Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Samstag, 9. Juni 2007
Testesser Paulsen dreht durch: Hauptsache draußen sitzen.

Es geht abwärts mit der Deutschen Gastronomie. Lieblosigkeit, Einfallslosigkeit und Trendhörigkeit, sowie Sparmaßnahmen bezüglich Ware und Personal nehmen in erschreckender Weise zu. Schlecht ausgebildete Köche und ungelerntes Servicepersonal versauen jede Restbemühung der Gastronomen, die beleidigt nachfragen, wer das denn bitteschön alles bezahlen soll. Bezahlt wird und zwar vom Gast. Die Kneipen und Restaurants sind voll, jeden Abend, das Thermometer steigt und jetzt wird es richtig fies, denn wer eine Konzession hat, hat plötzlich „Außenbestuhlung“ und die ist gut belegt.

Schlechte Restaurants gab es schon immer. Die Sommersonne bringt es aber an den Tag, wenn im Biergarten die Kastanien rauschen, wenn Lampignons im Abendlicht funzeln, Plastikgartenstühle knarren und bunte Kerzen auf Wachstischdecken „Romantik“ flüstern, dann gehen den Deutschen die Geschmacksnerven flöten. Hauptsache draußen sitzen. Schlechte Küchenleistungen und mangelhafter Service, sorgen in dunkel-kalten Zeiten noch für ein Stirnrunzeln, am lauen Sommerabend scheint sich jede Kritikfähigkeit des Publikums in Schweiß aufzulösen und auch viel Gastronomen begreifen den lauen Sommerabend als Legitimation ihrer eigenen Überforderung.

Ich gehe aus beruflichen Gründen sehr viel in Restaurants, privat überwiegt die Freude an einem schönen Abend im Restaurant. Ich schreibe auch gerne über meine Besuche. In meinem Blog gibt es die Reihe „Testesser Paulsen berichtet“ und auch bei Qypeschreibe ich fleißig mit. Ich habe es langsam satt. Nehmen wir nur mal die letzte Woche.

Paulaner-Garten, Bremen: der angekündigte „Backhendl-Mittwoch“ entfiel, bereits um 21:15 Uhr waren die Hähnchenteile ausverkauft, es sei „unheimlich viel los“ auf der Terrasse. Schlechte Planung. Dann als Surrogat Haxenfleisch bestellt, das hier mit 200 g Käse überbacken im Pfännchen serviert wird, ganz unten ein matschiges Industrie-Rösti, aufgeweicht von Industrie-Bratensauce. Dazu liebloser, öliger Salat und unendliche Wartezeiten. Das Servicepersonal streitet derweil: Bianca hat an ihren Tischen je zwei Teelichter aufgestellt, was Rafael sehr erregt, weil seine Gäste in Dunkel sitzen.

Ein Tag später, wieder Bremen. Ich sitze im dreijahre einem ambitionierten Restaurantprojekt, zweier jungen Frauen, die sich jeden Donnerstag einen Gastkoch einladen, drei Jahre lang. Mich erwischt ein Koch Namens Jürgen, der zur Vorspeise karamellisierte Spargeltörtchen serviert, in Wahrheit ein süßer Eierstich mit verlorenen Spargelabschnitten. Die Zanderkrusteln dazu, zwei Stück, sind winzige Fischstreifen in ledrig-labberiger Eihülle. Der Hauptgang, eine Perlhuhnbrust mit Safran-Farce ist vom Safran überwürzt, der Gaumen fällt in eine schwere Lähmung. Das ganze auf lahmem Sauerampferpüree und langweiligen Portobello-Pilzen, insgesamt gemahnt der Hauptgang an die industriell gesteuerte Hotelküche der frühen Achtziger („Kochen mit Liebe und Eto“). Gelungen ist das Limonensorbet mit Olivenöl und Fleur de sel à la vanille. Leider total zerlaufen, der Koch entschuldigt sich, er habe für alle Gänge nur die gleichen Teller und die seien jetzt noch warm gewesen vom Spülen. Vier Stunden dauerte übrigens das Servieren des Menüs.

