche auf höchstem Niveau. Die Käseauswahl ist etwas verspielter aber auch absolut harmonisch. Fünf Käsesorten, allesamt auf kleinen Täfelchen genannt und beschrieben, werden mit einem Röstzwiebelchutney, Rosinenbutter und Walnussbutter gereicht. Die Käse sind selbstverständlich perfekt gereift. Das Dessert wird als „alles von der Schokolade“ angekündigt und kommt auf zwei Tellern mit Sauciere. Im ersten, tiefen Teller liegt ein saftig glänzender Streifen buttriger Bisquitteig, daneben dunkler Nougat mit hauchdünnen Bitterschokoladen-Tafeln. Aus der Sauciere wird heiße, dickflüssige Schokolade über das Ganze gegossen, mehr Schokolade geht wirklich nicht. Naja, doch. Auf dem zweiten Teller befindet sich hausgemachtes Schokoladeneis, das Beste, dass ich je aß. Laurent Poulet geht von Tisch zu Tisch, als er uns begrüßt, springe ich auf, drücke ihm herzlich die Hand und kann nur mit Mühe eine tiefe Verbeugung meinerseits verhindern. Mein Französisch reicht hinten und vorne nicht um meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen, es folgt eine mehrminütige Lobeshyme auf Englisch. Poulet bleibt Minimalist, freut sich und fast die Philosophie seiner Küche in knappen Worten zusammen: es ist die Kunst des Weglassens, der Konzentration auf das Wesentliche und des absoluten Respekts vor den Produkten der Natur. Neu ist diese kulinarische Ideal-Vorstellung nicht. So kompromisslos und meisterhaft umgesetzt ist sie aber in Vergessenheit geraten. Erst seit ein, zwei Jahren ist die, anfangs wunderbar-überraschende, Crossover-Küche halbwegs überwunden, jetzt zerfällt alles in Schäumchen, Aromen und Moleküle. Dabei wäre es wirklich Zeit für eine Rückbesinnung auf die Grundprodukte und ihren Eigengeschmack. Peter Ploog, langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift „Essen & Trinken“ im Ruhestand, beantwortete einmal die Frage nach seinem Lieblingsessen folgendermaßen: Rohe Steinpilze, hauchdünn gehobelt, mit bestem Olivenöl und Meersalz. Da steckt alles drin. Solange wir, Gäste und Köche, uns nicht erinnern, wie großartig eine einfache Kartoffel schmeckt, solange bleibt die Molekularküche von Ferran Adrìa, Juan Amador und all den anderen großartigen, kulinarischen Wissenschaftlern, nichts weiter als unterhaltsame Zukunftsmusik, deren Töne wir erst verstehen werden, wenn wir gelernt haben Noten zu lesen. La Table du Cap http://www.laurentpoulet.com/
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