Na, können Sie noch? Dann weiter, zum Höhepunkt meiner kulinarischen Woche. Zurück in Hamburg arbeiten die Liebste und ich an unserem Projekt. Als wir vor zwei Jahren in diese Gegend zogen, erklärten wir es zu unserem Ziel, jedes Restaurant im Eppendorfer Wegeinmal zu besuchen und an Restaurants ist der Eppendorfer Weg nicht gerade arm. An guten Restaurants schon, wie wir mittlerweile wissen. Gestern liefen wir fassungslos die Strasse hinunter, alle Außenplätze aller Restaurants belegt. Selbst beim Vater von „Gute Zeiten-Schlechte Zeiten“-Starlet und „Let´s Dance“-Tänzerin Susan Sideropoulos ist der üppig illuminierte Straßenanbau voll besetzt. Der Grieche Pierro Sideropoulos führt seit knapp drei Jahrzehnten sein italienisches Remidemi-Restaurant La Casita,das ist Kult, da ist Stimmung. Aber auch: verkochte, matschige Nudeln, die Tomatensauce allesamt viel zu sauer, Fisch in Miniaturportionen und durchgebraten. Entgegen meiner Maxime, jedes Restaurant, bevor ich darüber schreibe, zweimal zu Besuchen, überwog in diesem Fall der Selbstschutz. Aber: Terrazza voll! Sommer, Sonne, Sonnenschein, die Leute ziehn sich alles rein. „Unglaublich, merken die denn nichts?“ fragt sich nicht nur die Liebste.

An diesem Abend landen wir im Casa de Aragon. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen um meine Schwierigkeiten mit der spanischen Küche, nicht wundern, ich trage stets die Hoffnung in mir. 20:00 Uhr. Die improvisierte Gartenlaube ist ausverkauft. Von drinnen holt der überdurchschnittlich freundliche und bemühte Service noch ein Tischchen für uns, Decke, Windlicht, Willkommenssherry mit Olive. Der Sherry korkt. Die Aioli schmeckt nach Magarine. „Nein“ sagt der Serviceleiter, „die schmeckt so komisch wegen der Hitze.“ Beruhigend. Der Vorspeisensalat besteht aus riesigen Salatblättern in Öl. Die Haut der Milchlammkeule wirkt wie weiches Leder, mit Zimt gepudert. Das Fleisch ist butterzart und köstlich. Wäre da nicht diese klumpig, schwere, dicke Häufchen bildende Mehlschwitzenbratensoße und das rohe Gemüse (Broccoli!). Und die Kartoffeln. Öltriefende, ausgebackene Kartoffelscheiben, weich, matschig, geschmacklos. Im Rosado schwimmen Korkstückchen.

Zuhause lesen wir nach. Im eben erschienenen SZENE Hamburg Special „Essen+Trinken“, dem halbjährlich erscheinenden Restaurantführer für die Hansestadt im Zeitschriftenformat. Über das Casa de Aragon weiß der Tester zu berichten von: „…einem gastronomischen Verwöhnprogramm de luxe.“ Hä? Gerügt wird, am Ende der überschwänglichen Lobeshymne lediglich der Salat: „Jungs, Salat ist mehr als Blätter mit Öl.“ Während mein Lieblingsgriecheunbegründeter Weise, aber doch jedes Mal zähneklappernd auf das Erscheinen des Magazins wartet, haben die Betreiber des Casa de Aragon es in 14 Tagen nicht geschafft, die Kritik zu lesen, immer noch werden Blätter in Öl serviert. Oder es ist ihnen schlicht egal. Mit dieser Egal-Haltung stehen sie keineswegs allein da, diese Egal-Haltung resultiert aus dem anhaltenden Gästestrom der Kritiklosen.

Und das ist es, was wir uns alle für diesen Sommer vornehmen sollten. Kritisch zu bleiben, auch wenn der Garten lauschig und die Nacht sternenklar ist. Und Stellung beziehen, darüber schreiben, im eigenen Blog oder bei Qype. Jeder Mensch ist ein Tester, hat seinen persönlichen Geschmack und viele Beiträge schaffen zumindest ein Durchschnitts-Bild eines Restaurants. Bei Qype warnte der Member kleppten übrigens schon am 13.01.2007 nachdrücklich vor der Sauce zum Milchlamm. Ja, lesen sollte man die Sachen auch. Bevor man losgeht.